Sanierungsversuch? Gegenbeweis durch Anfechtungsgegner nach Gewährung inkongruenter Deckung durch den Schuldner bei drohender Zahlungsunfähigkeit
BGH v. 18.1.2024 - IX ZR 6/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 18.9.2006 am 1.12.2006 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der E. OHG (Schuldnerin). Die Schuldnerin produzierte und vertrieb Modelleisenbahnen und hatte bei den fünf beklagten Banken, im Fall der Beklagten zu 4) und 5) bei deren Rechtsvorgängerinnen, erhebliche Verbindlichkeiten. Nachdem die Kreditlinie der Schuldnerin bei der Beklagten zu 1) am 19.4.2005 ausgelaufen war, fand am 31.5.2005, dem Tag des Auslaufens der Kreditlinie auch bei der Beklagten zu 4, ein Treffen statt, bei dem die Beklagten von der Schuldnerin eine Nachbesicherung forderten. Die Schuldnerin gab zur Prüfung ihrer Sanierungsfähigkeit und -würdigkeit bei der Nebenintervenientin ein Gutachten in Auftrag. Die Beklagten zu 1) und 4) stundeten ihre Forderungen bis zum 15.8.2005. Die Laufzeiten der Kredite der Beklagten zu 2) und 3) endeten erst am 30.9.2005, das Darlehen der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 5) war langfristiger Natur.
Die Rechtsanwälte der Schuldnerin erklärten dieser mit Anwaltsschreiben vom 6.6.2005, dass sie eine Nachbesicherung bestehender Betriebsmittellinien in der Krise für rechtlich äußerst bedenklich hielten und ein Insolvenzverwalter die Bestellung der Sicherheiten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anfechten werde. Die auf Seiten der Banken verhandlungsführende Beklagte zu 1) übersandte der Schuldnerin in den Wochen nach dem Treffen vom 31.5.2005 Verträge über Nachbesicherungen. Die darunter befindliche Sicherungsübereignung des gesamten Warenlagers zeichnete die Schuldnerin am 24.6.2005 gegen und sandte sie an die Beklagte zu 1) zurück. Die weiteren Verträge über Globalzessionen hinsichtlich gegenwärtiger und zukünftiger Forderungen der Schuldnerin gegenüber verschiedenen Drittschuldnern und über eine Sicherungsübereignung ihres Anlagevermögens unterzeichnete die Schuldnerin am 13.7.2005, reichte sie aber nicht an die Beklagte zu 1) zurück, sondern übermittelte sie an ihre Rechtsanwälte mit der Auflage, sie erst dann weiterzuleiten, wenn dies strafrechtlich unbedenklich sei.
Am 12.8.2005 legte die Nebenintervenientin ihr Sanierungsgutachten vor, in dem die Schuldnerin insbesondere unter den Prämissen, dass die Umsätze steigen würden, die in den USA tätige Tochtergesellschaft Verbindlichkeiten gegenüber der Schuldnerin begleichen würde und die Banken die Kredite bis Ende 2007 prolongieren würden, als sanierungsfähig angesehen wurde. Am 30.8.2005 erklärten sich die Beklagten grundsätzlich zur Finanzierung bis zum 31.3.2006 bereit. Am selben Tag übergaben die Rechtsanwälte der Schuldnerin der Beklagten zu 1) die unterschriebenen Verträge betreffend die Nachbesicherungen und erklärten die Freigabe "Zug um Zug gegen eine Erklärung des Bankenpools", dass bis zum 31.3.2006 prolongiert werde. Durch Übersendung entsprechender Dokumente am 23.9.2005 verpfändete die Schuldnerin ferner Markenrechte an die Beklagten und trat ihnen Ansprüche aus Lizenzverträgen ab. Der Kläger focht die Nachbesicherungen an.
LG und OLG wiesen die Klage - soweit noch von Interesse - in Bezug auf die Feststellung des Nichtbestehens von Ansprüchen oder Rechten der Beklagten zu 1) aus den fünf Globalzessionsverträgen und dem Sicherungsübereignungsvertrag vom 13.7.2005 und aller Beklagten aus dem Verpfändungs- und Abtretungsvertrag vom 23.9.2005. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Die Begründung, mit der das OLG den Beweis als nicht geführt ansieht, dass die Schuldnerin mit Benachteiligungsvorsatz handelte, ist rechtsfehlerhaft. Insbesondere beruht die Befassung des OLG mit dem Beweisanzeichen der Inkongruenz auf einem Fehlverständnis des Senatsurteils vom 6.5.2021 (IX ZR 72/20). Zudem weisen seine Feststellungen zum Sanierungskonzept durchgreifende Rechtsfehler auf.
