17.01.2025

Meinungsfreiheit u.a. - Ungarn: Behauptete verdeckte Überwachung zur Ermittlung journalistischer Quellen

Der EGMR bekräftigt den Schutz journalistischer Quellen als einen der Eckpfeiler der Pressefreiheit. Jede Beeinträchtigung des Rechts auf Schutz journalistischer Quellen muss mit angemessenen rechtlichen Verfahrensgarantien einhergehen. (Klaudia Csikós gegen Ungarn)

EGMR v. 28.11.2024 - 31091/16
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin ist Journalistin bei einer ungarischen Tageszeitung. Im Rahmen laufender Ermittlungen wegen Bestechung und Beihilfe zum Amtsmissbrauch hatte ein Gericht am 6. November 2015 das Abhören und Aufzeichnen von Telefonaten des T., eines Polizeibeamten, mit dem die Beschwerdeführerin eng bekannt war (und der in einem späteren von der Beschwerdeführerin eingeleiteten Gerichtsverfahren, s.u., als ihr Ehemann angegeben wurde), genehmigt. So waren auch Telefonate zwischen T. und der Beschwerdeführerin, in denen es um einen aufsehenerregenden Mordfall ging, aufgezeichnet worden. Nachdem die Beschwerdeführerin einen Artikel über den Mordfall auf einem Internet-Nachrichtenportal veröffentlicht hatte, wurde ein Strafverfahren gegen T. wegen des Vorwurfs des Amtsmissbrauchs eingeleitet, weil er geheime Informationen an die Beschwerdeführerin weitergegeben habe. Die durch die Telefonüberwachung gesammelten Informationen durften durch gerichtliche Entscheidung in diesem Verfahren als Beweismittel verwendet werden.

Daraufhin legte die Beschwerdeführerin erfolglos gegen die zuständige Polizeibehörde Strafanzeige wegen unrechtmäßiger Beschaffung ihrer Verbindungsnachweise ein. Im Laufe des Strafverfahrens gegen T. erfuhr die Beschwerdeführerin, dass ihr Telefon abgehört worden war, um ihre Quellen bei der Polizei zu identifizieren. Sie gab an, dass das von ihr verwendete Telefon, das ihr von ihrem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt worden sei, zwischen dem 3. und 6. November 2015 abgehört worden sei. Drei von ihr deswegen eingelegte Beschwerden, unter anderem zum Innenminister, wurden zurückgewiesen; eine dagegen gerichtete Klage der Beschwerdeführerin blieb ohne Erfolg. T. wurde letztlich rechtskräftig freigesprochen.

Die Gründe:
Unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung bekräftigte der EGMR einleitend, dass Telefongespräche unter die Begriffe "Privatleben" und "Korrespondenz" im Sinne von Art. 8 EMRK fallen und ihre Überwachung eine Beeinträchtigung der Ausübung der Rechte nach diesem Artikel darstellt, die nur in engen Grenzen gerechtfertigt werden kann. Für Maßnahmen zur verdeckten Überwachung seien insbesondere angemessene und wirksame Schutzmaßnahmen und Garantien gegen Missbrauch erforderlich, wofür der Gerichtshof Mindestanforderungen aufgestellt habe. Zu diesen Schutzmaßnahmen gehörten in erster Linie die Garantie einer Überprüfung durch einen Richter oder eine andere unabhängige und unparteiische Entscheidungsinstanz nach eindeutigen Kriterien. Erneut betonte der EGMR, dass der Schutz journalistischer Quellen einer der Eckpfeiler der Pressefreiheit ist, ohne welchen Quellen davon abgehalten werden könnten, die Presse in ihrer Funktion als öffentlicher Wachhund bei der Information der Öffentlichkeit über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu unterstützen.

Untrennbar mit der Wirksamkeit von Rechtsbehelfen verbunden sei die Frage der nachträglichen Benachrichtigung über Überwachungsmaßnahmen. Im ungarischen Recht gebe es jedoch keinerlei Bestimmung für irgendeine Form der Benachrichtigung über Maßnahmen zur verdeckten Überwachung. Betroffene wie die Beschwerdeführerin würden somit wahrscheinlich nicht erfahren, ob ihre Kommunikation abgefangen wurde, was es zwangsläufig erschwere, Rechtsmittel gegen die mutmaßliche Maßnahme einzulegen. Auch habe die Beschwerdeführerin keinen Zugang zu einer unabhängigen und unparteiischen Einrichtung gehabt, die unabhängig von einer Benachrichtigung über das Abhören für Beschwerden wegen rechtswidrigen Abhörens zuständig ist. Keine der von der Beschwerdeführerin angerufenen Behörden habe eine Erklärung abgegeben, ob sie einer verdeckten Informationsbeschaffung unterzogen worden war und wenn ja, ob die Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis zu ihren individuellen Umständen stand und ob sie von einem Richter genehmigt worden war. Der EGMR äußerte Zweifel, dass Beschwerden, wie von der Beschwerdeführerin eingereicht, überhaupt angemessene Schutzmaßnahmen darzustellen geeignet sind.

Letztlich erlaube das ungarische Polizeigesetz verdeckte Informationsbeschaffung ohne jegliche Einschränkungen hinsichtlich der Personen, die diesen Maßnahmen unterworfen sind. Zwar seien die Straftaten festgelegt, die Anlass zu einer Überwachung geben könnten, nicht jedoch die Kategorien von Personen, die überwacht werden können; Ausnahmen oder Einschränkungen seien nicht vorgesehen. Ob die Überwachung der Kommunikation vertrauliche journalistische Quellen betrifft, bleibe unberücksichtigt; auch sei keine Abwägung der Ziele, die mit den verdeckten Überwachungsmaßnahmen verfolgt wurden, mit den Auswirkungen des Abhörens des Telefons eines Journalisten vorgesehen.

Demnach seien keine angemessene Verfahrensgarantien vorhanden gewesen, damit die Beschwerdeführerin die behauptete Anwendung verdeckter Überwachung gegen sie, um ihre journalistischen Quellen zu ermitteln, anfechten konnte.

Der EGMR bejahte einstimmig eine Verletzung der Art. 8 und 10 EMRK.

 

Sebastian Ramelli, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)