24.02.2022

Rechtsprechungsänderung: Entsprechende Anwendung des § 306 ZPO bei Nichtzulassungsbeschwerden

§ 306 ZPO findet im Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde entsprechende Anwendung. Eine Zulassung der Revision und eine mündliche Verhandlung sind insofern nicht erforderlich. Abweichend von § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO kann der Klageverzicht in dieser Verfahrenslage auch vom zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers wirksam erklärt werden.

BGH v. 14.12.2021 - X ZR 147/17
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte die Beklagten gestützt auf das europäische Patent 1 482 815 (Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Das LG hat daraufhin die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb vor dem OLG erfolglos. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Das Bundespatentgericht hat das Klagepatent mit Urteil vom 22.10.2019 teilweise für nichtig erklärt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Patentinhaberin hat der Senat mit Urteil vom 28.9.2021 (X ZR 26/20) zurückgewiesen. Die durch ihre zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vertretene Klägerin hat danach zunächst die Rücknahme der Klage erklärt. Die Beklagten haben mitgeteilt, dass sie dem nicht zustimmen. Die Klägerin hat daraufhin - ebenfalls durch ihre zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten - auf den Klageanspruch verzichtet. Die Beklagten haben mitgeteilt, nach Zulassung der Revision müsse ein Verzichtsurteil ergehen.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat der BGH das Urteil des OLG aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Gründe:
Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Senats kann ein Verzichtsurteil auch im Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde ergehen. Einer vorherigen Zulassung der Revision bedarf es nicht.

§ 306 ZPO findet im Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde entsprechende Anwendung (§ 555 Abs. 1 ZPO). Nach BGH-Rechtsprechung folgt aus der Dispositionsmaxime, dass die Parteien, soweit deren Dispositionsbefugnis reicht, in jeder Lage des Verfahrens die Möglichkeit haben müssen, dieses durch Anerkenntnisurteil unmittelbar zu beenden. Würde die Möglichkeit des Anerkenntnisses erst nach Zulassung der Revision eröffnet, liefe dies dem Gesetzeszweck des § 307 BGB zuwider. Für einen Klageverzicht i.S.v. § 306 BGB kann nichts anderes gelten. Eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich. Abweichend von § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO kann der Klageverzicht in dieser Verfahrenslage auch vom zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers wirksam erklärt werden.

Ein schriftliches Verfahren i.S.v. § 128 Abs. 2 ZPO kommt in dieser Verfahrenslage ebenfalls nicht in Betracht. Ob ein Klageverzicht auch in Verfahrensarten, in denen die Entscheidung grundsätzlich aufgrund mündlicher Verhandlung zu ergehen hat, außerhalb der mündlichen Verhandlung und außerhalb eines schriftlichen Verfahrens nach § 128 Abs. 2 ZPO wirksam erklärt werden kann, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.

Der Senat hat in zwei früheren Entscheidungen die Auffassung vertreten, dass ein Verzichtsurteil nur nach Zulassung der Revision und mündlicher Verhandlung ergehen kann (BGH, Beschl. v. 28.9.2010 - X ZR 112/07; Urt. v. 16.6.1987 - X ZR 102/85). Hieran hält der Senat nach erneuter Überprüfung im Hinblick auf die BGH-Rechtsprechung zur Möglichkeit eines Anerkenntnisurteils im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr fest.

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