Meinungsfreiheit - Frankreich: Verurteilung des Direktors einer Zeitung und zweier Journalisten wegen verleumderischen Artikels
EGMR v. 5.12.2024 - 835/20
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführer waren zum beschwerdegegenständlichen Zeitpunkt Direktor der Wochenzeitung Le Point sowie zwei für diese arbeitende Journalisten. Am 27. Februar 2014 veröffentlichte Le Point einen achtseitigen Artikel, in dem es um angebliche Verbindungen zwischen Herrn Copé und der Geschäftsleitung des Unternehmens Bygmalion ging. Copé war damals Vorsitzender der Partei Union pour un Mouvement Populaire (UMP) und Mitglied des Parlaments; Bygmalion war mit der Organisation von Veranstaltungen für den Präsidentschaftswahlkampf des UMP-Kandidaten Sarkozy in 2012 beauftragt worden. Die Veröffentlichung des fraglichen Artikels und anderer Presseartikel zog gerichtliche Ermittlungen wegen zahlreicher Straftatbestände, u.a. Mittäterschaft bei illegaler Wahlkampffinanzierung während des Präsidentschaftswahlkampfes 2012, nach sich.
Copé erhob daraufhin Strafanzeige wegen öffentlicher Verleumdung und trat dem Verfahren als Zivilpartei bei. Der Direktor von Le Point wurde als Haupttäter wegen öffentlicher Verleumdung einer Privatperson und wegen Verleumdung eines Mitglieds der Nationalversammlung zur Zahlung einer Geldstrafe von 1.500 Euro verurteilt. Die Anklage gegen die beiden Journalisten wurde in Bezug auf die beleidigenden Passagen des Artikels abgewiesen; sie wurden jedoch als Mittäter in den Verleumdungsdelikten in Bezug auf den Rest des Textes zu einer Geldstrafe von jeweils 1.000 Euro verurteilt. Zusätzlich wurden die drei Beschwerdeführer zur Zahlung von einem Euro Schadensersatz an Copé sowie zur Zahlung von 3.000 Euro für entstandene Kosten verurteilt. Le Point wurde zudem angewiesen, einen Hinweis auf das Urteil zu veröffentlichen. Rechtsmittel dagegen blieben im Ergebnis erfolglos.
Der sogenannte "Bygmalion"-Fall wurde im Juni 2021 in erster Instanz verhandelt, wobei Copé als Beistandszeuge vernommen wurde. Im September 2021 wurden die leitenden Angestellten von Bygmalion u.a. wegen Beihilfe zur illegalen Wahlkampffinanzierung verurteilt. Der Büroleiter von Copé wurde wegen Veruntreuung und Mittäterschaft bei der illegalen Wahlkampffinanzierung und Sarkozy wegen Überschreitung der gesetzlichen Ausgabenobergrenze für den Wahlkampf 2012 verurteilt. Zehn der Verurteilten legten Berufung ein. Im Februar 2024 wurden ihre Verurteilungen bestätigt.
Die Gründe:
Der EGMR wies zunächst darauf hin, dass der beanstandete Artikel in Anbetracht des Amtes von Copé und der Art der aufgeworfenen Fragen über eine Debatte von öffentlichem Interesse berichtet habe, in der Einschränkungen der Meinungsfreiheit normalerweise keinen Platz hätten. Hinsichtlich der Art der fraglichen Äußerungen und ihrer Tatsachengrundlage sei die Kritik an Copé als Tatsachenbehauptungen über seine persönliche Beteiligung an der Bereicherung des Unternehmens Bygmalion dargestellt worden.
