Schadenersatzklage eines Kabelnetzbetreibers wegen der kartellrechtswidrigen Nichtzahlung von Entgelten
BGH v. 6.7.2021 - KZR 11/18
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine Kabelnetzbetreiberin. Sie betreibt ein Breitbandkabelnetz im Großraum Hamburg, über das sie Fernsehprogramme verbreitet und Telefonie- und Internetdienste anbietet. Die Beklagte stellt der Klägerin und anderen Kabelnetzbetreibern ihre Programmsignale für das Hauptprogramm ZDF und die Zusatzprogramme ZDFInfo, ZDFkultur und ZDFneo zur Einspeisung zur Verfügung. Das Hauptprogramm ZDF gehört zu den Kabelkanälen, deren Belegung im analogen Kabelnetz die Medienanstalt Hamburg/ Schleswig/Holstein nach § 30 Abs. 3 Medienstaatsvertrag HSH bestimmt hat; die Zusatzprogramme waren in digitaler Form zu übertragen (nachfolgend: Must-Carry-Verpflichtung).
Für die Weiterleitung der Programmsignale in Kabelnetzen zahlten die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, so auch die Beklagte, bis Ende 2012 Entgelte ausschließlich an die vier größten Kabelnetzbetreiber in Deutschland, die Kabel Deutschland Vertrieb und Service GmbH (nachfolgend: Kabel Deutschland), die Unitymedia NRW GmbH, die Unitymedia Hessen GmbH & Co KG und die Kabel Baden-Württemberg GmbH (diese und Kabel Deutschland nachfolgend: Regionalgesellschaften). An deren Netze waren 15,9 Millionen der 19 Millionen Kabelhaushalte angeschlossen. Auf die Wettbewerberin der Klägerin in Hamburg, Kabel Deutschland, entfielen insgesamt Millionen Haushalte.
Die Klägerin versuchte für den Zeitraum von 2008 bis 2012vergeblich, ebenfalls Einspeiseentgelte von den öffentlich-rechtlichen Sendern, so auch der Beklagten, zu erhalten. Seit 2013 zahlen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten an keinen Kabelnetzbetreiber mehr freiwillig ein Einspeiseentgelt. Für die Einräumung der Rechte zur Kabelweitersendung zahlte die Klägerin 2008 bis 2012 eine urheberrechtliche Vergütung an die Wahrnehmungsgesellschaft GEMA. Da sie gegenüber den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten keine Einspeiseentgelte erhob, erhielt sie einen Rabatt. Sie war der Ansicht, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, ihr 2008 bis 2012 ebenso wie den Regionalgesellschaften ein Einspeiseentgelt zu zahlen und begehrte Schadensersatz i.H.v. 218.294 €.
Die Klage blieb vor dem LG sowie dem OLG erfolglos. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.
Gründe:
Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot gem. § 20 Abs. 1 Alt. 2 GWB i.V.m. § 33 Abs. 1 und 3 GWB in der hier anwendbaren bis zum Inkrafttreten der 8. GWB-Novelle geltenden Fassung (diese Fassung nachfolgend: aF; vgl. BGH-Urteil vom 12.4.2016 - KZR 30/14 - NetCologne I) rechtsfehlerhaft verneint. Die Beklagte hat die Klägerin als marktbeherrschendes Unternehmen auf dem sachlich relevanten Nachfragemarkt der Übertragung von Programmsignalen über Breitbandkabel anders behandelt als die Regionalgesellschaften, indem sie ihr keine Einspeiseentgelte gezahlt hat. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz gab es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen dafür keinen sachlich gerechtfertigten Grund.
Für einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot reicht es nämlich aus, dass die durch wettbewerbskonforme Gründe nicht gerechtfertigte erhebliche Ungleichbehandlung geeignet ist, sich nachteilig auf die Wettbewerbsposition des diskriminierten Unternehmens auszuwirken. Eine tatsächlich eingetretene erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigung ist dabei nicht erforderlich.
Für die sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung sind Art und Ausmaß der unterschiedlichen Behandlung entscheidend. Deren Zulässigkeit richtet sich insbesondere danach, ob die relative Schlechterstellung des betroffenen Unternehmens als wettbewerbskonformer, durch das jeweilige Angebot im Einzelfall bestimmter Interessenausgleich erscheint oder auf Willkür oder Über-legungen und Absichten beruht, die wirtschaftlichem oder unternehmerisch vernünftigem Handeln fremd sind.
Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht ausreichend beachtet. Es hat zu Unrecht angenommen, dass die Klägerin eine erhebliche und spürbare Wettbewerbsbeeinträchtigung darzulegen und zu beweisen habe. Aus diesem Grund hat es sich einer umfassenden Interessenabwägung verschlossen und maßgebliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen. Das Berufungsgericht hätte unter umfassender Würdigung aller erheblichen Umstände des Falles abschätzen müssen, ob die Beklagte ohne die wettbewerbswidrige Diskriminierung ein Einspeiseentgelt an die Klägerin gezahlt hätte und ob die Klägerin dabei den Klagebetrag als entgangenen Gewinn erzielt hätte.
