Recht auf Achtung der Wohnung und der Korrespondenz - Aserbaidschan
EGMR v. 4.7.2024 - 24460/16
Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist Gründer, Direktor und alleiniger Eigentümer des Qanun Magazin Redaktionsbüros, ein 1992 in Aserbaidschan als GmbH gegründeter bekannter Verlag. Auf Beschluss der Steuerprüfungsabteilung des Finanzministeriums wurde bei Qanun eine unangekündigte Vor-Ort-Steuerprüfung der Aktivitäten des Unternehmens für den Zeitraum zwischen 2011 und 2013 durchgeführt. Zu diesem Zweck erschienen Mitarbeiter der Steuerprüfungsabteilung in den Geschäftsräumen Qanuns. Sie durchsuchten das Büro des Unternehmens und beschlagnahmten elektronische Geräte, Dokumente, Stempel, Notizbücher, Aufzeichnungen und Broschüren. Nach Durchführung von Sachverständigenprüfungen wurden die beschlagnahmten Dokumente und Gegenstände etwa sechs Monate nach der Vor-Ort-Prüfung an den Beschwerdeführer zurückgegeben.
Die Prüfung ergab zahlreiche Unregelmäßigkeiten in den Buchhaltungsunterlagen Qanuns in Bezug auf die Anzahl der Beschäftigten und die Höhe ihrer Gehälter. Unter Berücksichtigung dieser Unregelmäßigkeiten und nach einem Vergleich mit den Bilanzen eines anderen Medienunternehmens wurde eine Steuerschuld von umgerechnet etwa 29.000 Euro ermittelt und wegen Verstoßes gegen die Steuergesetzgebung eine zusätzliche Strafe in Höhe von 50 % der Steuerschuld verhängt. Um die Begleichung der Steuerschuld aus vorhandenen Mitteln zu ermöglichen, ließ die Steuerbehörde die Bankkonten des Unternehmens einfrieren und wies einen entsprechenden Geldtransfer an. Rechtsmittel gegen die Steuerprüfung, Beschlagnahme, Steuerfestsetzung, Konteneinfrierung und Geldeinziehung blieben erfolglos.
Die Gründe:
Der EGMR bekräftigte eingangs seine ständige Rechtsprechung, wonach Durchsuchungen und Beschlagnahmen in den Räumlichkeiten eines Unternehmens einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung der Wohnung und der Korrespondenz darstellen. Dies umfasse auch die Beschlagnahme verschiedener Dokumente und Gegenstände. Ob vorliegend auch eine Beeinträchtigung des Rechts auf Achtung des Privatlebens vorlag, konnte der Gerichtshof nicht prüfen, da ihm keine Informationen zur Natur und zum Inhalt der beschlagnahmten Dokumente und Gegenstände vorlagen.
Der Eingriff sei vorliegend nicht wie in Art. 8 Abs. 2 EMRK gefordert gesetzlich vorgesehen gewesen. Bei dieser Vorgabe, wonach ein nationales Gesetz, das ein Eingreifen erlaubt, in seiner Anwendung hinreichend zugänglich, präzise und vorhersehbar sein müsse, handele es sich um einen Schutz zur Vermeidung eines jeglichen Risikos von Willkür.
Zwar regelten die Vorschriften des innerstaatlichen Steuerrechts die Bedingungen, unter denen Beamte der Steuerbehörde auch unangekündigt Zugang zu den Räumlichkeiten eines Steuerpflichtigen haben und Dokumente und Gegenstände beschlagnahmen dürfen, die für eine Prüfung relevant sind. Staaten könnten es zwar für notwendig erachten, auf solche Maßnahmen zurückzugreifen, um relevante Beweise zu erheben. Jedoch müssten die einschlägigen Rechtsvorschriften und Praktiken angemessene und wirksame Schutzvorkehrungen gegen Missbrauch bieten. Ein uneingeschränkter Ermessenspielraum könne Steuerbehörden nicht eingeräumt werden.
Im vorliegenden Fall habe es in der Praxis keine angemessenen und wirksamen Schutzvorkehrungen gegen einen uneingeschränkten Ermessensspielraum gegeben. So habe die Steuerbehörde die innerstaatlichen Bestimmungen, wonach die Beschlagnahme von Unterlagen und Gegenständen auf die für die Steuerberechnung erforderlichen Unterlagen und Gegenstände beschränkt bleiben müsse und die Beschlagnahme von Unterlagen und Gegenständen, die für die Steuerberechnung nicht erforderlich sind, während einer Vor-Ort-Steuerprüfung untersagt seien, nicht eingehalten. So habe sie bei der Durchsuchung zahlreiche Dokumente und Gegenstände beschlagnahmt, ohne dabei zu unterscheiden, ob diese für die Berechnung der Steuern erforderlich seien.
Zudem seien die innerstaatlichen Gerichte bei der Prüfung der Beschwerden Qanuns nicht auf die Nichteinhaltung der einschlägigen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts durch die Steuerbehörde bei der Durchsuchung und Beschlagnahme eingegangen. Insbesondere hätten sie keine aussagekräftige Bewertung der Gesetzmäßigkeit und des Umfangs der von der Steuerbehörde durchgeführten Beschlagnahme vorgenommen.
Der EGMR bejahte einstimmig eine Verletzung von Art. 8 EMRK sowie von Art. 1 des Zusatzprotokolls EMRK (Schutz des Eigentums).
