19.01.2012

Langjährige Vertragsbindungen mit Kükenmastbetrieben sind nicht zwangsläufig sittenwidrig

Die massenhafte Produktion, Aufzucht und Verwertung von Geflügel zum Zwecke der Nahrungsmittelherstellung findet in einem eng umgrenzten Markt statt. Eine langjährige Vertragsbindung eines Kükenmastbetriebs unter Bindung an konzerneigene Abnehmer ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn es die zweckentsprechende Aufrechterhaltung des Qualitätssicherungssystems es erfordert, das Unternehmen so weit wie möglich in die konzerneigene Produktionskette einzubeziehen.

BGH 8.12.2011, VII ZR 111/11
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Landwirt. Er schloss mit der Beklagten - eine Mastküken-Brüterei und gleichzeitig ein Unternehmen des Lebensmittelkonzerns W. - im Mai 1997 einen Vertrag über die Mästung von Hähnchen ab. Der Vertrag enthielt formularmäßige Vereinbarungen in den AGB, durch die sich der Kläger für eine Vertragslaufzeit von zehn Jahren und kündigungsabhängiger Verlängerung um jeweils ein Jahr verpflichtete, nach Erstellung eines entsprechenden Stalles, der von der Beklagten finanziell gefördert wurde, den Bezug und den Verkauf der nach dem Vertrag zur Mast vorgesehenen Tiere sowie den Erwerb des für die Aufzucht benötigten Futters ausschließlich über solche Unternehmen abzuwickeln, die zum W-Konzern gehören.

Im Juni 2010 kündigte der Kläger den Vertrag mit der Beklagten. Später klagte er auf Feststellung, dass der Beklagten deswegen keine Schadensersatzansprüche zuständen. Er war der Ansicht, dass die als AGB ausgestalteten Laufzeitregelungen in den Mastverträgen unwirksam seien. Sie hielten wegen der unangemessen langen Vertragsbindung der Inhaltskontrolle nach Maßgabe der §§ 307 ff. BGB nicht stand und seien im Übrigen gem. § 138 BGB sittenwidrig.

Die Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg.

Die Gründe:
Die vertraglichen Laufzeitregelungen waren wirksam.

Ob eine die Laufzeit eines Vertrages betreffende Klausel den Vertragspartner des Verwenders gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, ist mit Hilfe einer umfassenden Abwägung der schützenswerten Interessen beider Parteien im Einzelfall festzustellen. Zu Recht hatte das Berufungsgericht diesbezüglich auf die Besonderheiten des vorliegenden Geschäftsfeldes abgestellt. Denn die massenhafte Produktion, Aufzucht und Verwertung von Geflügel zum Zwecke der Nahrungsmittelherstellung findet in einem eng umgrenzten Markt statt. Insbesondere darin unterscheidet sich die vorliegend zu beurteilende Vertragskonstellation von denjenigen, in denen der Anbieter frei auf dem Markt verfügbarer Verbrauchsgüter, etwa Mineralöl oder Bier, durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen auf lange Zeit an einen bestimmten Hersteller solcher Produkte gebunden wird.

Dem Kläger wurde zwar durch den vorgeschriebenen Futtermittelbezug die Möglichkeit genommen, sich dieserhalb auf dem freien Markt zu bedienen. Soweit sich aus diesen Umständen Bedenken gegen die Angemessenheit der in Rede stehenden Vertragsklauseln ergeben konnten, waren diese allerdings durch die gebotene Berücksichtigung weiterer berechtigter Interessen der Beklagten ausgeräumt worden. Denn das Berufungsgericht hatte mit Recht Aspekte der Qualitätssicherung in die Gesamtabwägung der maßgeblichen Umstände einbezogen. So hatte es zutreffend herausgearbeitet, dass die massenhafte Tierproduktion und -verwertung zum Zwecke der Nahrungsmittelherstellung es erfordert, besondere Anforderungen an eine taugliche Qualitätssicherung zu stellen.

Dem trägt das Bezugs- und Vertriebssystem des W-Konzerns, in das die Beklagte als dessen Tochterfirma eingebunden ist und zu dessen Verwirklichung sie zur Wahrung auch ihrer eigenen berechtigten Geschäftsinteressen durch den Abschluss des vorliegend zu beurteilenden Vertrages beigetragen hat, in angemessener Weise Rechnung. Soweit - wie hier - die Aufzucht des Geflügels Unternehmen außerhalb des Konzerns übertragen wird, erfordert es die zweckentsprechende Aufrechterhaltung des Qualitätssicherungssystems, auch diese Unternehmen so weit wie möglich in die konzerneigene Produktionskette einzubeziehen. Dass der W-Konzern eine Marktstellung innehat, die es ihm ermöglicht, letztlich entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung der Preise für den Bezug und die Lieferung des Mastgeflügels zu nehmen, hatte das OLG nicht verkannt. Allein darin lag allerdings kein Umstand, der über marktmachtbedingte Einflussnahmemöglichkeiten eines Großkonzerns hinaus den Vorwurf eines vertraglich organisierten Preisdiktats rechtfertigen konnte.

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