Prospekthaftung: Mehrere Handlungsvarianten können Kausalitätsvermutung nicht entkräften
BGH 17.5.2011, II ZR 202/09Der Kläger hatte sich im Jahr 1993 mit 150.000 DM an einem Grundstück-Fonds beteiligt. Die beklagte GmbH war Gründungsgesellschafterin dieses und noch weiterer gleichartiger Fonds. Ihre Anteile wurden mehrheitlich vom Land Berlin gehalten. Die Fonds waren gegründet worden, um Wohnanlagen - größtenteils im sozialen Wohnungsbau - zu errichten und zu vermieten. Die Differenz zwischen der Kostenmiete und der niedrigeren Sozialmiete wurde teilweise durch Aufwendungshilfen des Landes ausgeglichen. Diese Hilfen wurden in einer ersten Förderphase für 15 Jahre ab Bezugsfertigkeit bewilligt. Üblicherweise schloss sich daran eine ebenfalls 15-jährige "Anschlussförderung" an.
Abweichend von dieser Verwaltungsübung beschloss der Berliner Senat allerdings im Jahr 2003 den Verzicht auf die Anschlussförderung für Bauvorhaben, bei denen die Grundförderung nach dem 30.12.2002 endete. Darunter fiel auch der Fonds, an dem sich der Kläger beteiligt hatte. Seither ist der Fonds sanierungsbedürftig.
Infolgedessen machte der Kläger geltend, dass die Beklagte wegen Prospektmängel verpflichtet sei, ihn von sämtlichen Verbindlichkeiten aus der Beteiligung freizustellen, soweit diese seine Steuervorteile und die erhaltenen Ausschüttungen abzüglich der Einlage und des Agios überstiegen, und zwar Zug um Zug gegen Übertragung des Gesellschaftsanteils. Ferner begehrte er die Feststellung, dass die Beklagte zum Ersatz etwaiger weiterer Schäden verpflichtet sei.
Das LG gab der Klage statt; das KG wies sie ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das KG zurück.
Die Gründe:
Die Annahme des Berufungsgerichts, der Prospektfehler sei für die Beitrittsentscheidung des Klägers nicht ursächlich geworden, hielt der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
Die Vorinstanz nahm zu Unrecht an, dass die Kausalitätsvermutung hier nicht eingreife, weil der Kläger bei einer zutreffenden Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, da es nicht nur eine Möglichkeit aufklärungsrichtigen Verhaltens gegeben habe. Denn bei Immobilien, bei denen es vordringlich um Sicherheit, Rentabilität und Inflationsschutz geht, ist das Bestehen von Handlungsvarianten nach ständiger BGH-Rechtsprechung nicht geeignet, die auf der Lebenserfahrung beruhende tatsächliche Vermutung der Ursächlichkeit fehlerhafter Prospektdarstellungen für die Anlageentscheidung zu entkräften. Eine Ausnahme kommt allenfalls bei hochspekulativen Geschäften in Betracht, zu denen die Investition in einen Immobilienfonds jedoch in aller Regel nicht gehört.
Infolgedessen konnte hier die Kausalität des Prospektfehlers für die Anlageentscheidung vermutet werden. Bei einem zutreffenden Hinweis auf die rechtliche Ungewissheit der Anschlussförderung wäre es für einen durchschnittlichen Anlageinteressenten durchaus vernünftig gewesen, nicht in dieses Vorhaben zu investieren. Unabhängig von der Anschlussförderung konnte der Anleger mit der Anlage zwar Steuern sparen, er riskierte aber, dass der Fonds bei Ausbleiben der Anschlussförderung nach 15 Jahren insolvent würde und damit das investierte Kapital verloren wäre. Dem standen keine adäquaten Gewinnchancen gegen.
Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens hatte die Beklagte nicht widerlegt. Um die Kausalitätsvermutung zu widerlegen, muss der Aufklärungspflichtige darlegen und beweisen, dass der Anleger den unterlassenen Hinweis unbeachtet gelassen hätte. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe auch andere Risiken hingenommen, so dass ihn auch dieses weitere Risiko nicht von der Zeichnung der Anlage abgehalten hätte, genügte dazu nicht. Vielmehr kann ein Anleger, der schon zahlreiche Risiken übernommen hat, ebenso gut nicht mehr bereit sein, noch weitere Risiken zu übernehmen.
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