Sandalen können ein Werk der angewandten Kunst darstellen
LG Köln v. 3.3.2022 - 14 O 366/21
Der Sachverhalt:
Die Verfügungsklägerin ist Teil eines international tätigen Schuhherstellers. Die Verfügungsbeklagte gehört zur Wortmann-Gruppe, eines europäischen Herstellers von Schuhen. Die Verfügungsbeklagte vertreibt Schuhe innerhalb und außerhalb der EU unter der Marke "P " als Lizenznehmer der P C1G GmbH & Co. KG.
Die Verfügungsklägerin hat P mit Schreiben am 6.9.2021 wegen der beiden streitgegenständlichen, von der Verfügungsbeklagten hergestellten Sandalenmodelle abgemahnt. P hat am 14.9.2021 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Unterlassungserklärung abgegeben und die Verfügungsbeklagte als Lieferanten benannt. Die Verfügungsklägerin hat daraufhin am 12.10.2021 die Verfügungsbeklagte abgemahnt und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert. Dies hat die Verfügungsbeklagte am 19.10.2021 abgelehnt. Das LG hat dem Verfügungsantrag am 3.11.2021 stattgegeben.
Die Verfügungsbeklagte war u.a. der Ansicht, dass es fraglich sei, ob eine Sandale eine Skulptur sein könne und welcher Bedeutungsgehalt vor diesem Hintergrund der Beschreibung als skulptural zukomme. Nach Widerspruch der Verfügungsbeklagten hat das LG die einstweilige Verfügung vom 3.11.2021 bestätigt.
Die Gründe:
Die Verfügungsklägerin hat das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des aus § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG i.V.m. §§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, 15 Abs. 1 Nr. 2, 17 Abs. 1 UrhG folgenden Unterlassungsanspruchs gegen die Verfügungsbeklagte dargelegt und glaubhaft gemacht.
Die streitgegenständlichen Schuhmodelle stellen persönliche geistige Schöpfungen i.S.d. § 2 Abs. 2 UrhG dar. Danach gehören Werke der bildenden Kunst einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke zu den urheberrechtlich geschützten Werken, sofern sie nach § 2 Abs. 2 UrhG persönliche geistige Schöpfungen sind. In der Sache sollen diese Maßstäbe dem unionsrechtlichen Begriff des urheberrechtlich geschützten Werkes im Sinne der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft entsprechen. Dabei handelt es sich nach EuGH-Rechtsprechung um einen autonomen Begriff des Unionsrechts, der in der gesamten Union einheitlich auszulegen und anzuwenden sein soll.
Für eine Einstufung eines Objekts als Werk müssen danach zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt. Zum anderen ist die Einstufung als Werk Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen. Dafür ist ein mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbarer Gegenstand Voraussetzung, auch wenn diese Ausdrucksform nicht notwendig dauerhaft sein sollte.
Gegen die Annahme eines unionsrechtlich vereinheitlichten Werkbegriffs bestehen - jedenfalls für den Bereich der angewandten Kunst - grundsätzliche Bedenken. Vielmehr sind - unter Berücksichtigung von Art. 17 der Richtlinie 98/71/EG sowie der Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung und der Subsidiarität gemäß Art. 5 EU-Vertrag - die nationalen Gerichte zur Beurteilung der für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst maßgeblichen Gestaltungshöhe und der Werkqualität kompetent. Den nationalen Gerichten - auch wenn man einen einheitlichen, unionsweiten Werkbegriff grundsätzlich anerkennt - steht bei der Anwendung des Werkbegriffs bei den einzelnen Werkarten jedenfalls ein umfassender Beurteilungsspielraum zu.
Das Vorhandensein einer Schöpfung, von Individualität und Originalität lässt sich nicht allein aus den objektiven Eigenschaften des jeweiligen Werkes herleiten. Vielmehr sind diese Merkmale anhand ihrer Relation zum konkreten Schaffensprozess zu betrachten. Die Werk-Schöpfer-Beziehung kann weder aus einer einseitigen Betrachtung der Person des Urhebers heraus noch durch Analyse seines Werkes allein adäquat erfasst werden. Maßgeblich ist, nach welchen Regeln der Urheber eines bestimmten Werkes gearbeitet hat, wohingegen keine Rolle spielt, ob er sich dessen bewusst war. Wenn bestehende Regeln vorgeben, wie der Erschaffer eines Produkts auf einem bestimmten Gebiet dieses zu fertigen hat - etwa anhand von erlernten Verarbeitungstechniken und Formgestaltungsregeln - bestehen keine Gestaltungsspielräume mehr, mit der Folge, dass die Entfaltung von Individualität dann nicht mehr möglich ist.
