Leistung mit schuldbefreiender Wirkung an den Insolvenzschuldner
LG Kiel v. 30.7.2020, 12 O 76/19
Der Sachverhalt:
Der Kläger wurde im November 2016 zum Insolvenzverwalter über das freigegebene Sondervermögen des H. (im folgenden: Insolvenzschuldner) bestellt. Der Insolvenzschuldner war als selbständiger Dachdecker tätig. Über sein Vermögen war bereits am 1.5.2013 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Geschäftsbetrieb wurde dann am 2.9.2013 aus diesem Insolvenzverfahren freigegeben. Auch über den freigegebenen Teil wurde am 9.11.2016 das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 6.12.2016 erfolgte eine öffentliche Bekanntmachung des Klägers darüber, dass das Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit nicht wieder freigegeben werden wird.
Bei der Beklagten handelt es sich um ein in Großbritannien niedergelassenes und von der britischen Finanzaufsicht FCA reguliertes E-Geld Institut mit Sitz in London, das im Rahmen der entsprechenden Erlaubnis zur Herausgabe von E-Geld und zur Erbringung von verschiedenen Zahlungsdiensten auch in Deutschland berechtigt ist. Bei ihr hatte der Insolvenzschuldner bereits seit dem 12.11.2013 ein Konto inne, auf dem er vom 24.11.2016 bis 23.11.2018 Geldbeträge vereinnahmte und über die der Insolvenzschuldner verfügte. Bei dem Konto handelt es sich um ein sog. Viabuy-Konto, das lediglich auf Guthabenbasis geführt werden darf.
Der Kläger nahm die Beklagte gem. § 82 InsO auf Zahlung der auf dem Konto des Insolvenzschuldners vereinnahmten Zahlungen von Kunden des Insolvenzschuldners, über die dieser durch Überweisungen und Barabhebungen in Deutschland verfügte, in Anspruch. Er war der Auffassung, dass sich die Beklagte nicht auf ihre Unkenntnis berufen dürfe, wenn sie keine entsprechenden Datensysteme vorhalte, welche Transaktionen im Zahlungsverkehr verfolgen und Insolvenzen erkennen können. Eine Kenntnis sei dann zu fingieren.
Die Parteien haben den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache i.H.v. rund 3.538 € für erledigt erklärt. Das LG hat die Klage auf weitere Erstattung von Zahlungen, die Kunden des Insolvenzschuldners auf ein Konto des Insolvenzschuldners bei der Beklagten geleistet hatten, über das der Insolvenzschuldner nach Insolvenzeröffnung verfügt hat, abgewiesen.
Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Auszahlung des noch geforderten Betrages zugunsten der Insolvenzmasse. Diesen hat die Beklagte mit schuldbefreiender Wirkung an den Insolvenzschuldner gem. § 362 BGB i.V.m. § 82 S. 1 InsO erbracht.
Ist, wie im vorliegenden Fall, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Erfüllung einer Verbindlichkeit an den Schuldner (hier an den Kontoinhaber) geleistet worden, obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu erfüllen war, wird der Leistende gem. § 82 S. 1 InsO befreit, wenn er zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte. Entsprechend der Regelung in § 82 InsO trägt der Drittschuldner des Insolvenzschuldners nach der öffentlichen Bekanntmachung der Insolvenzeröffnung die Darlegungs- und Beweislast für seine Unkenntnis. Die Beklagte hatte substantiiert vorgetragen, dass der zuständige Compliance-Sachbearbeiter erst durch die Email der Polizei vom 23.11.2018 Kenntnis von insolvenzspezifischen Straftaten des Insolvenzschuldners und damit von der Insolvenz erhalten habe.