Der Gerichtshof verwies auf die Auffassung der innerstaatlichen Gerichte, wonach die Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels vernünftigerweise nicht auf das umfangreiche Material und die Dokumente, die ihnen zur Verfügung standen und die die Verbindungen von Copé zu den leitenden Angestellten von Bygmalion und die Lage der Finanzen der UMP belegten, vertrauen konnten, um die Behauptung zu untermauern, dass er persönlich und unmittelbar für eine schwerwiegende Veruntreuung oder Manipulation zum Nachteil der UMP verantwortlich gewesen sei. Die innerstaatlichen Gerichte hätten zurecht davon ausgehen können, dass die Beschwerdeführer bei der Überprüfung der Richtigkeit der behaupteten Tatsachen nicht die erforderliche Sorgfalt walten ließen und dass der beanstandete Artikel, in dem die darin enthaltenen Informationen und Materialien als "Die Copé-Affäre" dargestellt wurden, das Ergebnis einer bewussten redaktionellen Entscheidung war, der es an einer hinreichenden Tatsachengrundlage fehlte.
Angesichts des Fehlens einer hinreichenden Tatsachengrundlage des Artikels gebe es daneben keinen ernsthaften Grund, die Einschätzung der innerstaatlichen Gerichte in Frage zu stellen, wonach die Beschwerdeführer in bestimmten Passagen, insbesondere bei den Überschriften und Zwischenüberschriften, einen Mangel an Mäßigung und Umsicht an den Tag gelegt hätten und daher Anlass bestanden habe, ihre Verteidigung der Redlichkeit zurückzuweisen. Der Schutz, den Art. 10 EMRK Journalisten in Bezug auf die Berichterstattung über Fragen von öffentlichem Interesse gewährt, stehe unter dem Vorbehalt, dass sie in redlicher Absicht handeln, um im Einklang mit der journalistischen Ethik genaue und zuverlässige Informationen zu liefern.
Letztlich habe in Anbetracht der geringen Höhe der Geldstrafen und der Tatsache, dass die Veröffentlichung einer Urteilsverkündung unter den Umständen des Falles keine übermäßige Beschränkung der Meinungsfreiheit darstelle, die gegen die Beschwerdeführer verhängte Strafe nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel gestanden.
Der EGMR verneinte einstimmig eine Verletzung von Art. 10 EMRK.
Sebastian Ramelli, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)
Die Beschwerdeführer waren zum beschwerdegegenständlichen Zeitpunkt Direktor der Wochenzeitung Le Point sowie zwei für diese arbeitende Journalisten. Am 27. Februar 2014 veröffentlichte Le Point einen achtseitigen Artikel, in dem es um angebliche Verbindungen zwischen Herrn Copé und der Geschäftsleitung des Unternehmens Bygmalion ging. Copé war damals Vorsitzender der Partei Union pour un Mouvement Populaire (UMP) und Mitglied des Parlaments; Bygmalion war mit der Organisation von Veranstaltungen für den Präsidentschaftswahlkampf des UMP-Kandidaten Sarkozy in 2012 beauftragt worden. Die Veröffentlichung des fraglichen Artikels und anderer Presseartikel zog gerichtliche Ermittlungen wegen zahlreicher Straftatbestände, u.a. Mittäterschaft bei illegaler Wahlkampffinanzierung während des Präsidentschaftswahlkampfes 2012, nach sich.
Copé erhob daraufhin Strafanzeige wegen öffentlicher Verleumdung und trat dem Verfahren als Zivilpartei bei. Der Direktor von Le Point wurde als Haupttäter wegen öffentlicher Verleumdung einer Privatperson und wegen Verleumdung eines Mitglieds der Nationalversammlung zur Zahlung einer Geldstrafe von 1.500 Euro verurteilt. Die Anklage gegen die beiden Journalisten wurde in Bezug auf die beleidigenden Passagen des Artikels abgewiesen; sie wurden jedoch als Mittäter in den Verleumdungsdelikten in Bezug auf den Rest des Textes zu einer Geldstrafe von jeweils 1.000 Euro verurteilt. Zusätzlich wurden die drei Beschwerdeführer zur Zahlung von einem Euro Schadensersatz an Copé sowie zur Zahlung von 3.000 Euro für entstandene Kosten verurteilt. Le Point wurde zudem angewiesen, einen Hinweis auf das Urteil zu veröffentlichen. Rechtsmittel dagegen blieben im Ergebnis erfolglos.
