Unterbrochener Rechtsstreit: Anhängiger Rechtsstreit über die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung
BGH v. 11.8.2022 - IX ZR 78/21Der Sachverhalt:
Die Klägerin erwirkte gegen Dr. K. (Schuldner) in einem Vorprozess vor dem LG im Februar 2012 ein rechtskräftiges Urteil, mit dem der Schuldner verurteilt wurde, an die Klägerin 21,25 Mio. € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übertragung des Eigentums an 2,5 Mio. Stück Aktien der C. AG zu zahlen. Hintergrund dieses Vorprozesses war eine zwischen der Klägerin und dem Schuldner im Jahr 2008 geschlossene Optionsvereinbarung mit anschließendem Kaufvertrag über die Aktien im Jahr 2009. Der Schuldner verweigerte nach Beendigung des Vorprozesses die Zahlung sowie die Annahme der ihm von der Klägerin angebotenen Übertragung der Aktien mit der Begründung, er sei bei Abschluss der Optionsvereinbarung sowie des Kaufvertrags geschäftsunfähig gewesen. Nach Androhung des freihändigen Verkaufs, deren Wirksamkeit der Schuldner in Abrede gestellt hat, verkaufte die Klägerin die Aktien im Februar 2013 zu einem Kaufpreis i.H.v. 6,25 Mio. € an die K. AG.
Die Klägerin erhob gegen den Schuldner Klage mit dem Antrag festzustellen, dass der Schuldner durch den freihändigen Verkauf der Aktien hinsichtlich der ihm aus dem Urteil des Vorprozesses von Februar 2012 Zug um Zug gebührenden Gegenleistung befriedigt ist. LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Schuldners hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück. Im Oktober 2019 erhob der Schuldner Widerklage auf Feststellung, dass der durch Urteil des Vorprozesses im Februar 2012 titulierte Anspruch dadurch erloschen sei, dass die Klägerin die ihr obliegende Übergabe und Übereignung der Aktien nicht mehr erbringen könne. Ferner beantragte der Schuldner mit der Widerklage festzustellen, dass der Klägerin aus dem Kaufvertrag über die Aktien keine Rechte mehr zustünden, weil ihm die Ausübungserklärung der Klägerin aufgrund seiner Geschäftsunfähigkeit nicht wirksam zugegangen sei oder er jedenfalls seine Willenserklärung hinsichtlich der Optionsvereinbarung wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten habe.
Im Dezember 2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Klägerin meldete im Februar 2020 die durch Urteil des Vorprozesses von Februar 2012 titulierte Forderung i.H.v. 21,25 Mio. € nebst Zinsen ungekürzt zur Tabelle an. In dem im März 2020 durchgeführten Prüfungstermin widersprach der Beklagte der Feststellung der Forderung. Im März 2020 erklärte der Beklagte unter Hinweis auf § 180 Abs. 2 InsO die Aufnahme des Rechtsstreits hinsichtlich der Klage und hinsichtlich der Widerklage. Er beantragte nunmehr, seinen Widerspruch für begründet zu erklären. Hierbei stützte er seinen Widerspruch darauf, dass die durch die Klägerin angemeldete Forderung schon nicht wirksam entstanden, jedenfalls aber durch den Verkauf der Aktien an Dritte vollständig oder zumindest in Höhe des von der Klägerin bei dem Verkauf der Aktien erzielten Erlöses erloschen sei.
Das OLG hat mit Zwischenurteil ausgesprochen, dass das Verfahren seit dem 18.12.2019 unterbrochen sei. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Zwischenurteil des OLG auf und entschied, dass der Beklagte den Rechtsstreit hinsichtlich der Klage und der Widerklage wirksam aufgenommen hat.
Die Gründe:
Der Beklagte hat den unterbrochenen Rechtsstreit wirksam aufgenommen.
Die Klägerin verfügte vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem im Vorprozess erwirkten Urteil von Februar 2012 über einen (rechtskräftigen) Zahlungstitel. Insoweit kann dahinstehen, ob den Bestreitenden die Betreibungslast gem. § 179 Abs. 2 InsO bereits dann trifft, wenn der Gläubiger lediglich über einen Titel verfügt, der - wie hier das von der Klägerin im Vorprozess erwirkte Urteil - auf Zahlung Zug um Zug lautet. Eine solchermaßen eingeschränkte Forderung ist jedenfalls dann i.S.d. § 179 Abs. 2 InsO tituliert, wenn der Gläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen weiteren Titel erwirkt hat, mit dem - wie im Streitfall durch das erstinstanzliche Urteil - die Vollstreckungsvoraussetzungen des § 756 Abs. 1 ZPO nachgewiesen sind. In einem solchen Fall hat der Gläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens alles getan, um die Vollstreckung gegen den Schuldner betreiben zu können. Dies rechtfertigt es, ihm nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die gegenüber dem Schuldner bereits erlangte Rechtsposition in der Weise zu erhalten, dass seine Forderung bei der Verteilung berücksichtigt wird, wenn nicht der Bestreitende seinerseits die gerichtliche Feststellung betreibt.
Der Beklagte hat auch den Rechtsstreit hinsichtlich der Widerklage wirksam gem. § 180 Abs. 2 InsO aufgenommen. Die Widerklage betrifft die Abwehr einer Insolvenzforderung i.S.d. § 87 InsO. Mit der Widerklage hat der Schuldner zum einen die Feststellung begehrt, dass die Klägerin die ihr obliegende Leistung nicht mehr erbringen könne. Darüberhinausgehend hat der Schuldner die Feststellung begehrt, dass der im Vorprozess rechtskräftig titulierte Zahlungsanspruch der Klägerin nicht, bzw. nicht mehr bestehe und der Klägerin aus dem mit dem Schuldner geschlossenen Kaufvertrag über die Aktien keine Rechte mehr zustünden. Insoweit richtet sich die Widerklage gegen den materiell-rechtlichen Bestand des Zahlungsanspruchs der Klägerin. Hätte eine solche negative Feststellungsklage - ihre Zulässigkeit unterstellt - Erfolg, wäre damit rechtskräftig ausgesprochen, dass der streitige Anspruch des Prozessgegners (hier: der Klägerin) nicht besteht.
Bei beiden Widerklageanträgen handelt es sich um einen Rechtsstreit über die zur Tabelle angemeldete Forderung. Denn eine Entscheidung über die Widerklageanträge würde - ihren Erfolg unterstellt - dazu führen, dass eine Feststellung zur Tabelle ausscheidet. Dem Beklagten fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die Aufnahme des unterbrochenen Widerklageverfahrens, denn die von der Klägerin angemeldete Forderung ist i.S.d. § 179 Abs. 2 InsO tituliert und begründet deshalb die Betreibungslast des Beklagten. Entgegen der Auffassung des OLG ist die Wirksamkeit der Aufnahme gem. § 180 Abs. 2 InsO nicht davon abhängig, ob die von dem Schuldner eingeleitete Widerklage zulässig und begründet und ob die Verfolgung des Widerspruchs durch den Insolvenzverwalter erfolgversprechend ist.
Aufsatz:
Reichweite der Rechtskraft von Insolvenz- und Restrukturierungsplänen
Christian Brünkmans, ZIP 2022, 1573
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