Löschung eines Posts bei Facebook: Unterlassene Anhörung des Betroffenen kann im Prozess um die Wiederfreischaltung nachgeholt werden
OLG Frankfurt a.M. v. 30.6.2022 - 16 U 229/20
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist in Deutschland Vertragspartnerin der Nutzer von Facebook. Der Kläger stimmte den im April 2018 geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten zu. Im November 2018 postete er im Zusammenhang mit einem Artikel über die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Afghanen in einer Flüchtlingsunterkunft, in deren Verlauf diese untereinander Messer eingesetzt hatten, u.a.: "Solange diese sich gegenseitig abstechen, ist es doch o.k. Ist jemand anderer Meinung? Messer-Emoji". Die Beklagte löschte diesen Beitrag und sperrte außerdem vorübergehend Teilfunktionen des klägerischen Kontos.
Der Kläger begehrte daraufhin vor dem LG u.a. die Freischaltung des gelöschten Beitrags. Das LG wies die Klage ab. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das OLG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BGH u.a. hinsichtlich des dargestellten Antrags auf Wiederherstellung des gelöschten Artikels zugelassen.
Die Gründe:
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Wiederfreischaltung des gelöschten Posts. Der Post ist zwar eine Meinungsäußerung, er verstößt aber gegen die über die Nutzungsbedingungen einbezogenen Bestimmungen in den Gemeinschaftsstandards zur Hassrede.
Der Begriff der Hassrede ist hinreichend transparent und in den Regelungen selbst definiert worden. Erfasst werden u.a. "Angriffe durch eine gewalttätige und entmenschlichende Sprache, durch Aussagen über Minderwertigkeit und durch Aufrufe, Personen auszuschließen und zu isolieren". Die Beklagte ist auch berechtigt, ein Verbot von Hassrede vorzusehen, durch das auch nicht strafbare oder rechtsverletzende Meinungsäußerungen erfasst werden. Sie darf den Nutzern ihres Netzwerks bestimmte Kommunikationsstandards vorgeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben hinausgehen. Die Verhaltensregeln sollen einen Kodex für "einen respektvollen Umgang miteinander" enthalten.
Hier versteht der flüchtige Leser die Äußerung so, dass es dem Kläger gleichgültig ist bzw. er es in Ordnung findet, wenn afghanische Flüchtlinge sich gegenseitig abstechen. Dies unterfällt dem Bereich der Hassrede.
Soweit die Löschung des Posts erfolgte, ohne den Kläger umgehend zu informieren und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme mit anschließender Neuentscheidung zu gegeben, kann sich die Beklagte zwar nicht auf ihre Regelungen zum Entfernungs- und Sperrvorbehalt berufen. Diese sind gemäß der Rechtsprechung des BGH unwirksam: Nach dem Grundsatzurteil des BGH vom 29.7.2021 (III ZR 179/20) sind die Regelungen in den Nutzungsbedingungen, die Facebook in einem Fall der Hassrede eine Befugnis zur Löschung dieses Posts einräumen, unwirksam, weil sie kein Verfahren vorsehen, aufgrund dessen der betroffene Nutzer über die Entfernung umgehend informiert, ihm der Grund dafür mitgeteilt und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt wird, woran sich eine neue Entscheidung mit der Möglichkeit der Wiederfreischaltung des Posts anschließt.