BGH online
Die Klägerin ist eine Kabelnetzbetreiberin. Sie betreibt ein Breitbandkabelnetz im Großraum Hamburg, über das sie Fernsehprogramme verbreitet und Telefonie- und Internetdienste anbietet. Die Beklagte stellt der Klägerin und anderen Kabelnetzbetreibern ihre Programmsignale für das Hauptprogramm ZDF und die Zusatzprogramme ZDFInfo, ZDFkultur und ZDFneo zur Einspeisung zur Verfügung. Das Hauptprogramm ZDF gehört zu den Kabelkanälen, deren Belegung im analogen Kabelnetz die Medienanstalt Hamburg/ Schleswig/Holstein nach § 30 Abs. 3 Medienstaatsvertrag HSH bestimmt hat; die Zusatzprogramme waren in digitaler Form zu übertragen (nachfolgend: Must-Carry-Verpflichtung).
Für die Weiterleitung der Programmsignale in Kabelnetzen zahlten die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, so auch die Beklagte, bis Ende 2012 Entgelte ausschließlich an die vier größten Kabelnetzbetreiber in Deutschland, die Kabel Deutschland Vertrieb und Service GmbH (nachfolgend: Kabel Deutschland), die Unitymedia NRW GmbH, die Unitymedia Hessen GmbH & Co KG und die Kabel Baden-Württemberg GmbH (diese und Kabel Deutschland nachfolgend: Regionalgesellschaften). An deren Netze waren 15,9 Millionen der 19 Millionen Kabelhaushalte angeschlossen. Auf die Wettbewerberin der Klägerin in Hamburg, Kabel Deutschland, entfielen insgesamt Millionen Haushalte.
Die Klägerin versuchte für den Zeitraum von 2008 bis 2012vergeblich, ebenfalls Einspeiseentgelte von den öffentlich-rechtlichen Sendern, so auch der Beklagten, zu erhalten. Seit 2013 zahlen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten an keinen Kabelnetzbetreiber mehr freiwillig ein Einspeiseentgelt. Für die Einräumung der Rechte zur Kabelweitersendung zahlte die Klägerin 2008 bis 2012 eine urheberrechtliche Vergütung an die Wahrnehmungsgesellschaft GEMA. Da sie gegenüber den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten keine Einspeiseentgelte erhob, erhielt sie einen Rabatt. Sie war der Ansicht, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, ihr 2008 bis 2012 ebenso wie den Regionalgesellschaften ein Einspeiseentgelt zu zahlen und begehrte Schadensersatz i.H.v. 218.294 €.
Die Klage blieb vor dem LG sowie dem OLG erfolglos. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.
Gründe:
Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot gem. § 20 Abs. 1 Alt. 2 GWB i.V.m. § 33 Abs. 1 und 3 GWB in der hier anwendbaren bis zum Inkrafttreten der 8. GWB-Novelle geltenden Fassung (diese Fassung nachfolgend: aF; vgl. BGH-Urteil vom 12.4.2016 - KZR 30/14 - NetCologne I) rechtsfehlerhaft verneint. Die Beklagte hat die Klägerin als marktbeherrschendes Unternehmen auf dem sachlich relevanten Nachfragemarkt der Übertragung von Programmsignalen über Breitbandkabel anders behandelt als die Regionalgesellschaften, indem sie ihr keine Einspeiseentgelte gezahlt hat. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz gab es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen dafür keinen sachlich gerechtfertigten Grund.
Für einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot reicht es nämlich aus, dass die durch wettbewerbskonforme Gründe nicht gerechtfertigte erhebliche Ungleichbehandlung geeignet ist, sich nachteilig auf die Wettbewerbsposition des diskriminierten Unternehmens auszuwirken. Eine tatsächlich eingetretene erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigung ist dabei nicht erforderlich.
Für die sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung sind Art und Ausmaß der unterschiedlichen Behandlung entscheidend. Deren Zulässigkeit richtet sich insbesondere danach, ob die relative Schlechterstellung des betroffenen Unternehmens als wettbewerbskonformer, durch das jeweilige Angebot im Einzelfall bestimmter Interessenausgleich erscheint oder auf Willkür oder Über-legungen und Absichten beruht, die wirtschaftlichem oder unternehmerisch vernünftigem Handeln fremd sind.
Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht ausreichend beachtet. Es hat zu Unrecht angenommen, dass die Klägerin eine erhebliche und spürbare Wettbewerbsbeeinträchtigung darzulegen und zu beweisen habe. Aus diesem Grund hat es sich einer umfassenden Interessenabwägung verschlossen und maßgebliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen. Das Berufungsgericht hätte unter umfassender Würdigung aller erheblichen Umstände des Falles abschätzen müssen, ob die Beklagte ohne die wettbewerbswidrige Diskriminierung ein Einspeiseentgelt an die Klägerin gezahlt hätte und ob die Klägerin dabei den Klagebetrag als entgangenen Gewinn erzielt hätte.