18.06.2012

Missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern dürfen durch das Gericht nicht abgeändert werden

Das nationale Gericht darf eine missbräuchliche Klausel eines Vertrags zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher nicht inhaltlich abändern. Stellt das Gericht eine solche Klausel fest, hat es sie lediglich unangewendet zu lassen.

EuGH 14.6.2012, C-618/10
Hintergrund:
In Spanien können die nationalen Gerichte mit Anträgen auf Anordnung der Zahlung einer entstandenen und fälligen Geldschuld von bis zu 30.000 € befasst werden, wenn der Betrag dieser Schuld gebührend belegt wird. Wird ein solcher Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids unter Einhaltung dieser Voraussetzungen eingereicht, muss der Schuldner seine Schuld bezahlen oder ggf. gegen diese Zahlung innerhalb einer Frist von 20 Tagen Widerspruch erheben und seinen Fall im Rahmen eines ordentlichen Zivilverfahrens entscheiden lassen.

Nach den spanischen Rechtsvorschriften sind die mit einem derartigen Antrag befassten Gerichte jedoch nicht befugt, von Amts wegen missbräuchliche Klauseln in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher für nichtig zu erklären. Folglich ist die Prüfung der Missbräuchlichkeit der Klauseln eines solchen Vertrags nur zulässig, wenn der Verbraucher Widerspruch gegen die Zahlung einlegt. Außerdem darf ein spanisches Gericht, wenn es ermächtigt ist, die Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel in einem Verbrauchervertrag festzustellen, nach den nationalen Rechtsvorschriften den Vertrag anpassen.

Der Sachverhalt:
Im Mai 2007 schloss Herr Calderón Camino mit der spanischen Bank Banesto einen Darlehensvertrag über 30.000 € für den Kauf eines Autos. Der Darlehenszins wurde auf 7,95 Prozent, der effektive Jahreszins auf 8,89 Prozent und der Verzugszins auf 29 Prozent festgesetzt. Obwohl das Darlehens erst im Juni 2014 fällig werden sollte, war Banesto der Meinung, dass die Fälligkeit schon vorher eingetreten sei, da im September 2008 sieben Monatsraten noch nicht geleistet worden seien.

Daher reichte die Bank im Januar 2009 bei dem zuständigen spanischen Gericht einen Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids i.H.v. 29.382 € wegen der ausstehenden Monatsraten nebst den vertraglich vereinbarten Zinsen und Kosten ein. Dieses erließ einen Beschluss, in dem es die Verzugszinsklausel wegen Missbräuchlichkeit von Amts wegen für nichtig erklärte. Außerdem setzte es den Verzugszinssatz von 29 auf 19 Prozent herab und gab Banesto auf, den Zinsbetrag neu zu berechnen.

Das spanische Gericht, das über die dagegen eingelegte Berufung zu entscheiden hat, fragt den EuGH zum einen, ob die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln einer mitgliedstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegensteht, wonach ein Gericht, das mit einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids befasst ist, nicht von Amts wegen prüfen darf, ob eine Klausel in einem Verbrauchervertrag missbräuchlich ist. Zum anderen möchte es wissen, ob die spanische Regelung, wonach die Gerichte missbräuchliche Klauseln nicht nur unangewendet lassen können, sondern auch ihren Inhalt abändern dürfen, mit dieser Richtlinie vereinbar ist.

Die Gründe:
Das nationale Gericht muss von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Verbrauchervertrags prüfen, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt. Die spanische Regelung, dies es einem Gericht, das mit einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids befasst ist, nicht erlaubt, von Amts wegen zu prüfen, ob die Klauseln in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher missbräuchlich sind, ist daher dazu geeignet, die Effektivität des Schutzes zu beeinträchtigen, der den Verbrauchern mit der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln gewährt werden sollte.

Es besteht nämlich die Gefahr, dass die betroffenen Verbraucher aus gewissen Gründen - etwa die für den Widerspruch vorgesehene kurze Frist, die mit einer Klage verbundenen Kosten oder mangelnde Informationen - nicht den für die Feststellung der Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel erforderlichen Widerspruch erheben. Demnach könnten die Gewerbetreibenden den Verbrauchern den mit der Richtlinie beabsichtigten Schutz schon dadurch entziehen, dass sie ein Mahnverfahren anstelle eines ordentlichen Zivilverfahrens anstrengen. Die spanische Verfahrensregelung ist daher nicht mit der Richtlinie vereinbar ist.

Darüber hinaus war festzustellen, dass nach der Richtlinie eine missbräuchliche Klausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher für den Verbraucher unverbindlich ist und dass ein Vertrag mit einer solchen Klausel für beide Parteien bindend bleibt, wenn er ohne diese missbräuchliche Klausel bestehen bleiben kann. Insofern steht die Richtlinie der spanischen Regelung entgegen, soweit das nationale Gericht danach, wenn es die Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel feststellt, den Inhalt dieser Klausel abändern kann. Eine solche Befugnis könnte den Abschreckungseffekt beseitigen, der für die Gewerbetreibenden darin besteht, dass missbräuchliche Klauseln gegenüber den Verbrauchern schlicht unangewendet bleiben.

Deshalb würde diese Befugnis einen weniger wirksamen Schutz der Verbraucher gewährleisten als den, der sich aus der Nichtanwendung dieser Klauseln ergibt. Stellen die nationalen Gerichte eine missbräuchliche Klausel fest, haben sie diese folglich nur für unanwendbar zu erklären, damit sie den Verbraucher nicht bindet, ohne dass sie befugt wären, deren Inhalt abzuändern. Denn der Vertrag, in den die Klausel eingefügt ist, muss - abgesehen von der Änderung, die sich aus der Aufhebung der missbräuchlichen Klauseln ergibt - grundsätzlich unverändert fortbestehen, soweit dies nach den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts rechtlich möglich ist.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 77 vom 14.6.2012
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