05.05.2022

Pflicht zur Beteiligung von Anwohnern und standortnahen Gemeinden an Windparks verfassungsgemäß

Das Gesetz über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an Windparks in Mecklenburg-Vorpommern (Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz - BüGembeteilG) ist ganz überwiegend mit dem GG vereinbar. Die damit verfolgten Gemeinwohlziele des Klimaschutzes, des Schutzes von Grundrechten vor Beeinträchtigungen durch den Klimawandel und der Sicherung der Stromversorgung sind hinreichend gewichtig, um den mit der Beteiligungspflicht verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger aus Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen zu können.

BVerfG 23.3.2022, 1 BvR 1187/17
Der Sachverhalt:
Nach § 3 BüGembeteilG dürfen in Mecklenburg-Vorpommern Windenergieanlagen nur durch eine "Projektgesellschaft" errichtet und betrieben werden, die ausschließlich der Erzeugung von Windenergie dient. Der Vorhabenträger hat gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 BüGembeteilG den "Kaufberechtigten" mindestens 20 % der Anteile an der Projektgesellschaft anzubieten.

Kaufberechtigt sind Personen, die in einer Entfernung von nicht mehr als fünf Kilometer vom Standort des Windparks leben und diejenigen Gemeinden, auf deren Gebiet sich die Anlage befindet oder die nicht mehr als fünf Kilometer vom Standort entfernt liegen. Der Vorhabenträger kann stattdessen als "wirtschaftliche Surrogate" einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung den kaufberechtigten Gemeinden die jährliche Zahlung einer "Ausgleichsabgabe" und den Anwohnern den Erwerb eines Sparprodukts anbieten; die Höhe der Abgabe und die Verzinsung des Sparprodukts bemessen sich nach dem Ertrag der Projektgesellschaft. Zur Zahlung der Abgabe kommt es indes nur dann, wenn die Gemeinden auf eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung an der Projektgesellschaft verzichten (§ 10 Abs. 7 Satz 2 BüGembeteilG).

Nach § 4 Abs. 3 BüGembeteilG hat der Vorhabenträger unverzüglich nach Erhalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung oder nach dem Gewinn einer Ausschreibung die kaufberechtigten Gemeinden im Einzelnen über das Vorhaben und die wirtschaftlichen Rahmendaten eines Anteilserwerbs zu informieren. Diese Pflicht besteht auch dann, wenn der Vorhabenträger die Gemeinden nicht an der Projektgesellschaft beteiligen, sondern stattdessen die Zahlung der Abgabe anbieten will. In diesem Fall ist die Information der unverzüglich nach Erhalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung abzugebenden Erklärung über das Angebot zur Zahlung der Abgabe beizufügen (§ 10 Abs. 6 Satz 2 BüGembeteilG).

Die Beschwerdeführerin ist ein Unternehmen der Windenergiebranche. Sie hat einen Antrag auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für einen Windpark in Mecklenburg-Vorpommern gestellt, über den noch nicht entschieden wurde. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde hat die Beschwerdeführerin unmittelbar Vorschriften des BüGembeteilG angegriffen. Sie rügte eine Verletzung der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) und der abgabenrechtlichen Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG).

Die Verfassungsbeschwerde blieb weitestgehend erfolglos.

Die Gründe:
Das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz ist formell und überwiegend auch materiell verfassungsgemäß.

Zwar weist der Eingriff in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger eine beträchtliche Intensität auf. Die Pflicht zur Gründung von Projektgesellschaften nimmt ihnen die Möglichkeit, Windparks durch ihr eigenes Unternehmen oder in einer sonst zweckdienlichen Art und Weise zu betreiben. Die unternehmerische Gestaltungsfreiheit wird weiter durch gesetzliche Vorgaben zur akzeptanzsteigernden und den kommunalrechtlichen Anforderungen an eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung von Gemeinden genügenden Ausgestaltung der Projektgesellschaften eingeschränkt.

Allerdings sind die damit verfolgten Gemeinwohlziele des Klimaschutzes, des Schutzes von Grundrechten vor Beeinträchtigungen durch den Klimawandel und der Sicherung der Stromversorgung hinreichend gewichtig, um den mit der Beteiligungspflicht verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger aus Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen zu können. Ohnehin kann die Gemeinwohlbedeutung von Maßnahmen der Länder oder Kommunen zur Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien nicht allein nach der Strommenge bemessen werden, die bezogen auf den jeweiligen räumlich begrenzten Anwendungsbereich erzielt wird. Vielmehr kommt es auch auf eine Gesamtbetrachtung der durch gleichartige Maßnahmen erzielten oder erzielbaren Strommenge an.

Gemeinwohlverstärkend kann sich insoweit insbesondere auswirken, dass Maßnahmen wegen ihres Pilotcharakters länderübergreifende Bedeutung haben. Das ist hier der Fall. Offenkundig stößt der Ausbau der Windenergie an Land auf Akzeptanzprobleme. Diese sind nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Einschätzung des Gesetzgebers dort geringer, wo Windenergie durch lokal verankerte, auf das einzelne Projekt bezogene Gesellschaften unter kommunaler und bürgerschaftlicher Teilhabe erzeugt wird. Das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz sichert mit entsprechenden Verpflichtungen der Vorhabenträger eine bürgerschaftliche und kommunale Teilhabe an lokalen Projekten zur Erzeugung von Windenergie erstmals hoheitlich auch dort, wo sie eigeninitiativ nicht zustande kommt. Das Gesetz kann daher als Modell für vergleichbare Regelungen zur Sicherung einer akzeptanzsteigernden bürgerschaftlichen und kommunalen Beteiligung am Ausbau der Windenergie dienen.

Darüber hinaus können einzelne Maßnahmen zum Ausbau erneuerbarer Energien Gemeinwohlbedeutung dadurch erlangen, dass sie einen Beitrag zu dem in eine internationale Kooperation eingebundenen nationalen Klimaschutz leisten. Denn dem Ziel, den Klimawandel anzuhalten, kann es dienen, wenn die Staaten wechselseitig darauf vertrauen können, dass auch andere Staaten gewillt sind, den vereinbarten Klimaschutz zu realisieren. Vor diesem Hintergrund kann auch eine durch einzelne Maßnahmen bewirkte Verbesserung der nationalen Emissionsbilanz zum Gelingen des globalen Klimaschutzes beitragen.

Unverhältnismäßig ist hingegen die mit erheblichen Aufwendungen verbundene Pflicht zur unverzüglich nach Erhalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung abzugebenden umfassenden Information der standortnahen Gemeinden über das Vorhaben und die wirtschaftlichen Daten eines Erwerbs von Anteilen an der Projektgesellschaft, soweit sie auch für diejenigen Vorhabenträger besteht, welche den Gemeinden anstelle eines Anteilserwerbs die Zahlung einer Abgabe anbieten möchten.

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BVerfG PM Nr. 37 vom 5.5.2022
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