Die Beklagte ist aber zur Löschung unmittelbar aus dem Nutzungsvertrag berechtigt. Die Verfahrensanforderungen zur Information des Betroffenen über die Löschung ergeben sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Durch die Unwirksamkeit der Klausel über den Entfernungs- und Sperrvorbehalt ist im vertraglichen Gefüge eine Lücke entstanden, die im Wege der Auslegung zu schließen ist. Über diese ergänzende Vertragsauslegung ist die Beklagte verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zu informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme und Neuentscheidung zu geben. Dies ist im Rahmen des hiesigen Prozesses nachgeholt worden. Der anfängliche Anhörungsfehler ist damit nachträglich geheilt worden.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
BGH: Soziale Netzwerke: AGB-Änderung und Eingriffsmöglichkeiten bei "Hassrede",
BGH vom 29.7.2021 - III ZR 179/20, CR 2022, 179
Kurzbeitrag:
LG Frankfurt a. M.: Meta muss Ehrverletzung durch Falschzitat selbstständig löschen,
Jan Pfeiffer, CR 2022, R55
Rechtsprechung:
Wiederholungsgefahr bei algorithmusbasierter Löschung eines Posts in sozialem Netzwerk,
OLG Dresden vom 4.10.2021 - 4 W 625/21, AfP 2022, 166
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OLG Frankfurt a.M. PM Nr. 54 vom 30.6.2022
Die Beklagte ist in Deutschland Vertragspartnerin der Nutzer von Facebook. Der Kläger stimmte den im April 2018 geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten zu. Im November 2018 postete er im Zusammenhang mit einem Artikel über die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Afghanen in einer Flüchtlingsunterkunft, in deren Verlauf diese untereinander Messer eingesetzt hatten, u.a.: "Solange diese sich gegenseitig abstechen, ist es doch o.k. Ist jemand anderer Meinung? Messer-Emoji". Die Beklagte löschte diesen Beitrag und sperrte außerdem vorübergehend Teilfunktionen des klägerischen Kontos.
Der Kläger begehrte daraufhin vor dem LG u.a. die Freischaltung des gelöschten Beitrags. Das LG wies die Klage ab. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das OLG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BGH u.a. hinsichtlich des dargestellten Antrags auf Wiederherstellung des gelöschten Artikels zugelassen.
Die Gründe:
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Wiederfreischaltung des gelöschten Posts. Der Post ist zwar eine Meinungsäußerung, er verstößt aber gegen die über die Nutzungsbedingungen einbezogenen Bestimmungen in den Gemeinschaftsstandards zur Hassrede.
Der Begriff der Hassrede ist hinreichend transparent und in den Regelungen selbst definiert worden. Erfasst werden u.a. "Angriffe durch eine gewalttätige und entmenschlichende Sprache, durch Aussagen über Minderwertigkeit und durch Aufrufe, Personen auszuschließen und zu isolieren". Die Beklagte ist auch berechtigt, ein Verbot von Hassrede vorzusehen, durch das auch nicht strafbare oder rechtsverletzende Meinungsäußerungen erfasst werden. Sie darf den Nutzern ihres Netzwerks bestimmte Kommunikationsstandards vorgeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben hinausgehen. Die Verhaltensregeln sollen einen Kodex für "einen respektvollen Umgang miteinander" enthalten.
Hier versteht der flüchtige Leser die Äußerung so, dass es dem Kläger gleichgültig ist bzw. er es in Ordnung findet, wenn afghanische Flüchtlinge sich gegenseitig abstechen. Dies unterfällt dem Bereich der Hassrede.
Soweit die Löschung des Posts erfolgte, ohne den Kläger umgehend zu informieren und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme mit anschließender Neuentscheidung zu gegeben, kann sich die Beklagte zwar nicht auf ihre Regelungen zum Entfernungs- und Sperrvorbehalt berufen. Diese sind gemäß der Rechtsprechung des BGH unwirksam: Nach dem Grundsatzurteil des BGH vom 29.7.2021 (III ZR 179/20) sind die Regelungen in den Nutzungsbedingungen, die Facebook in einem Fall der Hassrede eine Befugnis zur Löschung dieses Posts einräumen, unwirksam, weil sie kein Verfahren vorsehen, aufgrund dessen der betroffene Nutzer über die Entfernung umgehend informiert, ihm der Grund dafür mitgeteilt und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt wird, woran sich eine neue Entscheidung mit der Möglichkeit der Wiederfreischaltung des Posts anschließt.
Die Beklagte ist aber zur Löschung unmittelbar aus dem Nutzungsvertrag berechtigt. Die Verfahrensanforderungen zur Information des Betroffenen über die Löschung ergeben sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Durch die Unwirksamkeit der Klausel über den Entfernungs- und Sperrvorbehalt ist im vertraglichen Gefüge eine Lücke entstanden, die im Wege der Auslegung zu schließen ist. Über diese ergänzende Vertragsauslegung ist die Beklagte verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zu informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme und Neuentscheidung zu geben. Dies ist im Rahmen des hiesigen Prozesses nachgeholt worden. Der anfängliche Anhörungsfehler ist damit nachträglich geheilt worden.
Rechtsprechung:
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