Zu einem schöpferischen Werk wird ein Produkt erst dann, wenn der Schöpfer von vorhandenen und praktizierten Gestaltungsgepflogenheiten abweichende Regeln einführt und danach handelt, indem er ein materielles Erzeugnis produziert, das als Beispiel oder Muster für seine selbstgesetzten Regeln dienen kann. Abzustellen ist nicht in erster Linie auf einzelne Gestaltungselemente, sondern auf den Gesamteindruck, den das Werk dem Betrachter vermittelt.
Die technische Bedingtheit eines Produkts durch die Anwendung technischer Regeln und Gesetzmäßigkeiten kann den Spielraum des Gestalters beschränken, wenn eine technische Idee mit einer bestimmten Ausdrucksform zusammenfällt, diese Ausdrucksform technisch notwendig ist und damit schöpferisches Gestalten unmöglich macht. Technische Lehren können Spielräume des Gestalters aber auch erweitern, etwa, wenn dieser sich die kausalen Eigenschaften bestimmter Materialien oder vorhandener Gegenstände gerade zunutze macht, um mit diesen zu experimentieren, sie zu kombinieren und auszuloten, welche Gestaltungsmöglichkeiten sie bieten.
Lässt sich ausschließen, dass ein Gestalter vollständig nach vorgegebenen Regeln gearbeitet hat, ist zu folgern, dass er jedenfalls in gewissem Umfang eigene schöpferische Entscheidungen getroffen hat. Dann spricht eine Vermutung dafür, dass er den gegebenen Gestaltungsspielraum tatsächlich genutzt hat, um sein geistiges Produkt hervorzubringen. Und diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall erfüllt.
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Justiz NRW
Die Verfügungsklägerin ist Teil eines international tätigen Schuhherstellers. Die Verfügungsbeklagte gehört zur Wortmann-Gruppe, eines europäischen Herstellers von Schuhen. Die Verfügungsbeklagte vertreibt Schuhe innerhalb und außerhalb der EU unter der Marke "P " als Lizenznehmer der P C1G GmbH & Co. KG.
Die Verfügungsklägerin hat P mit Schreiben am 6.9.2021 wegen der beiden streitgegenständlichen, von der Verfügungsbeklagten hergestellten Sandalenmodelle abgemahnt. P hat am 14.9.2021 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Unterlassungserklärung abgegeben und die Verfügungsbeklagte als Lieferanten benannt. Die Verfügungsklägerin hat daraufhin am 12.10.2021 die Verfügungsbeklagte abgemahnt und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert. Dies hat die Verfügungsbeklagte am 19.10.2021 abgelehnt. Das LG hat dem Verfügungsantrag am 3.11.2021 stattgegeben.
Die Verfügungsbeklagte war u.a. der Ansicht, dass es fraglich sei, ob eine Sandale eine Skulptur sein könne und welcher Bedeutungsgehalt vor diesem Hintergrund der Beschreibung als skulptural zukomme. Nach Widerspruch der Verfügungsbeklagten hat das LG die einstweilige Verfügung vom 3.11.2021 bestätigt.
Die Gründe:
Die Verfügungsklägerin hat das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des aus § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG i.V.m. §§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, 15 Abs. 1 Nr. 2, 17 Abs. 1 UrhG folgenden Unterlassungsanspruchs gegen die Verfügungsbeklagte dargelegt und glaubhaft gemacht.
