01.12.2022

Rechtsschutzversicherung: (Kosten-)Schaden des Mandanten infolge einer Beratungspflichtverletzung des Rechtsanwalts

Der Deckungsanspruch gegen seinen Rechtsschutzversicherer schließt die Annahme eines (Kosten-)Schadens des Mandanten infolge einer Beratungspflichtverletzung des Rechtsanwalts auch dann nicht aus, wenn der Mandant nur einen Auftrag unter der Bedingung einer Deckungszusage erteilt.

BGH v. 29.9.2022 - IX ZR 204/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt den beklagten Rechtsanwalt aus abgetretenem Recht seines Rechtsschutzversicherers auf Ersatz eines Kostenschadens in Anspruch. Der Schaden soll dadurch entstanden sein, dass der Beklagte einen von vornherein aussichtslosen Rechtsstreit geführt habe.

Der Beklagte erwirkte in 2009 im Auftrag des Klägers gegen K. A. ein Versäumnisurteil über eine Hauptforderung i.H.v. 30.000 € nebst Zinsen. Im Oktober 2011 beauftragte der Kläger den Beklagten, gegenüber der Bank des A. als Drittschuldnerin vorzugehen und hierfür bei dem Rechtsschutzversicherer des Klägers eine Deckungszusage zu erwirken. Nachdem der Rechtsschutzversicherer die Deckungszusage erteilt hatte, beantragte der Beklagte den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bzgl. angeblicher Ansprüche des A. gegen die Bank "aus allen bestehenden Geschäftsverbindungen, sämtlicher Art und Rechtsnatur", der antragsgemäß erlassen wurde.

Nach Zustellung des Beschlusses erklärte die Bank, eine Kontoverbindung zu A. würde nicht mehr bestehen. Der Beklagte erhob Klage gegen die Bank, gerichtet auf Auskunft und Zahlung. Das LG wies die Klage ab. Das OLG erteilte einen Hinweis gem. § 522 Abs. 2 ZPO, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg habe, da die gepfändete Forderung in dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht hinreichend bestimmt sei. Mit Beschluss vom 10.12.2012 wies das OLG die Berufung zurück. Der Kläger verlangt mit seiner Klage Schadensersatz wegen der erfolglosen Prozessführung gegen die Bank.

Das LG wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers, mit der nur noch die Rechtsverfolgungskosten geltend gemacht werden, wies das OLG zurück. Auf die Revision des Klägers hob der BGH Das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Ein unter dem Gesichtspunkt der Rechtsanwaltshaftung in Betracht kommender und für das Revisionsverfahren zu unterstellender Schadensersatzanspruch des Klägers gegen den Beklagten wäre auf den Rechtsschutzversicherer des Klägers übergegangen (§ 86 Abs. 1 VVG). Dieser Anspruch konnte an den Kläger zurückabgetreten werden.

Die Rechtsschutzversicherung ist eine Schadensversicherung, für die § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG gilt. Nach dieser Regelung geht ein dem Versicherungsnehmer gegen einen Dritten zustehender Ersatzanspruch auf den Versicherer über, soweit dieser den Schaden ersetzt. Hierbei handelt es sich um einen gesetzlichen Anspruchsübergang i.S.v. § 412 BGB. Die Voraussetzungen für den Anspruchsübergang sind erfüllt. Der streitgegenständliche Schadensersatzanspruch des Klägers gegen den Beklagten ist ein Ersatzanspruch i.S.d. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG. Der Annahme eines Ersatzanspruchs gem. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG steht der versicherungsvertragliche Deckungsanspruch nicht entgegen. Dieser schließt die Annahme eines (Kosten-)Schadens des Versicherungsnehmers nicht aus. Die Auffassung des OLG, der Kläger habe bzgl. der angefallenen Rechtsverfolgungskosten zu keinem Zeitpunkt einen Vermögensschaden erlitten, der eine Schadensersatzforderung gegen den Beklagten begründen würde, die nach § 86 Abs. 1 VVG auf den Rechtsschutzversicherer habe übergehen können, ist nicht zu teilen.

Ausgangspunkt einer Schadensberechnung ist die sog. Differenzhypothese. Hiernach beurteilt sich die Frage, ob und inwieweit ein nach den §§ 249 ff BGB zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, nach einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre. Erforderlich ist ein Gesamtvermögensvergleich, der alle von dem haftungsbegründenden Ereignis betroffenen finanziellen Positionen umfasst. Diese Differenzrechnung muss stets einer normativen Kontrolle unterzogen werden, weil sie eine wertneutrale Rechenoperation darstellt. Dabei ist einerseits das konkrete haftungsbegründende Ereignis als Haftungsgrundlage zu berücksichtigen. Andererseits ist die darauf beruhende Vermögensminderung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände sowie der Verkehrsauffassung in die Betrachtung einzubeziehen. Erforderlich ist also eine wertende Überprüfung des anhand der Differenzhypothese gewonnenen Ergebnisses gemessen am Schutzzweck der Haftung und an der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes.

In der Rechtsschutzversicherung stellt der Anspruch auf Kostenbefreiung die Hauptleistung des Versicherers dar. Die Kosten der Rechtsverfolgung bilden den Schaden, dessen Deckung der Rechtsschutzversicherer übernommen hat. Entschließt sich der Versicherungsnehmer in Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen zu einem gerichtlichen Vorgehen, handelt es sich bei den für das Verfahren anfallenden Kosten um seinen Schaden. Dies gilt auch dann, wenn - wie das OLG annimmt - der Mandant nur einen Auftrag unter der Bedingung einer Deckungszusage erteilt.

Der Rechtsschutzversicherer hat die Kosten des Rechtsstreits aufgrund der dem Kläger erteilten Deckungszusage getragen. Dass die Deckungszusage in dem Wissen erteilt worden sei, ein Deckungsanspruch bestehe nicht, ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich. Die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs durch den Rechtsschutzversicherer aus übergegangenem Recht verstößt nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Die Rechtsverfolgung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Rechtsschutzversicherer die Deckungsanfrage des Beklagten geprüft und die zur Begründung des Schadensersatzanspruchs des Klägers geltend gemachte Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung selbst hätte erkennen können.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Gesetzlicher Forderungsübergang: Isolierte Drittwiderklage gegen den ursprünglichen Forderungsinhaber
BGH vom 27.04.2022 - IV ZR 344/20
MDR 2022, 1237

Auch nachzulesen im Aktionsmodul Zivilrecht:
Sie können Tage nicht länger machen, aber effizienter. 6 Module vereint mit führenden Kommentaren, Handbüchern und Zeitschriften für die zivilrechtliche Praxis. Neu: Online-Unterhaltsrechner. Jetzt zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. 4 Wochen gratis nutzen!
BGH online
Zurück