§ 82 InsO findet auf die Leistungen vom Konto des Insolvenzschuldners insgesamt Anwendung und ist gerade nicht für die Zahlungen an Dritte von dem Konto des Insolvenzschuldners durch § 81 InsO verdrängt. Nach § 81 Abs. 1 S. 1 InsO sind Verfügungen des Schuldners über einen Gegenstand der Insolvenzmasse nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam. Die Sonderregelung des Schuldnerschutzes nach § 82 InsO schränkt jedoch den Grundsatz des § 81 Abs. 1 S. 1 InsO ein, soweit der Schuldner auf Forderungen des Insolvenzschuldners leistet. Maßgeblich sind dazu bei den Zahlungen an Dritte die im geschäftsmäßigen Zahlungsverkehr zugrundeliegenden Leistungsbeziehungen.
Mit Ausführung eines Überweisungsauftrages leistet die Bank an den Schuldner, nicht an den Überweisungsempfänger, so dass Raum für § 82 InsO ist. Führt die Bank nach Verfahrenseröffnung, aber in Unkenntnis hiervon, einen Überweisungsauftrag aus, so wird sie bei kreditorischem Saldo (Konto weist ein Guthaben aus) von ihrer Leistungspflicht gegenüber dem Schuldner frei. Die nach § 82 Satz 1 InsO für die Verweigerung der Schuldbefreiung erforderliche Kenntnis von der Insolvenzeröffnung kann auch nicht aufgrund des Umstandes unterstellt oder fingiert werden, dass die Beklagte vor der Leistungserbringung weder eine individuelle Internetabfrage getätigt noch einen automatisierten Datenabgleich ihrer Kundendaten mit dem Internetportal www.insolvenzbekanntmachungen.de oder ähnliche technische Hilfsmittel implementiert hatte, um von der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 9 Abs. 1 InsO Kenntnis zu erlangen.
Im Übrigen unterliegt die Beklagte als in England niedergelassenes E-Geldinstitut auch nicht den deutschen Geldwäschepflichten. Schließlich wird eine Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch nicht über Art. 31 Abs. 1 EUInsVO fingiert. Die Vorschrift ist vorliegend bereits aus verschiedenen Gründen nicht anwendbar. Zu unterscheiden ist dabei zwischen den Zahlungen an Dritte und den Auszahlungen an den Insolvenzschuldner.
Landesregierung Schleswig-Holstein
Der Kläger wurde im November 2016 zum Insolvenzverwalter über das freigegebene Sondervermögen des H. (im folgenden: Insolvenzschuldner) bestellt. Der Insolvenzschuldner war als selbständiger Dachdecker tätig. Über sein Vermögen war bereits am 1.5.2013 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Geschäftsbetrieb wurde dann am 2.9.2013 aus diesem Insolvenzverfahren freigegeben. Auch über den freigegebenen Teil wurde am 9.11.2016 das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 6.12.2016 erfolgte eine öffentliche Bekanntmachung des Klägers darüber, dass das Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit nicht wieder freigegeben werden wird.
Bei der Beklagten handelt es sich um ein in Großbritannien niedergelassenes und von der britischen Finanzaufsicht FCA reguliertes E-Geld Institut mit Sitz in London, das im Rahmen der entsprechenden Erlaubnis zur Herausgabe von E-Geld und zur Erbringung von verschiedenen Zahlungsdiensten auch in Deutschland berechtigt ist. Bei ihr hatte der Insolvenzschuldner bereits seit dem 12.11.2013 ein Konto inne, auf dem er vom 24.11.2016 bis 23.11.2018 Geldbeträge vereinnahmte und über die der Insolvenzschuldner verfügte. Bei dem Konto handelt es sich um ein sog. Viabuy-Konto, das lediglich auf Guthabenbasis geführt werden darf.
Der Kläger nahm die Beklagte gem. § 82 InsO auf Zahlung der auf dem Konto des Insolvenzschuldners vereinnahmten Zahlungen von Kunden des Insolvenzschuldners, über die dieser durch Überweisungen und Barabhebungen in Deutschland verfügte, in Anspruch. Er war der Auffassung, dass sich die Beklagte nicht auf ihre Unkenntnis berufen dürfe, wenn sie keine entsprechenden Datensysteme vorhalte, welche Transaktionen im Zahlungsverkehr verfolgen und Insolvenzen erkennen können. Eine Kenntnis sei dann zu fingieren.
