Musterentscheid im KapMuG-Verfahren gegen die Deutsche Telekom
OLG Frankfurt a.M. 16.5.2012, 23 Kap 1/06In dem vorliegenden Verfahren nach KapMuG mussten die Vertreter von knapp 17.000 klagenden Telekom-Aktionären der beklagten Deutschen Telekom ein grob fahrlässiges Verhalten bei der Erstellung der Börsenprospekte nachweisen. Die Aktie des Konzerns war seit Sommer 2000 auf ein Sechstel ihres Wertes gefallen. Die Hauptaspekte, mit denen die Kläger Unrichtigkeiten des Prospekts rügten, waren:
- der Erwerb des amerikanischen Mobilfunkunternehmens Voicestream,
- die Darstellung zu den Immobilien der Telekom,
- die Vorgänge um die konzerninterne Übertragung der Aktien an dem amerikanischen Telekommunikationsunternehmen Sprint,
- die Übernahme der Prospekthaftung durch die Telekom und schließlich
- das Bestehen einer sog. Eventualverbindlichkeit (Ansprüche von Anlegern aus dem vorherigen Börsengang).
Der Vorlagebeschluss des LG war während des seit 2008 beim OLG verhandelten Verfahrens durch eine Reihe von Ergänzungsbeschlüssen nach § 13 KapMuG erweitert worden. Die Darstellung im Prospekt zu den oben genannten Punkten hat das OLG letztlich im Ergebnis nicht beanstandet. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Gegen sie können alle Beteiligten eine Rechtsbeschwerde einlegen, über die dann der BGH zu entscheiden hat.
Die Gründe:
Die Telekom-Aktionäre haben keinen Schadensersatzanspruch gegen die Deutschen Telekom, da der Börsenverkaufsprospekt des Konzerns aus dem Jahr 2000 keine gravierenden Fehler enthielt.
Voicestream
Bezüglich des Erwerbs der Anteile an Voicestream konnte - trotz umfangreicher Beweisaufnahme mit 20 Zeugen (u.a. in den USA) - nicht bewiesen werden, dass der Erwerb schon zu einem Zeitpunkt feststand, als er in dem Prospekt oder einem Nachtrag noch hätte kommuniziert werden müssen. Nach den Angaben der Zeugen, zu denen auch die ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Telekom Dr. Ron Sommer und Kai-Uwe Ricke gehörten, war das Geschäft erst Ende Juli 2000 und somit deutlich nach der Erstnotiz am 19.6.2000 abschließend und entscheidungsreif verhandelt gewesen. In der Zeit vorher hatte die Telekom zunächst einen anderen Schwerpunkt gesetzt. Auch waren die ab Anfang Juli 2000 beginnenden Verhandlungen stets vom Scheitern bedroht, da verschiedene Aspekte der Übernahme erst zum Schluss geklärt werden konnten.
Immobilien
In der Bewertung der Immobilien der Telekom sowie der entsprechenden Darstellung im Prospekt waren ebenfalls keine Unrichtigkeiten ersichtlich. So entsprach die Bewertungsmethode, das sog. Cluster-Verfahren, bei dem nicht jede einzelne von mehreren tausend Immobilien bewertet wurde, sondern diese zu Bewertungseinheiten zusammengefasst wurden, der damaligen Gesetzeslage. Auch die Anwendung dieses Bewertungsverfahrens war nicht zu beanstanden, da eine gewisse Spannbreite in der Wertermittlung - gerade bei der Vielfalt der von der Telekom gehaltenen Immobilien - unvermeidlich und daher zulässig war. Zudem musste darüber nicht ausdrücklich im Prospekt berichtet werden, da die Methode als solche gesetzlich zulässig war und eine entsprechende Information für den Anleger mit keinem Wissensgewinn verbunden gewesen wäre.
Sprint
Die konzerninterne Übertragung der Anteile an dem amerikanischen Telekommunikationsunternehmen Sprint war ebenfalls in hinreichender Deutlichkeit im Prospekt erläutert. Unklare Formulierungen dazu an einer Stelle wurden an einer anderen Stelle des Prospekts in ausreichender Weise klargestellt. Auch die Bestimmung des Werts der Aktien, die die Ausweisung eines höheren Gewinns der Telekom ermöglichte, war nicht zu beanstanden.
Übernahme der Prospekthaftung
Soweit die Telekom in dem Prospekt die Haftung für Fehler desselben übernommen hatte, konnte zwar auf die BGH-Entscheidung vom 31.5.2011 (Az.: II ZR 141/09) zurückgegriffen werden, wonach diese Übernahme der Haftung ohne eine Kompensation durch Bund bzw. Kreditanstalt für Wiederaufbau als aktienrechtlich unzulässig angesehen wurde. Die Frage, ob die Übernahme der Prospekthaftung einer besonderen Erwähnung im Prospekt bedurft hätte, konnte hier allerdings verneint werden, da sich dies aus dem Prospekt ergab und der Anleger nicht darüber im Unklaren gelassen wurde, dass die Telekom zunächst allein und in vollem Umfang haftet. Ob ein Rückgriffsanspruch gegen Dritte bestand, musste dagegen nicht in den Prospekt aufgenommen werden.
Eventualverbindlichkeit
Die Rüge der Kläger, dass aus dem 2. Börsengang der Telekom möglicherweise bestehende Prospekthaftungsansprüche hätten im Prospekt für den 3. Börsengang dargestellt werden müssen, konnte nicht durchgreifen. Schließlich war insoweit aus Rechtsgründen keine entsprechende Darstellung geboten, was auch für die Frage galt, ob in dem Prospekt über kurz vor Erscheinen desselben eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche der Telekom hätte berichtet werden müssen.
Schließlich war auch die Frage, ob gegen die Telekom aus einem delikts- oder strafrechtlich relevanten Verhalten Schadensersatzansprüche bestanden zu verneinen. Neben Hauptfragen waren nach dem Vorlagebeschluss auch diverse Aspekte zu Verjährungsfragen zu beantworten. Hier wurde eine Reihe von Feststellungen getroffen, die sich schwerpunktmäßig mit der Anrufung der Öffentlichen Rechtsauskunfts- und Vergleichsstelle Hamburg (ÖRA) befassen. Dort hatten eine Vielzahl von Anlegern zur Hemmung der Verjährung ihrer Schadensersatzansprüche entsprechende Schlichtungsanträge gestellt, was allerdings nicht per se als rechtsmissbräuchlich bewertet wurde, auch wenn es durch die große Anzahl der Anträge zu einer faktischen Blockade der ÖRA gekommen war.
Weitere Fragen betrafen die Wirkung der Werbemaßnahmen der Telekom für die Aktie und deren Auswirkung auf den Verständnishorizont des Anlegers bezüglich des Prospektinhalts. Hier war der Fokus allerdings auf das Jahr des Börsengangs (2000) zu richten und auf einen Anleger abzustellen, der Bilanzkenntnisse hatte.
Hintergrund
Das sog. KapMuG ist eigens im August 2005 anlässlich dieser Massenklage geschaffen worden. Das Gesetz ermöglicht es, aus einer Vielzahl gleich gelagerter Schadensersatzprozesse wegen falscher Börsenprospekte oder fehlerhafter Kapitalmarktinformationen auf Antrag ein Musterverfahren mit einem Musterkläger vor dem OLG zu bestimmen. Alle anderen Kläger können grundsätzlich Beigeladene des Musterverfahrens werden und so gemäß § 8 KapMuG auf den Musterprozess Einfluss nehmen.