Patentstreit um Brustimplantat
BGH v. 26.7.2022 - X ZR 1/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist ein in Brasilien ansässiges Unternehmen, das sich mit der Herstellung von Silikonimplantaten befasst. Die in Dieburg ansässige Beklagte bezog seit 1992 von der Klägerin Brustimplantate und vertrieb diese in Europa. Der Streithelfer der Beklagten war deren Gesellschafter und von 1986 bis 2015 mit Unterbrechungen ihr Geschäftsführer.
Im Jahr 1995 hatten die Parteien eine Vereinbarung geschlossen, die es der Beklagten ermöglichen sollte, das CE-Kennzeichen für den Vertrieb von Implantaten in Europa zu erlangen. Die Zusammenarbeit der Parteien endete 2008.
Das Streitpatent beruht auf einer Anmeldung der Beklagten vom 14.10.2011. Es betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Implantats oder eines Zwischenprodukts eines solchen Implantats und entsprechende Erzeugnisse. Die Klägerin hat die Beklagte auf Übertragung und Einwilligung in die Umschreibung sämtlicher nationaler Teile des Streitpatents und hilfsweise auf Einräumung einer Mitberechtigung in Anspruch genommen, ferner auf Auskunft und Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz. Sie hat geltend gemacht, die Erfindung sei von Mitarbeitern der Klägerin gemacht worden. Das Streitpatent beruhe auf Informationen, die die Beklagte im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Klägerin erlangt habe.
LG und OLG haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückgewiesen.
Gründe:
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Vindikationsanspruch der Klägerin nicht verneint werden. Die Vorinstanzen haben den Gegenstand des Streitpatents nicht zutreffend bestimmt.
Ob ein Berechtigter nach § 8 Satz 1 und 2 PatG die Übertragung eines Patents oder die Einräumung einer Mitberechtigung daran verlangen kann, erfordert einen prüfenden Vergleich der zum Patent angemeldeten Lehre mit derjenigen, deren widerrechtliche Entnahme geltend gemacht wird. Dafür ist in erster Linie zu untersuchen, inwieweit beide Lehren übereinstimmen (BGH-Urt. v. 20.10.2015 - X ZR 149/12 - Kfz-Stahlbauteil; Urt. v. 4.8.2020 - X ZR 38/19 - Mitralklappenprothese). Der Auslegung des Streitpatents durch das Berufungsgericht, die auch im Vindikationsprozess der uneingeschränkten rechtlichen Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterlag, konnte nicht beigetreten werden.
Denn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sieht das Streitpatent nicht zwingend vor, dass die angestrebte feste Verbindung zwischen Schaumlage und Implantat unter Verzicht auf die Verwendung von Klebstoff oder mechanische Verfahren ausschließlich durch Vulkanisierung erfolgt. Nach der Lehre des Streitpatents wird eine Schaumlage auf die Vorderseite der Implantathülle aufgebracht. Die Hülle umfasst unausgehärtetes, also noch weiches Silikon. Durch Vulkanisation wird das Silikon ausgehärtet und zugleich die Schaumlage fest mit der Implantathülle verbunden. Zwar wird die Verbindung von Schaumlage und Implantathülle stets durch Vulkanisierung bewirkt. Das Streitpatent schließt aber nicht aus, dass vor dem Vulkanisieren die Schaumlage in das Silikon gedrückt wird. In der Beschreibung wird vielmehr ausgeführt, insbesondere dann, wenn die Implantat-hülle noch auf der Form liege, könne die Schaumlage gepresst und in engen Kontakt mit der obersten Silikonlage gebracht werden.
Außerdem hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegung des Erfindungsbesitzes der Klägerin und eines Wissenstransfers an die Beklagte überspannt. Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist nach BGH-Rechtsprechung schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Der Vortrag muss konkret genug sein, um die Erheblichkeit der Tatsachen beurteilen zu können und eine Stellungnahme des Gegners zu ermöglichen. Sind diese Anforderungen erfüllt und wird der Vortrag von der Gegenseite erheblich bestritten, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten.
Gemessen hieran hat die Klägerin ihren Erfindungsbesitz schlüssig dargetan. Die Klägerin hat in der Klageschrift unter Bezugnahme auf eigene Unterlagen über das Fertigungsverfahren und unter Beweisantritt im Einzelnen dargelegt, sie habe bereits im Jahr 2000 Brustimplantate nach einem Verfahren hergestellt, das die Merkmale des Streitpatents aufweise. Diesem Vorbringen zufolge haben Mitarbeiter der Klägerin ein Verfahren entwickelt, bei dem die Implantathülle in einem Stadium, in dem sie aus nicht vulkanisiertem Silikon bestehe und noch nicht befüllt sei, mit einer Lage aus Polyurethanschaum beschichtet werde, um eine texturierte Oberfläche zu erzielen. Im wieder eröffneten Berufungsrechtszug wird zu klären sein, ob die Beklagte das Vorbringen der Klägerin erheblich bestreitet.
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Die Klägerin ist ein in Brasilien ansässiges Unternehmen, das sich mit der Herstellung von Silikonimplantaten befasst. Die in Dieburg ansässige Beklagte bezog seit 1992 von der Klägerin Brustimplantate und vertrieb diese in Europa. Der Streithelfer der Beklagten war deren Gesellschafter und von 1986 bis 2015 mit Unterbrechungen ihr Geschäftsführer.
Im Jahr 1995 hatten die Parteien eine Vereinbarung geschlossen, die es der Beklagten ermöglichen sollte, das CE-Kennzeichen für den Vertrieb von Implantaten in Europa zu erlangen. Die Zusammenarbeit der Parteien endete 2008.
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