Für einen Benachteiligungsvorsatz spricht die Inkongruenz der Leistung bei gleichzeitig beengten finanziellen Verhältnissen. Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des OLG erfüllt. Weiter rechtsfehlerfrei nimmt das OLG an, dass die Schuldnerin zum Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlungen drohend zahlungsunfähig war. Zu Unrecht meint das OLG, dass der Kläger vor diesem Hintergrund auch zu beweisen hätte, dass die Schuldnerin die sichere Erwartung ihrer Zahlungsunfähigkeit gehabt haben müsse. Unzutreffend ist die Auffassung des OLG, die neue Ausrichtung der Vorsatzanfechtung finde auch im Fall der inkongruenten Deckung Anwendung.
Gewährt der Schuldner dem Anfechtungsgegner im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine inkongruente Deckung und hat die Inkongruenz ein erhebliches Gewicht, obliegt dem Anfechtungsgegner (hier: den Beklagten) der Gegenbeweis, dass die angefochtene Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften, wenn auch letztlich fehlgeschlagenen Sanierungsversuchs war. Das OLG übersieht, dass im Streitfall bereits die Inkongruenz der gewährten Sicherheiten und die drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin den Schluss auf den Benachteiligungsvorsatz tragen. Dass sich nicht feststellen lässt, dass die Schuldnerin in der sicheren Erwartung ihrer Zahlungsunfähigkeit gehandelt hat, steht einem Schluss auf den Benachteiligungsvorsatz nicht entgegen.
Nach den bisherigen Feststellungen des OLG haben die Beklagten den ihnen obliegenden Gegenbeweis nicht geführt. Die vom OLG getroffenen Feststellungen zur Tauglichkeit des Sanierungskonzepts sind von Rechts- und Verfahrensirrtum beeinflusst. Rechtsfehlerhaft meint das OLG, es lasse sich nicht feststellen, dass die Schuldnerin Anlass gehabt hätte, der sich aus dem Sanierungsgutachten ergebenden positiven Prognose für eine Sanierungsfähigkeit zu misstrauen. Die Erwägungen, mit denen das OLG die Kenntnis der Beklagten vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin verneint hat, sind von Rechts- und Verfahrensirrtum beeinflusst. Die Beklagten wussten von der zumindest drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin spätestens im Zeitpunkt des Treffens vom 31.5.2005, bei dem sie eine Nachbesicherung forderten und infolgedessen ein Gutachten zur Sanierungsfähigkeit und -würdigkeit der Schuldnerin in Auftrag gegeben wurde. Damit greift die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO ein.
Wird die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz vermutet, muss der Anfechtungsgegner den Beweis des Gegenteils führen. Zur Widerlegung der Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO genügt es, wenn der Anfechtungsgegner konkrete Umstände darlegt und beweist, die es naheliegend erscheinen lassen, dass ihm im Hinblick auf den Sanierungsversuch der (hier unterstellte) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners unbekannt geblieben war. Hierbei darf sich der Anfechtungsgegner grundsätzlich auf schlüssige Angaben des Schuldners oder seines beauftragten Sanierungsberaters verlassen, solange er keine (erheblichen) Anhaltspunkte dafür hat, dass er getäuscht werden soll oder dass der Sanierungsplan keine Aussicht auf Erfolg hat. Beruht die Insolvenz des Schuldners nicht lediglich auf dem Ausfall berechtigter Forderungen, sondern - wie im Regelfall und so auch hier - vor allem auf dem dauerhaft unwirtschaftlichen Betrieb des Unternehmens, kann ein Gläubiger von einem erfolgversprechenden Sanierungskonzept nur ausgehen, wenn vom Schuldner oder dessen Beratern zumindest die Grundlagen einer weitergehenden Sanierung schlüssig dargelegt wurden.
Zweifel am Vertrauen auf einen ernsthaften und erfolgversprechenden Sanierungsversuch können bestehen, wenn der Anfechtungsgegner im Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung nur zu geringeren als den von ihm nach dem Sanierungsgutachten geforderten Beiträgen bereit war. Das OLG hat sich nicht hinreichend mit dem Gesichtspunkt auseinandergesetzt, dass die Beklagten im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlungen nicht zu einer dem Sanierungskonzept entsprechenden Finanzierung durch Prolongation der Kredite bis Ende 2007, sondern nur bis zum 31.3.2006 bereit waren. Damit stand bei Vornahme der Rechtshandlungen lediglich ein Sanierungszeitraum von weniger als acht Monaten statt, wie im Sanierungsgutachten als Prämisse für die Sanierungsfähigkeit vorgesehen, eines Zeitraums von gut 28 Monaten zur Verfügung. Dass die Beklagten nach März 2006 zu weiterem Stillhalten bereit gewesen sein mögen, ändert nichts daran, dass es im anfechtungsrechtlich maßgeblichen Zeitpunkt an der laut Sanierungsgutachten geforderten Prolongation mangelte.
