Rechtsprechungsänderung bei Unlauterkeit des Verstoßes gegen Informationspflichten in Bezug auf kommerzielle Kommunikation (Knuspermüsli II)
BGH v. 7.4.2022 - I ZR 143/19
Der Sachverhalt:
Die Beklagte stellt u.a. das vorverpackte Lebensmittel "Dr. O. Vitalis Knuspermüsli Schoko + Keks" her und vertreibt dieses in einer quaderförmigen Kartonverpackung. Eine der Schmalseiten der Verpackung enthält unter der Überschrift "Nährwertinformation" Angaben zum Brennwert und zu den Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz, und zwar zum einen bezogen auf 100 g des Produkts zum Zeitpunkt des Verkaufs und zum anderen auf eine Portion des zubereiteten Lebensmittels, bestehend aus 40 g des Produkts und 60 Milliliter Milch mit einem Fettgehalt von 1,5%. Auf der Vorderseite der Verpackung werden die Angaben zum Brennwert und zu den Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz einer solchen Portion des zubereiteten Lebensmittels wiederholt, wobei zusätzlich noch das Gewicht einer solchen Portion mit 100 g angegeben ist.
Der Kläger ist der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände. Er war der Ansicht, die Aufmachung des Produkts der Beklagten verstoße dadurch gegen die Lebensmittelinformationsverordnung, dass auf der Vorderseite der Verpackung der Brennwert nicht bezogen auf 100 g des Produkts zum Zeitpunkt des Verkaufs, sondern bezogen auf 100 g des zubereiteten Lebensmittels angegeben ist.
Das LG hat der Unterlassungsklage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat zur Abweisung der Klage geführt. Auf die Revision des Klägers hat der BGH den EuGH zur Auslegung von Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 und Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) angerufen. Der EuGH hat die Fragen wie folgt beantwortet (EuGH, Urt. v. 11.11.2021 - C-388/20 - Dr. August Oetker Nahrungsmittel):
"Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung allein für Lebensmittel gilt, bei denen eine Zubereitung erforderlich und die Zubereitungsweise vorgegeben ist."
Der BGH hat daraufhin das Urteil des OLG aufgehoben und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Gründe:
Dem Kläger steht gem. § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 5a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 UWG ein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zu.
Die Unlauterkeit des Verhaltens der Beklagten ist dabei nicht nach § 3a UWG, sondern nach § 5a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 UWG zu beurteilen. Zwar konnte sich nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des Senats die Unlauterkeit des Verstoßes gegen Informationspflichten in Bezug auf kommerzielle Kommunikation auch aus § 3a UWG und dem dieser Vorschrift der Sache nach entsprechenden § 4 Nr. 11 UWG in der bis zum 9.12.2015 geltenden Fassung ergeben. An der gleichrangigen Prüfung von § 3a UWG und § 5a Abs. 2 und Abs. 4 UWG hält der Senat allerdings in diesen Fällen nicht länger fest. Vielmehr ist die Unlauterkeit allein nach § 5a Abs. 2 und 4 UWG zu beurteilen.
Den Verbrauchern wird auf der Vorderseite der Verpackung des Produkts der Beklagten entgegen § 5a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 UWG die wesentliche Information des Brennwerts von 100 Gramm des Produkts zum Zeitpunkt des Verkaufs vorenthalten. Der Brennwert und die Nährstoffmengen sind nach Art. 32 Abs. 2 LMIV grundsätzlich je 100 g oder je 100 ml anzugeben. Davon abweichend bestimmt Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 1 LMIV, dass in den Fällen freiwilliger wiederholender Angaben gem. Art. 30 Abs. 3 Buchst. b LMIV die Nährstoffmengen - nicht aber der Brennwert - lediglich je Portion oder je Verzehreinheit ausgedrückt werden dürfen. Sofern von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, muss nach Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV der Brennwert je 100 g oder je 100 ml und zusätzlich je Portion oder je Verzehreinheit ausgedrückt werden.