Die streitgegenständlichen Schuhmodelle stellen persönliche geistige Schöpfungen i.S.d. § 2 Abs. 2 UrhG dar. Danach gehören Werke der bildenden Kunst einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke zu den urheberrechtlich geschützten Werken, sofern sie nach § 2 Abs. 2 UrhG persönliche geistige Schöpfungen sind. In der Sache sollen diese Maßstäbe dem unionsrechtlichen Begriff des urheberrechtlich geschützten Werkes im Sinne der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft entsprechen. Dabei handelt es sich nach EuGH-Rechtsprechung um einen autonomen Begriff des Unionsrechts, der in der gesamten Union einheitlich auszulegen und anzuwenden sein soll.
Für eine Einstufung eines Objekts als Werk müssen danach zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt. Zum anderen ist die Einstufung als Werk Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen. Dafür ist ein mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbarer Gegenstand Voraussetzung, auch wenn diese Ausdrucksform nicht notwendig dauerhaft sein sollte.
Gegen die Annahme eines unionsrechtlich vereinheitlichten Werkbegriffs bestehen - jedenfalls für den Bereich der angewandten Kunst - grundsätzliche Bedenken. Vielmehr sind - unter Berücksichtigung von Art. 17 der Richtlinie 98/71/EG sowie der Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung und der Subsidiarität gemäß Art. 5 EU-Vertrag - die nationalen Gerichte zur Beurteilung der für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst maßgeblichen Gestaltungshöhe und der Werkqualität kompetent. Den nationalen Gerichten - auch wenn man einen einheitlichen, unionsweiten Werkbegriff grundsätzlich anerkennt - steht bei der Anwendung des Werkbegriffs bei den einzelnen Werkarten jedenfalls ein umfassender Beurteilungsspielraum zu.
Das Vorhandensein einer Schöpfung, von Individualität und Originalität lässt sich nicht allein aus den objektiven Eigenschaften des jeweiligen Werkes herleiten. Vielmehr sind diese Merkmale anhand ihrer Relation zum konkreten Schaffensprozess zu betrachten. Die Werk-Schöpfer-Beziehung kann weder aus einer einseitigen Betrachtung der Person des Urhebers heraus noch durch Analyse seines Werkes allein adäquat erfasst werden. Maßgeblich ist, nach welchen Regeln der Urheber eines bestimmten Werkes gearbeitet hat, wohingegen keine Rolle spielt, ob er sich dessen bewusst war. Wenn bestehende Regeln vorgeben, wie der Erschaffer eines Produkts auf einem bestimmten Gebiet dieses zu fertigen hat - etwa anhand von erlernten Verarbeitungstechniken und Formgestaltungsregeln - bestehen keine Gestaltungsspielräume mehr, mit der Folge, dass die Entfaltung von Individualität dann nicht mehr möglich ist.
Zu einem schöpferischen Werk wird ein Produkt erst dann, wenn der Schöpfer von vorhandenen und praktizierten Gestaltungsgepflogenheiten abweichende Regeln einführt und danach handelt, indem er ein materielles Erzeugnis produziert, das als Beispiel oder Muster für seine selbstgesetzten Regeln dienen kann. Abzustellen ist nicht in erster Linie auf einzelne Gestaltungselemente, sondern auf den Gesamteindruck, den das Werk dem Betrachter vermittelt.
Die technische Bedingtheit eines Produkts durch die Anwendung technischer Regeln und Gesetzmäßigkeiten kann den Spielraum des Gestalters beschränken, wenn eine technische Idee mit einer bestimmten Ausdrucksform zusammenfällt, diese Ausdrucksform technisch notwendig ist und damit schöpferisches Gestalten unmöglich macht. Technische Lehren können Spielräume des Gestalters aber auch erweitern, etwa, wenn dieser sich die kausalen Eigenschaften bestimmter Materialien oder vorhandener Gegenstände gerade zunutze macht, um mit diesen zu experimentieren, sie zu kombinieren und auszuloten, welche Gestaltungsmöglichkeiten sie bieten.
Lässt sich ausschließen, dass ein Gestalter vollständig nach vorgegebenen Regeln gearbeitet hat, ist zu folgern, dass er jedenfalls in gewissem Umfang eigene schöpferische Entscheidungen getroffen hat. Dann spricht eine Vermutung dafür, dass er den gegebenen Gestaltungsspielraum tatsächlich genutzt hat, um sein geistiges Produkt hervorzubringen. Und diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall erfüllt.
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