Die Parteien haben den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache i.H.v. rund 3.538 € für erledigt erklärt. Das LG hat die Klage auf weitere Erstattung von Zahlungen, die Kunden des Insolvenzschuldners auf ein Konto des Insolvenzschuldners bei der Beklagten geleistet hatten, über das der Insolvenzschuldner nach Insolvenzeröffnung verfügt hat, abgewiesen.
Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Auszahlung des noch geforderten Betrages zugunsten der Insolvenzmasse. Diesen hat die Beklagte mit schuldbefreiender Wirkung an den Insolvenzschuldner gem. § 362 BGB i.V.m. § 82 S. 1 InsO erbracht.
Ist, wie im vorliegenden Fall, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Erfüllung einer Verbindlichkeit an den Schuldner (hier an den Kontoinhaber) geleistet worden, obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu erfüllen war, wird der Leistende gem. § 82 S. 1 InsO befreit, wenn er zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte. Entsprechend der Regelung in § 82 InsO trägt der Drittschuldner des Insolvenzschuldners nach der öffentlichen Bekanntmachung der Insolvenzeröffnung die Darlegungs- und Beweislast für seine Unkenntnis. Die Beklagte hatte substantiiert vorgetragen, dass der zuständige Compliance-Sachbearbeiter erst durch die Email der Polizei vom 23.11.2018 Kenntnis von insolvenzspezifischen Straftaten des Insolvenzschuldners und damit von der Insolvenz erhalten habe.
§ 82 InsO findet auf die Leistungen vom Konto des Insolvenzschuldners insgesamt Anwendung und ist gerade nicht für die Zahlungen an Dritte von dem Konto des Insolvenzschuldners durch § 81 InsO verdrängt. Nach § 81 Abs. 1 S. 1 InsO sind Verfügungen des Schuldners über einen Gegenstand der Insolvenzmasse nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam. Die Sonderregelung des Schuldnerschutzes nach § 82 InsO schränkt jedoch den Grundsatz des § 81 Abs. 1 S. 1 InsO ein, soweit der Schuldner auf Forderungen des Insolvenzschuldners leistet. Maßgeblich sind dazu bei den Zahlungen an Dritte die im geschäftsmäßigen Zahlungsverkehr zugrundeliegenden Leistungsbeziehungen.
Mit Ausführung eines Überweisungsauftrages leistet die Bank an den Schuldner, nicht an den Überweisungsempfänger, so dass Raum für § 82 InsO ist. Führt die Bank nach Verfahrenseröffnung, aber in Unkenntnis hiervon, einen Überweisungsauftrag aus, so wird sie bei kreditorischem Saldo (Konto weist ein Guthaben aus) von ihrer Leistungspflicht gegenüber dem Schuldner frei. Die nach § 82 Satz 1 InsO für die Verweigerung der Schuldbefreiung erforderliche Kenntnis von der Insolvenzeröffnung kann auch nicht aufgrund des Umstandes unterstellt oder fingiert werden, dass die Beklagte vor der Leistungserbringung weder eine individuelle Internetabfrage getätigt noch einen automatisierten Datenabgleich ihrer Kundendaten mit dem Internetportal www.insolvenzbekanntmachungen.de oder ähnliche technische Hilfsmittel implementiert hatte, um von der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 9 Abs. 1 InsO Kenntnis zu erlangen.
Im Übrigen unterliegt die Beklagte als in England niedergelassenes E-Geldinstitut auch nicht den deutschen Geldwäschepflichten. Schließlich wird eine Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch nicht über Art. 31 Abs. 1 EUInsVO fingiert. Die Vorschrift ist vorliegend bereits aus verschiedenen Gründen nicht anwendbar. Zu unterscheiden ist dabei zwischen den Zahlungen an Dritte und den Auszahlungen an den Insolvenzschuldner.