Die für freiwillige wiederholende Angaben geltende Ausnahmeregelung des Art. 33 Abs. 2 LMIV erfasst beide Fälle des Art. 31 Abs. 3 LMIV. Im ersten Fall, in dem der Brennwert und die Nährstoffmengen des Lebensmittels zum Zeitpunkt seines Verkaufs anzugeben sind (Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 1 LMIV), muss danach, wenn die Nährstoffmengen lediglich je Portion oder je Verzehreinheit ausgedrückt worden sind (Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 1 LMIV), der Brennwert je 100 g oder je 100 ml und zusätzlich je Portion oder je Verzehreinheit ausgedrückt werden (Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV). Es steht nicht in Frage, dass sich alle diese Angaben auf das Lebensmittel zum Zeitpunkt seines Verkaufs beziehen müssen. Ob im zweiten Fall, in dem der Brennwert und die Nährstoffmengen eines zubereiteten Lebensmittels angegeben werden dürfen (Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV), dann, wenn die Nährstoffmengen lediglich je Portion oder je Verzehreinheit ausgedrückt worden sind (Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 1 LMIV), sich die verpflichtende Angabe zum Brennwert je 100 g oder je 100 ml und zusätzlich je Portion oder je Verzehreinheit (Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV) auf das Lebensmittel zum Zeitpunkt seines Verkaufs beziehen muss oder - zumindest auch - auf das zubereitete Lebensmittel beziehen darf, kann im Streitfall offenbleiben
Im Streitfall sind die Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV für einen Bezug auf das zubereitete Lebensmittel nicht erfüllt. Die Beklagte hätte daher im Rahmen der freiwilligen wiederholenden Angabe des Brennwerts und der Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz auf der Vorderseite der Verpackung je 100 g des Lebensmittels zum Zeitpunkt seines Verkaufs angeben müssen. Diese Informationspflicht hat die Beklagte verletzt. Auf der Vorderseite der Verpackung ist allein der Brennwert je 100 g des zubereiteten Lebensmittels angegeben.
Dem Schuldner eines Unterlassungsanspruchs kann nach § 242 BGB eine Aufbrauchfrist gewährt werden. Die Gewährung setzt voraus, dass dem Schuldner eines Unterlassungsanspruchs durch ein sofort mit der Zustellung des Titels uneingeschränkt zu beachtendes Verbot unverhältnismäßige Nachteile entstehen und die Belange sowohl des Gläubigers als auch der Allgemeinheit durch eine befristete Fortsetzung des Wettbewerbsverstoßes nicht unzumutbar beeinträchtigt werden. In der danach erforderlichen Interessenabwägung kann sich zu Lasten des Schuldners auswirken, dass er sich aufgrund einer Verurteilung in den Vorinstanzen oder aufgrund des Verlaufs des Revisionsverfahrens, etwa wegen einer vom Senat veranlassten Vorabentscheidung durch den EuGH, auf einen für ihn ungünstigen Ausgang des Revisionsverfahrens einstellen konnte und musste. Allerdings blieb der Antrag der Beklagten ohne Erfolg.
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Die Beklagte stellt u.a. das vorverpackte Lebensmittel "Dr. O. Vitalis Knuspermüsli Schoko + Keks" her und vertreibt dieses in einer quaderförmigen Kartonverpackung. Eine der Schmalseiten der Verpackung enthält unter der Überschrift "Nährwertinformation" Angaben zum Brennwert und zu den Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz, und zwar zum einen bezogen auf 100 g des Produkts zum Zeitpunkt des Verkaufs und zum anderen auf eine Portion des zubereiteten Lebensmittels, bestehend aus 40 g des Produkts und 60 Milliliter Milch mit einem Fettgehalt von 1,5%. Auf der Vorderseite der Verpackung werden die Angaben zum Brennwert und zu den Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz einer solchen Portion des zubereiteten Lebensmittels wiederholt, wobei zusätzlich noch das Gewicht einer solchen Portion mit 100 g angegeben ist.
Der Kläger ist der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände. Er war der Ansicht, die Aufmachung des Produkts der Beklagten verstoße dadurch gegen die Lebensmittelinformationsverordnung, dass auf der Vorderseite der Verpackung der Brennwert nicht bezogen auf 100 g des Produkts zum Zeitpunkt des Verkaufs, sondern bezogen auf 100 g des zubereiteten Lebensmittels angegeben ist.
Das LG hat der Unterlassungsklage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat zur Abweisung der Klage geführt. Auf die Revision des Klägers hat der BGH den EuGH zur Auslegung von Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 und Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) angerufen. Der EuGH hat die Fragen wie folgt beantwortet (EuGH, Urt. v. 11.11.2021 - C-388/20 - Dr. August Oetker Nahrungsmittel):
"Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung allein für Lebensmittel gilt, bei denen eine Zubereitung erforderlich und die Zubereitungsweise vorgegeben ist."
Der BGH hat daraufhin das Urteil des OLG aufgehoben und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Gründe:
Dem Kläger steht gem. § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 5a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 UWG ein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zu.
