02.02.2022

Recht auf Meinungsäußerung: Messenger Dienst darf Nutzer bei Versand von Missbrauchsfotos sofort ohne Anhörung sperren

Nur durch eine sofortige Kündigung des Nutzungsverhältnisses es dem Messenger Dienst möglich, sicherzustellen, dass der Nutzer Missbrauchsfotos nicht weiterverbreitet. Eine vorherige Anhörung ist in einem solchen Fall entbehrlich. Der Nutzer hat die Möglichkeit, die Kündigung nachträglich anzugreifen und spätestens im Rahmen des zivilrechtlichen Verfahrens die Gründe für die Sperrung anzugreifen und sich hierzu Gehör zu verschaffen.

LG München I v. 31.1.2022 - 42 O 4307/19
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte neun Fotos von weiblichen Personen über den Messenger Dienst der Beklagten weitergeleitet. Die von der Beklagten eingesetzte Software "PhotoDNA" identifizierte diese Fotos als "Child Exploitative Imagery" (CEI), als ausbeuterische Bilder von Kindern. Daraufhin wurde das Konto des Klägers bei der Beklagten dauerhaft gesperrt. Die Beklagte teilte dem Kläger erst zeitgleich mit der Deaktivierung mit, dass sein Konto gesperrt werde. Der Kläger beschwerte sich daraufhin bei der Beklagten. Ein Mitarbeiter der Beklagten überprüfte die Fotos und bestätigte den CEI-Inhalt der Bilder.

Der Kläger war der Ansicht, er hätte vor der Sperrung seines Kontos angehört werden müssen. Die Fotos habe er von Freunden erhalten und er könne sich nicht vorstellen, dass diese unerlaubtes Material versendeten. Außerdem habe er die Fotos nicht öffentlich, sondern lediglich im Rahmen eines privaten Gesprächsverlaufs versandt.

Das LG hat die Klage auf Wiederherstellung des Nutzerkontos und Schadenersatz abgewiesen.

Die Gründe:
Die außerordentliche Kündigung ist wirksam, eine vorherige Anhörung des betroffenen Klägers war in diesem Fall entbehrlich. Der Beklagten war es angesichts dieser Situation nicht zuzumuten, das Vertragsverhältnis mit dem Kläger aufrechtzuerhalten.

Die vom Kläger versandten streitgegenständlichen Fotos enthielten pornographische und damit ausbeuterische Darstellungen von Minderjährigen. Es war nicht erkennbar oder auch nicht vorgebracht worden, dass sich sowohl die Software als auch der konkret eingesetzte Mitarbeiter beim Abgleich der streitgegenständlichen Fotos mit den bekannten CEI-Inhalten geirrt hatten. Das vertragliche Nutzungsvertragsverhältnis zwischen den Parteien war auf Dauer angelegt und konnte daher gem. § 314 BGB bei Vorliegen eines wichtigen Grundes außerordentlich und ausnahmsweise ohne vorherige Anhörung gekündigt werden.

Nach eigener Aussage nutzte der Kläger sein Konto bei der Beklagten ausschließlich zu privaten Zwecken, insbesondere um Kontakt mit Freunden und Familie zu halten. Durch die Sperrung war ihm die elektronische Kommunikation zu Freunden und Familie mittels der Dienste der Beklagten nicht mehr möglich. Der Wechsel zu einem Netzwerk eines anderen Betreibers kann mit dem Verlust von Kontakten verbunden sein. Auch verfügt die Beklagte über eine bedeutende Markt- und soziale Macht. Durch die Deaktivierung seines Kontos ist der Kläger zudem zumindest abstrakt daran gehindert, mittels den Diensten der Beklagten seine Meinung i.S.d. des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG kundzutun - auch wenn in der Vergangenheit nicht erkenntlich gewesen war, dass er das Netzwerk dazu tatsächlich genutzt hatte. Die Versendung der streitgegenständlichen Fotos stellte jedenfalls keine Meinungsäußerung dar.

Demgegenüber hat die Beklagte ein geschäftliches Interesse daran, den Nutzern ihrer Dienstleistungen ein sicheres Kommunikationsumfeld und ihren Werbekunden ein attraktives Werbeumfeld zu bieten. Für diese Tätigkeit kann sie sich auf die auch für sie geltende Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG berufen. Zudem ist auch zugunsten der Beklagten das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zu berücksichtigen, da diese Vorschrift den Kommunikationsprozess als solchen schützt, den die Beklagte als Betreiberin eines Netzwerkes, der dem Austausch von Meinungen dient, unterstützt.

Durch die Pflicht der Nutzer, die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards zu beachten, wird außerdem das auf die Einhaltung der Mitgliedsbedingungen gerichtete Interesse anderer Nutzer geschützt. Bei der erforderlichen Abwägung der Grundrechtspositionen sind daher auch die Persönlichkeitsrechte der anderen Nutzer zu berücksichtigen. Schließlich obliegt es der Beklagten im Eigeninteresse, Beiträge mit strafbaren oder rechtsverletzenden Inhalten zu entfernen oder zu sperren.

Das in Teil III Ziffer 7 der Gemeinschaftsstandards genannte Verbot von Fotos mit CEI-Inhalten, das die Beklagte mit ihrer Kündigung gegenüber dem Kläger durchsetzt, dient nicht nur dem Schutz einer sicheren Kommunikationsumgebung, sondern auch und insbesondere dem Schutz von Kindern und Jugendlichen. Aufgrund der besonders vulnerablen Stellung von Kindern und Jugendlichen kommt der Verhinderung ihrer Ausbeutung ein ungemein hoher Stellenwert. Reflektiert wird diese Priorität durch die Straftatbestände in § 184b StGB und § 184c StGB, die die Verbreitung, den Erwerb und Besitz kinder- und jugend-pornographischer Inhalte unter Strafe stellen. Um die Verbreitung von Inhalten mit CEI-Inhalt auf dem sozialen Netzwerk der Beklagten nachhaltig zu unterbinden, ist es ein probates Mittel, bei einem Verstoß das Konto des betroffenen Nutzers zu sperren und das Vertragsverhältnis zu kündigen.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte ein besonderes Interesse an einer sofortigen, nicht durch eine Fristsetzung oder Abmahnung verzögerten Beendigung des Vertragsverhältnisses gehabt. Der Kläger hatte über den Messenger Dienst der Beklagten Fotos mit CEI-Inhalt versandt. Gerade durch die digitale Verbreitung solcher Inhalte besteht die Gefahr der multiplen Weiterverbreitung. Nur durch eine sofortige Kündigung des Nutzungsverhältnisses war es der Beklagten möglich, sicherzustellen, dass der Kläger die streitgegenständlichen Fotos nicht weiterverbreitet. Der Kläger hatte die Möglichkeit, die er vorliegend genutzt hat, die Kündigung nachträglich anzugreifen und spätestens im Rahmen des zivilrechtlichen Verfahrens die Gründe für die Sperrung anzugreifen und sich hierzu Gehör zu verschaffen.

Die vorliegende Entscheidung ergänzt die Entscheidungen des BGH vom 29.7.2021, Az.: III ZR 192/20 und III ZR 179/20, in denen der BGH die aufgrund der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Facebook verhängte Sperren für unwirksam erklärt hat, weil die AGB keine vorherige verpflichtende Anhörung des Betroffenen vor Verhängung einer Sperre des Benutzerkontos vorsahen.

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