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Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 18.9.2006 am 1.12.2006 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der E. OHG (Schuldnerin). Die Schuldnerin produzierte und vertrieb Modelleisenbahnen und hatte bei den fünf beklagten Banken, im Fall der Beklagten zu 4) und 5) bei deren Rechtsvorgängerinnen, erhebliche Verbindlichkeiten. Nachdem die Kreditlinie der Schuldnerin bei der Beklagten zu 1) am 19.4.2005 ausgelaufen war, fand am 31.5.2005, dem Tag des Auslaufens der Kreditlinie auch bei der Beklagten zu 4, ein Treffen statt, bei dem die Beklagten von der Schuldnerin eine Nachbesicherung forderten. Die Schuldnerin gab zur Prüfung ihrer Sanierungsfähigkeit und -würdigkeit bei der Nebenintervenientin ein Gutachten in Auftrag. Die Beklagten zu 1) und 4) stundeten ihre Forderungen bis zum 15.8.2005. Die Laufzeiten der Kredite der Beklagten zu 2) und 3) endeten erst am 30.9.2005, das Darlehen der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 5) war langfristiger Natur.
Die Rechtsanwälte der Schuldnerin erklärten dieser mit Anwaltsschreiben vom 6.6.2005, dass sie eine Nachbesicherung bestehender Betriebsmittellinien in der Krise für rechtlich äußerst bedenklich hielten und ein Insolvenzverwalter die Bestellung der Sicherheiten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anfechten werde. Die auf Seiten der Banken verhandlungsführende Beklagte zu 1) übersandte der Schuldnerin in den Wochen nach dem Treffen vom 31.5.2005 Verträge über Nachbesicherungen. Die darunter befindliche Sicherungsübereignung des gesamten Warenlagers zeichnete die Schuldnerin am 24.6.2005 gegen und sandte sie an die Beklagte zu 1) zurück. Die weiteren Verträge über Globalzessionen hinsichtlich gegenwärtiger und zukünftiger Forderungen der Schuldnerin gegenüber verschiedenen Drittschuldnern und über eine Sicherungsübereignung ihres Anlagevermögens unterzeichnete die Schuldnerin am 13.7.2005, reichte sie aber nicht an die Beklagte zu 1) zurück, sondern übermittelte sie an ihre Rechtsanwälte mit der Auflage, sie erst dann weiterzuleiten, wenn dies strafrechtlich unbedenklich sei.
Am 12.8.2005 legte die Nebenintervenientin ihr Sanierungsgutachten vor, in dem die Schuldnerin insbesondere unter den Prämissen, dass die Umsätze steigen würden, die in den USA tätige Tochtergesellschaft Verbindlichkeiten gegenüber der Schuldnerin begleichen würde und die Banken die Kredite bis Ende 2007 prolongieren würden, als sanierungsfähig angesehen wurde. Am 30.8.2005 erklärten sich die Beklagten grundsätzlich zur Finanzierung bis zum 31.3.2006 bereit. Am selben Tag übergaben die Rechtsanwälte der Schuldnerin der Beklagten zu 1) die unterschriebenen Verträge betreffend die Nachbesicherungen und erklärten die Freigabe "Zug um Zug gegen eine Erklärung des Bankenpools", dass bis zum 31.3.2006 prolongiert werde. Durch Übersendung entsprechender Dokumente am 23.9.2005 verpfändete die Schuldnerin ferner Markenrechte an die Beklagten und trat ihnen Ansprüche aus Lizenzverträgen ab. Der Kläger focht die Nachbesicherungen an.
LG und OLG wiesen die Klage - soweit noch von Interesse - in Bezug auf die Feststellung des Nichtbestehens von Ansprüchen oder Rechten der Beklagten zu 1) aus den fünf Globalzessionsverträgen und dem Sicherungsübereignungsvertrag vom 13.7.2005 und aller Beklagten aus dem Verpfändungs- und Abtretungsvertrag vom 23.9.2005. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Die Begründung, mit der das OLG den Beweis als nicht geführt ansieht, dass die Schuldnerin mit Benachteiligungsvorsatz handelte, ist rechtsfehlerhaft. Insbesondere beruht die Befassung des OLG mit dem Beweisanzeichen der Inkongruenz auf einem Fehlverständnis des Senatsurteils vom 6.5.2021 (IX ZR 72/20). Zudem weisen seine Feststellungen zum Sanierungskonzept durchgreifende Rechtsfehler auf.
