Lebensversicherung im Policenmodell: Zu den Anforderungen an die Widerspruchsbelehrung
OLG Karlsruhe v. 20.4.2023 - 12 U 335/21Gegenstand des Rechtsstreits ist die Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages nach Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. Der Kläger schloss bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten im Jahre 2005 einen Rentenversicherungsvertrag ab. Versicherungsbeginn war der 1.4.2005. Die Beklagte übersandte dem Kläger am 6.4.2005 den Versicherungsschein nebst Verbraucherinformationen sowie Policenbedingungen. Der Versicherungsschein enthält Informationen zur Lebens- und Rentenversicherung. Diese Ausführungen enden mit folgendem Satz: "Folgende Lebensversicherer sind als Mitversicherer beteiligt und garantieren in Höhe ihres prozentualen Anteils die vereinbarten Versicherungsleistungen:"
Darauf folgt die Überschrift "Berufsunfähigkeitszusatzversicherung", darunter werden verschiedene Versicherer mit prozentualen Anteilen genannt. Unter dieser Liste steht folgender Hinweis: "Willenserklärungen werden von der M Lebensversicherung AG als vertragsführende Gesellschaft, auch im Namen der übrigen am Vertrag beteiligten Versicherer, abgegeben und entgegengenommen. Der gesamte Schriftverkehr wird daher ausschließlich mit der M Lebensversicherung AG geführt. Willenserklärungen sind nur und erst dann rechtswirksam, wenn sie der M Lebensversicherung AG schriftlich zugegangen sind."
Am Ende des Versicherungsscheins findet sich folgende Belehrung:
"Widerspruchsrecht:
Nach § 5a Versicherungsvertragsgesetz steht Ihnen ein 30-tägiges Widerspruchsrecht zu. Die Versicherung gilt auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt dieser Unterlagen der Versicherung in Textform widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung."
Im Jahr 2009 wurde der versprochene Rentenbetrag erhöht und der Beitrag entsprechend angepasst. 2011 änderte die Beklagte mit Einverständnis des Klägers ihre Versicherungsbedingungen. 2006, 2010 und 2011 widersprach der Kläger der Beitragsdynamik. Neben dem streitgegenständlichen Vertrag schloss der Kläger noch sechs weitere Verträge bei der Beklagten ab. 2012 wurde die Versicherung auf die Kündigungserklärung des Klägers beitragsfrei gestellt. 2019 wurde das Anlagenportfolio geändert. Mit Schreiben vom 24.2.2021 erklärte der Kläger den Widerspruch der auf Abschluss des Versicherungsvertrages gerichteten Willenserklärung und forderte die Rückabwicklung des Vertrages. Nach Ablauf der dort gesetzten Frist beauftragte der Kläger die Prozessbevollmächtigten. Diese verfolgten den Anspruch des Klägers mit außergerichtlichen Schreiben vom 12.3.2021 weiter.
Der Kläger leistete Prämien i.H.v. rd. 14.000 €. Von diesen Prämien entfielen rd. 100 € auf Risikokosten und rd. 6.200 € auf Abschluss- und Verwaltungskosten, wovon Überschüsse i.H.v. rd. 760 € erzielt wurden. Das Fondsguthaben zum Zeitpunkt des Widerspruchs betrug rd. 16.800 €. Der Kläger machte geltend, die Widerspruchsbelehrung sei nicht ordnungsgemäß i.S.v. § 5a VVG a.F., weil sie hinsichtlich der einzuhaltenden Form nicht eindeutig sei, und die Ausübung des Widerspruchsrechts sei auch nicht verwirkt. Mit seiner Klage verlangt er die Rückerstattung der geleisteten Beiträge nebst Nutzungen, insgesamt rd. 23.000 €, sowie die Erstattung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten i.H.v. rd. 1.800 €.
Das LG gab der Klage überwiegend statt. Auf die Berufung der Beklagten wies das OLG die Klage ab.
Die Gründe:
Die streitgegenständliche Widerspruchsbelehrung war zwar fehlerhaft; gleichwohl verstößt die Ausübung des Widerspruchsrechts durch den Kläger gegen § 242 BGB.
Die streitgegenständliche Belehrung war fehlerhaft. Es handelt sich um einen Konsortialvertrag. Der Belehrung fehlt es an der erforderlichen Klarheit über die Form des Widerspruchs. Zwar enthält die Widerspruchsbelehrung am Ende des Versicherungsscheins einen unmissverständlichen Hinweis auf die Textform. Dieser Hinweis wird aber konterkariert durch die Bestimmung, Willenserklärungen seien nur wirksam, wenn sie der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Konsortialführerin schriftlich zugingen. Die dadurch verursachte Unklarheit konnte der Versicherungsnehmer weder durch Überlegungen zum Vorrang der spezielleren vor der generellen Regelung noch zur räumlichen Anordnung der Textteile ausräumen.
Die Ausübung des Widerspruchsrechts war gleichwohl unwirksam, weil sie gegen Treu und Glauben verstößt. Soweit dies vom Senat in der Vergangenheit anders beurteilt wurde, hält er daran in Ansehung der jüngsten BGH-Rechtsprechung nicht mehr fest. Nach dem aus § 242 BGB abgeleiteten Übermaßverbot wäre es unverhältnismäßig, es dem Versicherungsnehmer zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen, wenn ihm durch die fehlerhafte Belehrung nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Der BGH hat klargestellt, dass dies der Fall ist, wenn der Versicherungsnehmer unzutreffend über ein Recht zum schriftlichen Widerspruch belehrt wurde, obwohl nach der maßgeblichen Fassung des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG ein Widerspruch in Textform genügte. Ein schriftlicher Widerspruch - der bei Verbrauchern geradezu typischen und faktisch regelmäßig praktizierten Mitteilungsform, die für jedermann einfach und ohne besonderen Aufwand durchzuführen ist - war in dieser Konstellation wirksam und es blieb dem Versicherungsnehmer trotz der fehlerhaften Belehrung unbenommen, seinen Widerspruch wirksam in Textform zu erklären.
So liegt der Fall auch hier. Der einzige Fehler der vorliegenden Widerspruchsbelehrung liegt in der Unklarheit über die einzuhaltende Form. Der Versicherungsnehmer war aber - insoweit zutreffend - darüber informiert, dass nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der hier maßgeblichen Fassung vom 2.12.2004 mindestens die Textform einzuhalten war. Soweit er aufgrund des Hinweises im Abschnitt zur Konsortialversicherung irrtümlich von einem Schriftformerfordernis ausging, konnte er auch dieses ohne nennenswertes Hindernis einhalten und damit sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung ausüben.
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Rechtsprechung:
Keine Unionsrechtswidrigkeit bei Berufung auf Grundsätze von Treu und Glauben bei geringfügigem Formfehler in der Widerrufsbelehrung
BGH vom 15.02.2023 - IV ZR 353/21
ZIP 2023, 808
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