Der sogenannte "Bygmalion"-Fall wurde im Juni 2021 in erster Instanz verhandelt, wobei Copé als Beistandszeuge vernommen wurde. Im September 2021 wurden die leitenden Angestellten von Bygmalion u.a. wegen Beihilfe zur illegalen Wahlkampffinanzierung verurteilt. Der Büroleiter von Copé wurde wegen Veruntreuung und Mittäterschaft bei der illegalen Wahlkampffinanzierung und Sarkozy wegen Überschreitung der gesetzlichen Ausgabenobergrenze für den Wahlkampf 2012 verurteilt. Zehn der Verurteilten legten Berufung ein. Im Februar 2024 wurden ihre Verurteilungen bestätigt.
Die Gründe:
Der EGMR wies zunächst darauf hin, dass der beanstandete Artikel in Anbetracht des Amtes von Copé und der Art der aufgeworfenen Fragen über eine Debatte von öffentlichem Interesse berichtet habe, in der Einschränkungen der Meinungsfreiheit normalerweise keinen Platz hätten. Hinsichtlich der Art der fraglichen Äußerungen und ihrer Tatsachengrundlage sei die Kritik an Copé als Tatsachenbehauptungen über seine persönliche Beteiligung an der Bereicherung des Unternehmens Bygmalion dargestellt worden.
Der Gerichtshof verwies auf die Auffassung der innerstaatlichen Gerichte, wonach die Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels vernünftigerweise nicht auf das umfangreiche Material und die Dokumente, die ihnen zur Verfügung standen und die die Verbindungen von Copé zu den leitenden Angestellten von Bygmalion und die Lage der Finanzen der UMP belegten, vertrauen konnten, um die Behauptung zu untermauern, dass er persönlich und unmittelbar für eine schwerwiegende Veruntreuung oder Manipulation zum Nachteil der UMP verantwortlich gewesen sei. Die innerstaatlichen Gerichte hätten zurecht davon ausgehen können, dass die Beschwerdeführer bei der Überprüfung der Richtigkeit der behaupteten Tatsachen nicht die erforderliche Sorgfalt walten ließen und dass der beanstandete Artikel, in dem die darin enthaltenen Informationen und Materialien als "Die Copé-Affäre" dargestellt wurden, das Ergebnis einer bewussten redaktionellen Entscheidung war, der es an einer hinreichenden Tatsachengrundlage fehlte.
Angesichts des Fehlens einer hinreichenden Tatsachengrundlage des Artikels gebe es daneben keinen ernsthaften Grund, die Einschätzung der innerstaatlichen Gerichte in Frage zu stellen, wonach die Beschwerdeführer in bestimmten Passagen, insbesondere bei den Überschriften und Zwischenüberschriften, einen Mangel an Mäßigung und Umsicht an den Tag gelegt hätten und daher Anlass bestanden habe, ihre Verteidigung der Redlichkeit zurückzuweisen. Der Schutz, den Art. 10 EMRK Journalisten in Bezug auf die Berichterstattung über Fragen von öffentlichem Interesse gewährt, stehe unter dem Vorbehalt, dass sie in redlicher Absicht handeln, um im Einklang mit der journalistischen Ethik genaue und zuverlässige Informationen zu liefern.
Letztlich habe in Anbetracht der geringen Höhe der Geldstrafen und der Tatsache, dass die Veröffentlichung einer Urteilsverkündung unter den Umständen des Falles keine übermäßige Beschränkung der Meinungsfreiheit darstelle, die gegen die Beschwerdeführer verhängte Strafe nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel gestanden.
Der EGMR verneinte einstimmig eine Verletzung von Art. 10 EMRK.