22.02.2022

Lebensversicherung: Kein ewiges Widerrufsrecht trotz unzutreffender Belehrung

Trotz fehlenden Hinweises auf ein Formerfordernis besteht ausnahmsweise kein "ewiges Widerrufsrecht", wenn auf die Fristwahrung der rechtzeitigen Absendung hingewiesen wurde.

LG Frankfurt a.M. v. 21.1.2022 - 2-30 O 186/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages infolge Widerrufs in Anspruch. Der Kläger schloss im Jahr 2001 bei der Beklagten, einem Versicherungsunternehmen, eine Kapitallebensversicherung auf den Todes- und Erlebensfall mit Berufsunfähigkeitsschutz, vermindertem Anfangsbetrag und reduzierter Todesfallleistung für Nichtraucher mit Versicherungsbeginn zum 1.6.2001 ab. Der Vertrag beinhaltete eine jährliche Beitragsanpassung i.H.v. 10 % des Vorjahresbeitrages. Dem Vertrag lag das sog. Policenmodell zu Grunde.

Der Versicherungsschein vom 22.6.2001 enthielt im letzten Absatz unter der Überschrift "Widerspruchsrecht" die folgende, fett gedruckte Belehrung: "Nach § 5a Versicherungsvertragsgesetz steht Ihnen ein 14-tägiges Widerspruchsrecht zu. Die Versicherung gilt auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation als geschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt dieser Unterlagen der Versicherung widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung."

Der Kläger zahlte im Folgenden die Prämien auf den Versicherungsvertrag. Die Höhe der insgesamt gezahlten Prämien ist zwischen den Parteien streitig Mit Schreiben vom 31.3.2021 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten seinen Widerruf bzgl. des Lebensversicherungsvertrages und setzte der Beklagten eine Frist von 2 Wochen für die Rückzahlung des Rückabwicklungsbetrages. Unter dem Datum 18.5.2021 forderten die Prozessbevollmächtigten des Klägers unter Fristsetzung bis zum 1.6.2021 von der Beklagten die Zahlung von rd. 30.700 € aufgrund der Rückabwicklung des Vertrages und zusätzlich die Zahlung von rd. 2.100 € aufgrund außergerichtlicher Rechtsverfolgung. Die Beklagte teilte dem Kläger mit, dass sie den Widerspruch nicht anerkenne.

Das LG wies die auf Zahlung von 30.700 € gerichtete Klage ab.

Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 30.629,52 € aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Absatz 1 S. 1 Alt. 1 BGB) infolge des von ihm erklärten Widerspruchs gegen das Zustandekommen des Versicherungsvertrags.

Die Prämienzahlungen des Klägers erfolgten auf der Grundlage des zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrages und damit nicht ohne Rechtsgrund. Der Kläger konnte das Zustandekommen des Vertrages durch seinen Widerspruch vom 31.3.2021 nicht mehr verhindern, da zu diesem Zeitpunkt die Widerspruchsfrist bereits abgelaufen war. Nach § 5a Abs. 2 S. 1 begann der Lauf der Frist erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist. Nach § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. erlischt das Recht zum Widerspruch jedoch ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie. Vorliegend hat die Frist von 14 Tagen zunächst nicht zu laufen begonnen, da die Belehrung im Versicherungsschein nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt. Das Widerspruchsrecht ist allerdings ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erloschen und bestand damit gem. § 5 Abs. 2 Satz 4 VVG zum Zeitpunkt der Erklärung im Jahr 2021 nicht mehr.

Zwar hat der BGH aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 19.12.2013 (C-209/12) die Vorschrift richtlinienkonform dahingehend eingeschränkt ausgelegt, dass §5a Abs. 2 Satz 4 VVG eine planwidrige Regelungslücke enthalte, die richtlinienkonform dergestalt zu schließen sei, dass die Vorschrift im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung und der Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung nicht anwendbar sei, aber auf die übrigen Versicherungsarten uneingeschränkt Anwendung finde. Im Falle der Unanwendbarkeit der Vorschrift bestehe das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers, der nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist, grundsätzlich fort. Folge dieser richtlinienkonformen einschränkenden Auslegung ist ein "ewiges Widerspruchsrecht" des Versicherungsnehmers. Mit Urteil vom 19.12.2019 (C-355/18 u.a.) hat der EuGH das "ewige Widerspruchsrecht" bei fehlerhafter oder unterlassener Widerspruchsbelehrung im Grundsatz bestätigt, zugleich aber entschieden, dass ein solches "ewiges Widerspruchsrecht" bei nur unwesentliche Erschwerung des Widerrufs durch die ordnungswidrige Belehrung ausscheide. Nicht jede unrichtige Information über die Form der Erklärung des Rücktritts, die in der Belehrung, die der Versicherungsnehmer vom Versicherer erhält, enthalten sei, sei als fehlerhafte Belehrung anzusehen.

Diese Erwägungen des EuGH führen im Ergebnis dazu, das Widerspruchsrecht des Klägers im Einzelfall als ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erloschen anzusehen. Der Kläger wurde grundsätzlich über sein Widerspruchsrecht belehrt. Die Belehrung erfolgte in drucktechnisch deutlicher Form durch Fettdruck im Versicherungsschein. Auf diese Art und Weise ist der Kläger auf sein Widerspruchsrecht so hingewiesen worden, dass er darauf aufmerksam gemacht wurde, selbst wenn er nicht danach gesucht haben sollte.

Mehr zum Thema:
  • Rechtsprechung: OLG Karlsruhe vom 10.1.2022, 3 U 30/21 - Keine Insolvenzanfechtung der Umwandlung einer Lebensversicherung in pfändungsgeschützte Versicherung gegenüber dem Versicherer (ZIP 2022, 337)
  • Rechtsprechung: Umfang der Auskunftspflicht eines Lebensversicherers im Falle eines wirksamen Widerspruchs gegen den Abschluss eines Versicherungsvertrags - OLG Schleswig vom 8.11.2021 - 16 U 66/2
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