Die Unlauterkeit des Verhaltens der Beklagten ist dabei nicht nach § 3a UWG, sondern nach § 5a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 UWG zu beurteilen. Zwar konnte sich nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des Senats die Unlauterkeit des Verstoßes gegen Informationspflichten in Bezug auf kommerzielle Kommunikation auch aus § 3a UWG und dem dieser Vorschrift der Sache nach entsprechenden § 4 Nr. 11 UWG in der bis zum 9.12.2015 geltenden Fassung ergeben. An der gleichrangigen Prüfung von § 3a UWG und § 5a Abs. 2 und Abs. 4 UWG hält der Senat allerdings in diesen Fällen nicht länger fest. Vielmehr ist die Unlauterkeit allein nach § 5a Abs. 2 und 4 UWG zu beurteilen.
Den Verbrauchern wird auf der Vorderseite der Verpackung des Produkts der Beklagten entgegen § 5a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 UWG die wesentliche Information des Brennwerts von 100 Gramm des Produkts zum Zeitpunkt des Verkaufs vorenthalten. Der Brennwert und die Nährstoffmengen sind nach Art. 32 Abs. 2 LMIV grundsätzlich je 100 g oder je 100 ml anzugeben. Davon abweichend bestimmt Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 1 LMIV, dass in den Fällen freiwilliger wiederholender Angaben gem. Art. 30 Abs. 3 Buchst. b LMIV die Nährstoffmengen - nicht aber der Brennwert - lediglich je Portion oder je Verzehreinheit ausgedrückt werden dürfen. Sofern von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, muss nach Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV der Brennwert je 100 g oder je 100 ml und zusätzlich je Portion oder je Verzehreinheit ausgedrückt werden.
Die für freiwillige wiederholende Angaben geltende Ausnahmeregelung des Art. 33 Abs. 2 LMIV erfasst beide Fälle des Art. 31 Abs. 3 LMIV. Im ersten Fall, in dem der Brennwert und die Nährstoffmengen des Lebensmittels zum Zeitpunkt seines Verkaufs anzugeben sind (Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 1 LMIV), muss danach, wenn die Nährstoffmengen lediglich je Portion oder je Verzehreinheit ausgedrückt worden sind (Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 1 LMIV), der Brennwert je 100 g oder je 100 ml und zusätzlich je Portion oder je Verzehreinheit ausgedrückt werden (Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV). Es steht nicht in Frage, dass sich alle diese Angaben auf das Lebensmittel zum Zeitpunkt seines Verkaufs beziehen müssen. Ob im zweiten Fall, in dem der Brennwert und die Nährstoffmengen eines zubereiteten Lebensmittels angegeben werden dürfen (Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV), dann, wenn die Nährstoffmengen lediglich je Portion oder je Verzehreinheit ausgedrückt worden sind (Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 1 LMIV), sich die verpflichtende Angabe zum Brennwert je 100 g oder je 100 ml und zusätzlich je Portion oder je Verzehreinheit (Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV) auf das Lebensmittel zum Zeitpunkt seines Verkaufs beziehen muss oder - zumindest auch - auf das zubereitete Lebensmittel beziehen darf, kann im Streitfall offenbleiben
Im Streitfall sind die Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV für einen Bezug auf das zubereitete Lebensmittel nicht erfüllt. Die Beklagte hätte daher im Rahmen der freiwilligen wiederholenden Angabe des Brennwerts und der Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz auf der Vorderseite der Verpackung je 100 g des Lebensmittels zum Zeitpunkt seines Verkaufs angeben müssen. Diese Informationspflicht hat die Beklagte verletzt. Auf der Vorderseite der Verpackung ist allein der Brennwert je 100 g des zubereiteten Lebensmittels angegeben.
Dem Schuldner eines Unterlassungsanspruchs kann nach § 242 BGB eine Aufbrauchfrist gewährt werden. Die Gewährung setzt voraus, dass dem Schuldner eines Unterlassungsanspruchs durch ein sofort mit der Zustellung des Titels uneingeschränkt zu beachtendes Verbot unverhältnismäßige Nachteile entstehen und die Belange sowohl des Gläubigers als auch der Allgemeinheit durch eine befristete Fortsetzung des Wettbewerbsverstoßes nicht unzumutbar beeinträchtigt werden. In der danach erforderlichen Interessenabwägung kann sich zu Lasten des Schuldners auswirken, dass er sich aufgrund einer Verurteilung in den Vorinstanzen oder aufgrund des Verlaufs des Revisionsverfahrens, etwa wegen einer vom Senat veranlassten Vorabentscheidung durch den EuGH, auf einen für ihn ungünstigen Ausgang des Revisionsverfahrens einstellen konnte und musste. Allerdings blieb der Antrag der Beklagten ohne Erfolg.
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