15.03.2021

Nichtigkeitsklage kann trotz Erlöschens des Streitpatents zulässig bleiben

Eine Nichtigkeitsklage bleibt trotz Erlöschens des Streitpatents zulässig, wenn der Patentinhaber nach einem erfolglos gebliebenen gerichtlichen Antrag auf Durchführung eines Besichtigungsverfahrens auf Anfrage des Nichtigkeitsklägers hin erklärt, er sei nach wie vor gewillt, alle IP-Rechte bezüglich der betroffenen Produkte zu verteidigen.

BGH v. 26.1.2021 - X ZR 24/19
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Inhaberin des im Juni 1999 unter Inanspruchnahme einer US-Priorität vom 25.6.1998 angemeldeten und mit Wirkung für Deutschland erteilten europäischen Patents 1 090 129 (Streitpatents), das die Herstellung von Phytase in Hefe betrifft bzw. das technische Problem, eine möglichst einfach und kostengünstig zu erzeugende sowie für die Verwendung bei der industriellen Nahrungs- und Futtermittelherstellung geeignete Phytase bereit zu stellen. Es umfasst 32 Patentansprüche. Phytasen kommen in einer Reihe von Pflanzen sowie in mit Wiederkäuern symbiotisch lebenden Bakterien vor. Wiederkäuer können deshalb in der Nahrung enthaltenes Phytat besser verwerten als andere Tiere. Insofern Nach der Streitpatentschrift waren im Prioritätszeitpunkt verschiedene Methoden zum Klonen und Sequenzieren von Phytasen bekannt. Hierzu seien unterschiedliche Gene und Organismen eingesetzt worden.

Die Klägerin hatte das Streitpatent vollumfänglich angegriffen und mangelnde Ausführbarkeit, unzulässige Erweiterung sowie fehlende Patentfähigkeit geltend gemacht. Die Beklagte hat das Streitpatent in erster Linie in einer Fassung verteidigt, in der in Patentanspruch 13 die Passage "or 5 to 5.5" entfällt, hilfsweise in sechzehn weiteren geänderten Fassungen. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Auf die Berufung der Beklagten hat der BGH das Urteil des Bundespatentgerichts abgeändert und das europäische Patent dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass in Patentanspruch 13 die Formulierung "or 5 to 5.5" gestrichen wird. Im Übrigen hat der X. Senat die Klage abgewiesen.

Gründe:
Die Klage ist trotz des Erlöschens des Streitpatents weiterhin zulässig. Die Klägerin hat ein hinreichendes Rechtsschutzinteresse, denn sie hat Anlass, eine gerichtliche Inanspruchnahme wegen Handlungen während der Laufzeit des Patents zu befürchten.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann sich das für eine Nichtigkeitsklage erforderliche Rechtsschutzinteresse daraus ergeben, dass der Kläger Anlass zu der Besorgnis hat, er könne trotz Ablaufs der Schutzdauer Ansprüchen wegen zurückliegender Handlungen ausgesetzt sein. Ein Rechtsschutzinteresse ist in solchen Fällen nur zu verneinen, wenn eine Inanspruchnahme ernstlich nicht mehr in Betracht kommt. Danach ist ein Rechtsschutzinteresse der Klägerin im Streitfall zu bejahen.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der von der Lizenznehmerin gestellte, aus formellen Gründen erfolglos gebliebene Antrag auf Durchführung eines Besichtigungsverfahrens bereits die hinreichende Besorgnis einer gerichtlichen Inanspruchnahme aus dem Streitpatent begründet. Eine solche Besorgnis ergibt sich jedenfalls aus dem Umstand, dass die Beklagte nach Abschluss des genannten Verfahrens und Ablauf des Klagepatents auf eine Anfrage der Klägerin hin erklärt hat, sie sei nach wie vor gewillt, alle IP-Rechte bezüglich Phytase-Produkten zu verteidigen.

Zu Unrecht hat das Patentgericht allerdings den Gegenstand von Patentanspruch 1 ausgehend von D8 als naheliegend angesehen. Richtig ist zwar, dass der Fachmann bei der Suche nach neuen, für die industrielle Herstellung insbesondere von Futtermitteln geeigneten Phytasen Anlass hatte, D8 zur Kenntnis zu nehmen und auszuwerten. Der Fachmann wäre darüber hinaus auch ohne erfinderische Tätigkeit zu der Erkenntnis gelangt, dass die in D8 erörterte Phytase aus E.coli durch das appA-Gen kodiert wird.

Im Ansatz zutreffend hat das Patentgericht schließlich angenommen, dass die Expression von bakteriellen Genen in Hefe eine dem Fachmann vertraute Vorgehensweise war. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts gaben diese Umstände dem Fachmann jedoch keine hinreichende Veranlassung, aus der Vielzahl von in Betracht kommenden Kombinationsmöglichkeiten eine Expression von bakteriellen appA-Genen in Hefe als in erster Linie oder besonders erfolgversprechend in Betracht zu ziehen. Angesichts der Vielzahl der in Betracht kommenden Möglichkeiten, der ungewissen Erfolgsaussichten und des für eine umfassende Versuchsreihe erforderlichen Aufwandes bestand insoweit keine ausreichende Erfolgserwartung.

Nach der Rechtsprechung des Senats lassen sich die Anforderungen an eine angemessene Erfolgserwartung, die dem Fachmann Veranlassung gibt, einen in Betracht kommenden Lösungsweg trotz nicht sicherer Vorhersehbarkeit der Resultate zu beschreiten, nicht allgemeingültig formulieren. Sie sind im Einzelfall unter Berücksichtigung des in Rede stehenden Fachgebiets, der Größe des Anreizes für den Fachmann, des erforderlichen Aufwands für das Beschreiten und Verfolgen eines bestimmten Ansatzes und der gegebenenfalls in Betracht kommenden Alternativen sowie ihrer jeweiligen Vor- und Nachteile zu bestimmen.

Im Streitfall bestand angesichts der hohen Bedeutung, die dem Einsatz einer möglichst aktiven, säureresistenten und thermostabilen Phytase für die industrielle Herstellung von Futtermitteln zukommt, zwar ein hoher ökonomischer Anreiz, eine Alternative zu bereits am Markt erhältlichen Produkten zu finden. Hinzu mögen Gesichtspunkte des Umweltschutzes sowie der Gesundheit von Mensch und Tier kommen. Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, bot es sich für den Fachmann auch eher an, bereits als Phytase identifizierte Substanzen zu untersuchen, statt sich auf die Suche nach neuen Phytasen zu machen, weil letzteres tendenziell mit noch größerem Aufwand und noch größerer Unsicherheit verbunden war. Ungeachtet dessen waren die Erfolgsaussichten in Bezug auf eine Ex-pression der aus D8 bekannten Phytase P2 in Hefe nicht ausreichend hoch.

Der Gegenstand des Streitpatents ist somit als neu anzusehen. 
BGH online
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