Literarische Collage oder Montage ohne schöpferische Gestaltung des Autors reicht nicht für die Annahme eines Kunstwerkes
BGH 30.11.2011, I ZR 212/10Die Klägerin ist die Herausgeberin der "Märkischen Oderzeitung". Der Beklagte war bis zu seiner Pensionierung 2003 Direktor des AG Eisenhüttenstadt. Im Jahr 2009 erschien das vom Beklagten verfasste Buch "Blühende Landschaften", in dem er seine im Gerichtsbezirk gemachten Erfahrungen beschreibt. Dieses Buch enthält mehrere in der Märkischen Oderzeitung erschienene Artikel und Bilder, an denen der Klägerin ausschließliche Nutzungsrechte zustehen. Sie sind u.a. kombiniert mit eigenen Betrachtungen und Tagebucheinträgen des Beklagten. Einige Artikel und Bilder sind auch in einer sog. "Dokumentation" abgedruckt, die aus einer Sammlung von Zeitungsartikeln in Faksimile-Form sowie anderen Dokumenten wie Gesetzestexten und Schreiben ohne eigene Texte des Beklagten besteht.
Die Klägerin beanstandete die Darstellung der Artikel und Bilder im Buch des Beklagten als Urheberrechtsverletzung. Der Beklagte hielt dagegen, er habe mit seinem Buch eine kritische Auseinandersetzung des Lesers mit dem Zeitgeschehen beabsichtigt. Hierauf habe auch das Belegen und Illustrieren der im Buch referierten und bewerteten Vorgänge mit Zeitungsartikeln und Bildern abgezielt. Die Verwendung der Zeitungsartikel sei als Berichterstattung über Tagesereignisse nach § 50 UrhG zulässig und vom Zitatrecht i.S.v. § 51 UrhG gedeckt.
Das LG gab der Klage größtenteils statt; das OLG wies sie ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Die Annahme des OLG, dass der Eingriff des Beklagten in urheberrechtlich geschützte Positionen der Klägerin bei einem durch Art. 5 Abs. 3 GG vorgegebenen Verständnis der Vorschrift durch § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG gedeckt sei, war nicht frei von Rechtsfehlern.
Zwar war die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, dass das Zitatrecht gem. § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG im Hinblick auf Kunstwerke einen weiteren Anwendungsbereich hat als bei nichtkünstlerischen Sprachwerken. Denn die durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geforderte kunstspezifische Betrachtung verlangt, bei der Auslegung und Anwendung des § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG die innere Verbindung der zitierten Stellen mit den Gedanken und Überlegungen des Zitierenden über die bloße Belegfunktion hinaus auch als Mittel künstlerischen Ausdrucks und künstlerischer Gestaltung anzuerkennen.
Die Feststellungen des Berufungsgerichts trugen jedoch nicht die Annahme, es handele sich bei dem Buch des Beklagten, insbesondere bei der Illustrierung seiner eigenen Texte mit fremden, häufig bebilderten Zeitungsartikeln, um ein Werk der Kunst und die angegriffenen Zitate seien ein Mittel künstlerischen Ausdrucks und künstlerischer Gestaltung. Für die Annahme eines Kunstwerks ist es nicht ausreichend, dass der Verfasser eines Berichts über sein berufliches Wirken eigene einleitende Betrachtungen und Tagebucheinträge mit Artikeln aus Zeitungen, Urkunden und Lichtbildern kombiniert. Allein der Umstand, dass eine solche Kombination auch als künstlerische Technik, namentlich als literarische Collage oder Montage, in Betracht kommt, reicht nicht zur Annahme eines Kunstwerks i.S.v. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG aus. Erforderlich ist vielmehr, dass das Werk auch die der Kunst eigenen materiellen Strukturmerkmale aufweist, also insbesondere Ergebnis freier schöpferischer Gestaltung ist.
Die Sache muss hinsichtlich der Voraussetzungen des § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG erneut dem Tatrichter vorgelegt werden. Die Unterlassungsanträge richteten sich abstrakt gegen die Vervielfältigung und Verbreitung von in der "Märkischen Oderzeitung" erschienenen Artikeln und Bildern ohne Erlaubnis der Klägerin. Sie erfassten damit auch Fälle, in denen solche Artikel oder Bilder vom Beklagten als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbständige Ausführungen zitiert wurden und damit der Erleichterung der geistigen Auseinandersetzung dienten. In solchen Fällen können die Voraussetzungen des § 51 S. 2 Nr. 2 UrhG erfüllt sein. Der Klägerin muss allerdings Gelegenheit gegeben werden, ihre Anträge insoweit neu zu fassen und diese auf die - bislang lediglich in Gestalt eines mit "insbesondere" eingeleiteten Teils zum Gegenstand der Anträge gemachte - konkrete Verletzungsform zu beziehen.
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