Sozienklauseln in Haftpflichtversicherungen für Anwälte gelten auch für sog. Scheinsozien
BGH 21.7.2011, IV ZR 42/10Die Klägerin war von 2002 bis 2005 als angestellte Rechtsanwältin in einer Sozietät tätig. Sie trat nach außen auf dem Briefpapier und in Anzeigen aber als Gesellschafterin auf. Von einem ehemaligen Mandanten der Sozietät wurde die Klägerin auf Schadensersatz i.H.v. 111.044 € wegen Veruntreuung von Geldern durch die beiden Sozien in Anspruch genommen. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich, in dem sich die Klägerin verpflichtete, 55.000 € Schadensersatz zu zahlen. Davon erbrachte sie bisher 4.400 €, die sie sodann von der beklagten Berufshaftpflichtversicherung erstattet verlangte. Diese verweigerte allerdings die Zahlung.
Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Rechtsanwälten und Patentanwälten (AVB-A) zugrunde. Diese lauten auszugsweise:
"§ 4 Ausschlüsse
Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haft-pflichtansprüche
...
3. wegen Schäden durch Veruntreuung durch Personal, Sozien oder Angehörige des Versicherungsnehmers;
...
§ 12 Sozien
I. 1. Als Sozien gelten Berufsangehörige, die ihren Beruf nach außen hin gemeinschaftlich ausüben, ohne Rücksicht darauf, ob sie durch Gesellschaftsvertrag oder einen anderen Vertrag verbunden sind.
...
III. Ein Ausschlussgrund nach § 4, der in der Person eines Sozius vorliegt, geht zu Lasten aller Sozien."
LG und OLG gaben der Klage auf Zahlung von 4.400 € und Feststellung von Deckungsschutz statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Klage ab.
Die Gründe:
Die Ansicht des Berufungsgerichts, § 12 I Nr. 1 und § 12 III AVB-A seien nach § 305c Abs. 1 BGB als überraschende Klauseln wegen der Gleichstellung von Scheinsozien mit Sozien unter der Überschrift "Sozien" nicht Vertragsbestandteil geworden, war rechtsfehlerhaft.
Überraschend ist eine Klausel nur, wenn sie eine Regelung enthält, die von den Erwartungen des typischerweise damit konfrontierten Versicherungsnehmers - hier eines Rechts- oder Patentanwalts - in einer Art und Weise deutlich abweicht, mit der er nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Es muss sich um eine objektiv ungewöhnliche Klausel handeln, was nach den Gesamtumständen zu beurteilen ist. Als zweite Voraussetzung muss hinzukommen, dass der andere Teil mit der Klausel "nicht zu rechnen braucht". Dies kann auch dann der Fall sein, wenn sie im Vertragstext falsch eingeordnet und dadurch geradezu "versteckt" wird. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, an welcher Stelle sich die Klausel im Bedingungswerk befindet.
Infolgedessen war § 12 I Nr. 1 i.V.m. III AVB-A angesichts seines klarstellenden Inhalts nicht überraschend. Von einem Rechtsanwalt kann erwartet werden, dass er die Ausschlusstatbestände des § 4 AVB-A zur Kenntnis nimmt und sodann den nachfolgenden Klauseln hinreichende Beachtung schenkt. Das gilt auch für die ausdrücklich mit "Sozien" überschriebene Klausel in § 12 AVB-A. Für einen Rechtsanwalt, der - wie die Klägerin - im Innenverhältnis als Angestellter tätig ist, im Außenverhältnis aber als Sozius auftritt, besteht sogar besondere Veranlassung, auch die "Sozien" betreffenden Reglungen aufmerksam daraufhin durchzusehen, ob und in welchem Umfang sie für ihn Geltung haben sollen.
Der Gesetzgeber das Leitbild des § 152 VVG a.F. insoweit ergänzt, als § 51 Abs. 3 Nr. 5 BRAO es ausdrücklich gestattet, dass der Berufshaftpflichtversicherer für Rechtsanwälte die Haftung für Ersatzansprüche wegen Veruntreuung durch Personal, Angehörige oder Sozien ausschließt. Die Möglichkeit zur Risikobegrenzung ist in § 51 Abs. 3 Nr. 5 BRAO deshalb vorgesehen, um das Risiko für den Versicherer kalkulierbar zu halten. Der Versicherer soll nicht für Schäden aus vorsätzlichen Straftaten Deckung gewähren müssen, die in einer Sozietät begangen werden, was aber der Fall wäre, wenn er für einen mithaftenden Sozius eintreten müsste. Vor diesem Hintergrund ist eine Gleichstellung der Scheinsozien mit den Sozien nicht zu beanstanden, auch wenn sie vom Wortlaut des § 51 Abs. 3 Nr. 5 BRAO unmittelbar nicht erfasst werden.
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