27.10.2022

Überprüfung der Entgelte für die Nutzung von Bahninfrastruktur

Der EuGH hat sich vorliegend mit der Überprüfung der Entgelte für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und insbesondere zur Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Regulierungsstelle und den nationalen Gerichten befasst.

EuGH v. 27.10.2022 - C-721/20
Der Sachverhalt:
Das Verfahren betrifft die Klage der ODEG Ostdeutsche Eisenbahn GmbH gegen die beklagte DB Station & Service AG auf Rückzahlung von nach Auffassung der Klägerin zu viel gezahlten Entgelten für den Zugang zu Personenbahnhöfen. Dabei geht es allein um Entgelte, die die Klägerin bereits gezahlt hat, und zwar in der Zeit von November 2006 bis Dezember 2010. Die Klägerin begehrt hingegen nicht die Abänderung der Entgelte, die sie seitdem zu zahlen hatte bzw. zu zahlen hat.

Das mit der Sache befasste KG möchte vom EuGH wissen, ob die Richtlinie 2001/14 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur (hier Art. 30) dem entgegensteht, dass die nationalen Gerichte über eine gleichzeitig auf Art. 102 AEUV (Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung) und das einzelstaatliche Wettbewerbsrecht gestützte Klage auf Rückzahlung der Entgelte für die Nutzung von Infrastruktur unabhängig von der Überwachung durch die zuständige Regulierungsstelle entscheiden. Nach Art. 30 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten eine Regulierungsstelle einzurichten, bei der Antragsteller insbesondere Entscheidungen der Infrastrukturbetreiber über die Entgeltregelung oder die Höhe oder Struktur der Wegeentgelte, die der Antragsteller zu zahlen hat oder hätte, anfechten können.

Die Gründe:
Art. 30 der Richtlinie 2001/14 steht dem nicht entgegen, dass die nationalen Gerichte bei der Entscheidung über eine Klage auf Rückzahlung der Entgelte für die Nutzung von Infrastruktur gleichzeitig Art. 102 AEUV und das einzelstaatliche Wettbewerbsrecht anwenden, sofern die zuständige Regulierungsstelle vorher über die Rechtmäßigkeit der betreffenden Entgelte entschieden hat. Insoweit sind die nationalen Gerichte zur loyalen Zusammenarbeit verpflichtet; sie müssen bei ihrer Würdigung die Entscheidungen der zuständigen Regulierungsstelle berücksichtigen und sich bei der Begründung ihrer eigenen Entscheidungen mit dem gesamten Inhalt der ihnen vorgelegten Akten auseinandersetzen.

Zwar ist die Überprüfung der Entgelte für die Nutzung von Infrastruktur nach Maßgabe der zivilrechtlichen Vorschriften eines Mitgliedstaats, die nichts mit den Vorschriften der Richtlinie zu tun haben, bereits ihrem Wesen nach nicht mit den technischen Erfordernissen des Eisenbahnsektors, den Zielen der Richtlinie und den Aufgaben der Regulierungsstelle vereinbar. Dies gilt aber nicht für die Anfechtung der Höhe der Entgelte auf der Grundlage von Art. 102 AEUV. Damit die volle Wirksamkeit von Art. 102 AEUV gewahrt und insbesondere gewährleistet wird, dass die Antragsteller wirksam gegen Schäden geschützt sind, die durch einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht entstehen, sind die zuständigen nationalen Gerichte durch die ausschließliche Zuständigkeit, die der Regulierungsstelle durch Art. 30 der Richtlinie 2001/14 zuerkannt wird, nicht daran gehindert, über auf Art. 102 AEUV gestützte Klagen auf Rückzahlung zu viel gezahlter Entgelte für die Nutzung von Infrastruktur zu entscheiden.

Ein Eisenbahnunternehmen, das die Rückzahlung zu viel gezahlter Entgelte für die Nutzung von Infrastruktur auf der Grundlage von Art. 102 AEUV begehrt, muss jedoch die nationale Regulierungsstelle mit der Frage der Rechtmäßigkeit dieser Entgelte befassen, bevor es die zuständigen nationalen Gerichte anruft. Auch wenn die nationalen Gerichte, die über solche Klagen zu entscheiden haben, nicht an die Entscheidungen der nationalen Regulierungsstellen gebunden sind, sind sie jedoch gehalten, diese zu berücksichtigen und sich bei der Begründung ihrer eigenen Entscheidungen mit den Feststellungen zum Sachverhalt und der rechtlichen Würdigung auseinanderzusetzen, die die nationalen Regulierungsstellen in Bezug auf den Rechtsstreit, über den sie zu entscheiden hatten, insbesondere im Hinblick auf die Anwendung der einschlägigen sektorspezifischen Regelung auf den betreffenden Fall, vorgenommen haben.

Damit die volle Wirksamkeit von Art. 102 AEUV gewährleistet wird, sind die nationalen Gerichte, die über eine auf diese Bestimmung gestützte Klage auf Rückzahlung zu viel gezahlter Entgelte für die Nutzung von Infrastruktur zu entscheiden haben, nicht verpflichtet, den Ausgang der Gerichtsverfahren abzuwarten, die gegen die Entscheidungen der zuständigen Regulierungsstelle eingeleitet wurden.

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