Sebastian Ramelli, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)
Der Beschwerdeführer ist Gründer, Direktor und alleiniger Eigentümer des Qanun Magazin Redaktionsbüros, ein 1992 in Aserbaidschan als GmbH gegründeter bekannter Verlag. Auf Beschluss der Steuerprüfungsabteilung des Finanzministeriums wurde bei Qanun eine unangekündigte Vor-Ort-Steuerprüfung der Aktivitäten des Unternehmens für den Zeitraum zwischen 2011 und 2013 durchgeführt. Zu diesem Zweck erschienen Mitarbeiter der Steuerprüfungsabteilung in den Geschäftsräumen Qanuns. Sie durchsuchten das Büro des Unternehmens und beschlagnahmten elektronische Geräte, Dokumente, Stempel, Notizbücher, Aufzeichnungen und Broschüren. Nach Durchführung von Sachverständigenprüfungen wurden die beschlagnahmten Dokumente und Gegenstände etwa sechs Monate nach der Vor-Ort-Prüfung an den Beschwerdeführer zurückgegeben.
Die Prüfung ergab zahlreiche Unregelmäßigkeiten in den Buchhaltungsunterlagen Qanuns in Bezug auf die Anzahl der Beschäftigten und die Höhe ihrer Gehälter. Unter Berücksichtigung dieser Unregelmäßigkeiten und nach einem Vergleich mit den Bilanzen eines anderen Medienunternehmens wurde eine Steuerschuld von umgerechnet etwa 29.000 Euro ermittelt und wegen Verstoßes gegen die Steuergesetzgebung eine zusätzliche Strafe in Höhe von 50 % der Steuerschuld verhängt. Um die Begleichung der Steuerschuld aus vorhandenen Mitteln zu ermöglichen, ließ die Steuerbehörde die Bankkonten des Unternehmens einfrieren und wies einen entsprechenden Geldtransfer an. Rechtsmittel gegen die Steuerprüfung, Beschlagnahme, Steuerfestsetzung, Konteneinfrierung und Geldeinziehung blieben erfolglos.
Die Gründe:
Der EGMR bekräftigte eingangs seine ständige Rechtsprechung, wonach Durchsuchungen und Beschlagnahmen in den Räumlichkeiten eines Unternehmens einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung der Wohnung und der Korrespondenz darstellen. Dies umfasse auch die Beschlagnahme verschiedener Dokumente und Gegenstände. Ob vorliegend auch eine Beeinträchtigung des Rechts auf Achtung des Privatlebens vorlag, konnte der Gerichtshof nicht prüfen, da ihm keine Informationen zur Natur und zum Inhalt der beschlagnahmten Dokumente und Gegenstände vorlagen.
Der Eingriff sei vorliegend nicht wie in Art. 8 Abs. 2 EMRK gefordert gesetzlich vorgesehen gewesen. Bei dieser Vorgabe, wonach ein nationales Gesetz, das ein Eingreifen erlaubt, in seiner Anwendung hinreichend zugänglich, präzise und vorhersehbar sein müsse, handele es sich um einen Schutz zur Vermeidung eines jeglichen Risikos von Willkür.
Zwar regelten die Vorschriften des innerstaatlichen Steuerrechts die Bedingungen, unter denen Beamte der Steuerbehörde auch unangekündigt Zugang zu den Räumlichkeiten eines Steuerpflichtigen haben und Dokumente und Gegenstände beschlagnahmen dürfen, die für eine Prüfung relevant sind. Staaten könnten es zwar für notwendig erachten, auf solche Maßnahmen zurückzugreifen, um relevante Beweise zu erheben. Jedoch müssten die einschlägigen Rechtsvorschriften und Praktiken angemessene und wirksame Schutzvorkehrungen gegen Missbrauch bieten. Ein uneingeschränkter Ermessenspielraum könne Steuerbehörden nicht eingeräumt werden.
Im vorliegenden Fall habe es in der Praxis keine angemessenen und wirksamen Schutzvorkehrungen gegen einen uneingeschränkten Ermessensspielraum gegeben. So habe die Steuerbehörde die innerstaatlichen Bestimmungen, wonach die Beschlagnahme von Unterlagen und Gegenständen auf die für die Steuerberechnung erforderlichen Unterlagen und Gegenstände beschränkt bleiben müsse und die Beschlagnahme von Unterlagen und Gegenständen, die für die Steuerberechnung nicht erforderlich sind, während einer Vor-Ort-Steuerprüfung untersagt seien, nicht eingehalten. So habe sie bei der Durchsuchung zahlreiche Dokumente und Gegenstände beschlagnahmt, ohne dabei zu unterscheiden, ob diese für die Berechnung der Steuern erforderlich seien.
Zudem seien die innerstaatlichen Gerichte bei der Prüfung der Beschwerden Qanuns nicht auf die Nichteinhaltung der einschlägigen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts durch die Steuerbehörde bei der Durchsuchung und Beschlagnahme eingegangen. Insbesondere hätten sie keine aussagekräftige Bewertung der Gesetzmäßigkeit und des Umfangs der von der Steuerbehörde durchgeführten Beschlagnahme vorgenommen.
Der EGMR bejahte einstimmig eine Verletzung von Art. 8 EMRK sowie von Art. 1 des Zusatzprotokolls EMRK (Schutz des Eigentums).