Für einen Benachteiligungsvorsatz spricht die Inkongruenz der Leistung bei gleichzeitig beengten finanziellen Verhältnissen. Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des OLG erfüllt. Weiter rechtsfehlerfrei nimmt das OLG an, dass die Schuldnerin zum Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlungen drohend zahlungsunfähig war. Zu Unrecht meint das OLG, dass der Kläger vor diesem Hintergrund auch zu beweisen hätte, dass die Schuldnerin die sichere Erwartung ihrer Zahlungsunfähigkeit gehabt haben müsse. Unzutreffend ist die Auffassung des OLG, die neue Ausrichtung der Vorsatzanfechtung finde auch im Fall der inkongruenten Deckung Anwendung.
Gewährt der Schuldner dem Anfechtungsgegner im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine inkongruente Deckung und hat die Inkongruenz ein erhebliches Gewicht, obliegt dem Anfechtungsgegner (hier: den Beklagten) der Gegenbeweis, dass die angefochtene Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften, wenn auch letztlich fehlgeschlagenen Sanierungsversuchs war. Das OLG übersieht, dass im Streitfall bereits die Inkongruenz der gewährten Sicherheiten und die drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin den Schluss auf den Benachteiligungsvorsatz tragen. Dass sich nicht feststellen lässt, dass die Schuldnerin in der sicheren Erwartung ihrer Zahlungsunfähigkeit gehandelt hat, steht einem Schluss auf den Benachteiligungsvorsatz nicht entgegen.
Nach den bisherigen Feststellungen des OLG haben die Beklagten den ihnen obliegenden Gegenbeweis nicht geführt. Die vom OLG getroffenen Feststellungen zur Tauglichkeit des Sanierungskonzepts sind von Rechts- und Verfahrensirrtum beeinflusst. Rechtsfehlerhaft meint das OLG, es lasse sich nicht feststellen, dass die Schuldnerin Anlass gehabt hätte, der sich aus dem Sanierungsgutachten ergebenden positiven Prognose für eine Sanierungsfähigkeit zu misstrauen. Die Erwägungen, mit denen das OLG die Kenntnis der Beklagten vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin verneint hat, sind von Rechts- und Verfahrensirrtum beeinflusst. Die Beklagten wussten von der zumindest drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin spätestens im Zeitpunkt des Treffens vom 31.5.2005, bei dem sie eine Nachbesicherung forderten und infolgedessen ein Gutachten zur Sanierungsfähigkeit und -würdigkeit der Schuldnerin in Auftrag gegeben wurde. Damit greift die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO ein.
Wird die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz vermutet, muss der Anfechtungsgegner den Beweis des Gegenteils führen. Zur Widerlegung der Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO genügt es, wenn der Anfechtungsgegner konkrete Umstände darlegt und beweist, die es naheliegend erscheinen lassen, dass ihm im Hinblick auf den Sanierungsversuch der (hier unterstellte) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners unbekannt geblieben war. Hierbei darf sich der Anfechtungsgegner grundsätzlich auf schlüssige Angaben des Schuldners oder seines beauftragten Sanierungsberaters verlassen, solange er keine (erheblichen) Anhaltspunkte dafür hat, dass er getäuscht werden soll oder dass der Sanierungsplan keine Aussicht auf Erfolg hat. Beruht die Insolvenz des Schuldners nicht lediglich auf dem Ausfall berechtigter Forderungen, sondern - wie im Regelfall und so auch hier - vor allem auf dem dauerhaft unwirtschaftlichen Betrieb des Unternehmens, kann ein Gläubiger von einem erfolgversprechenden Sanierungskonzept nur ausgehen, wenn vom Schuldner oder dessen Beratern zumindest die Grundlagen einer weitergehenden Sanierung schlüssig dargelegt wurden.
Zweifel am Vertrauen auf einen ernsthaften und erfolgversprechenden Sanierungsversuch können bestehen, wenn der Anfechtungsgegner im Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung nur zu geringeren als den von ihm nach dem Sanierungsgutachten geforderten Beiträgen bereit war. Das OLG hat sich nicht hinreichend mit dem Gesichtspunkt auseinandergesetzt, dass die Beklagten im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlungen nicht zu einer dem Sanierungskonzept entsprechenden Finanzierung durch Prolongation der Kredite bis Ende 2007, sondern nur bis zum 31.3.2006 bereit waren. Damit stand bei Vornahme der Rechtshandlungen lediglich ein Sanierungszeitraum von weniger als acht Monaten statt, wie im Sanierungsgutachten als Prämisse für die Sanierungsfähigkeit vorgesehen, eines Zeitraums von gut 28 Monaten zur Verfügung. Dass die Beklagten nach März 2006 zu weiterem Stillhalten bereit gewesen sein mögen, ändert nichts daran, dass es im anfechtungsrechtlich maßgeblichen Zeitpunkt an der laut Sanierungsgutachten geforderten Prolongation mangelte.
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