04.11.2024

Urheberrecht und öffentliche Wiedergabe: Übertragung der Grundsätze der Haftung von Video-Sharing- und Sharehosting-Plattformen auf die Haftung von Online-Marktplätzen

Die unionsrechtlichen Grundsätze der Haftung von Video-Sharing- und Sharehosting-Plattformen für eine öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke sind auf die Haftung von Online-Marktplätzen übertragbar. Der Betreiber eines Online-Marktplatzes ist daher auch grundsätzlich verpflichtet, nach einem klaren Hinweis auf eine Rechtsverletzung die dort eingestellten Angebote im Rahmen des technisch und wirtschaftlich Zumutbaren auf gleichartige Verletzungen zu überprüfen und rechtsverletzende Inhalte zu sperren oder zu löschen. Bei Übertragung dieser Rechtsprechung muss den Besonderheiten von Online-Marktplätzen jedoch Rechnung getragen werden. Soweit nicht der angebotene Gegenstand selbst urheberrechtsverletzend ist, sondern das Angebot lediglich in einer urheberrechtsverletzenden Weise präsentiert wird, erstreckt sich die Prüfungspflicht des Plattformbetreibers im Regelfall allein auf gleichartig präsentierte Angebote, nicht aber auf jegliche Darstellungen des urheberrechtlich geschützten Werks.

BGH v. 23.10.2024 - I ZR 112/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist ein im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland ansässiger Fotograf und behauptet, er habe eine mit "Manhattan Bridge" betitelte Fotografie angefertigt. Die Beklagte betrieb eine Online-Handelsplattform. Dritte konnten sich auf dieser Plattform registrieren und Waren zum Verkauf anbieten. Der Verkäufer M. S. bot dort einen tragbaren Fernseher an. Auf dem Produktbild war die Fotografie "Manhattan Bridge" auf dem Bildschirm des Geräts zu sehen, ohne dass der Kläger als Urheber benannt worden ist. Der Kläger mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 21.8.2018 ab.

Am 5.10.2018 und 20.10.2018 war auf der Online-Plattform ein Angebot eines anderen Verkäufers (T. N.) mit identischem Produktbild ohne Benennung des Klägers als Urheber abrufbar. Von diesem Angebot hatte der Kläger im Zeitpunkt seiner Abmahnung vom 21.8.2018 bereits Kenntnis. Der Kläger nahm die Beklagte auf Unterlassung der Vervielfältigung, öffentlichen Zugänglichmachung und/oder Verbreitung des Lichtbildwerks einschließlich unfreier Bearbeitungen davon in Anspruch; zudem verlangte er Vernichtung von im Besitz der Beklagten befindlichen Vervielfältigungsstücken und Löschung von im Besitz der Beklagten befindlichen Daten des Lichtbildwerks, Auskunftserteilung, bezifferten Schadenersatz von 8.900 € nebst Zinsen, Feststellung der weiteren Schadenersatzpflicht der Beklagten und Erstattung von Abmahnkosten nebst Zinsen.

Das LG gab der Klage im Wesentlichen statt. Das OLG wies die Berufung der Beklagten zurück, soweit das LG sie zur Unterlassung der Vervielfältigung und/oder öffentlichen Zugänglichmachung des Lichtbildwerks einschließlich unfreier Bearbeitungen davon, Auskunftserteilung und bezifferten Schadensersatz von 6.675 € nebst Zinsen verurteilt sowie ihre weitere Schadensersatzpflicht festgestellt hat. Im Übrigen änderte es das Urteil des LG ab und wies die Klage ab. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil insoweit auf, als das OLG die Beklagte wegen Vervielfältigens und/oder Vervielfältigenlassens des Lichtbildwerks "Manhattan Bridge" verurteilt hat, und wies die die Klage im Umfang der Aufhebung ab.

Die Gründe:
Die Revision hat teilweise Erfolg. Sie ist unbegründet, soweit das OLG die Beklagte wegen öffentlicher Zugänglichmachung des Lichtbildwerks des Klägers zur Unterlassung, zur Auskunftserteilung und zum Schadensersatz verurteilt hat. Soweit es eine Vervielfältigung des Lichtbildwerks des Klägers durch die Beklagte angenommen hat, ist die Revision jedoch begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils sowie zur Abweisung der Klage.

Soweit das OLG eine Haftung der Beklagten für eine öffentliche Zugänglichmachung des Lichtbildwerks des Klägers nach § 15 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 2, § 19a UrhG bejaht hat, hält dies der rechtlichen Nachprüfung stand. Das OLG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die unionsrechtlichen Grundsätze der Haftung von Video-Sharing- und Sharehosting-Plattformen für eine öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke auf die Haftung von Online-Marktplätzen übertragbar sind.

Der Betreiber eines Online-Marktplatzes ist - wie der einer Video-Sharing- und Sharehosting-Plattform - grundsätzlich verpflichtet, nach einem klaren Hinweis auf eine Rechtsverletzung die dort eingestellten Angebote im Rahmen des technisch und wirtschaftlich Zumutbaren auf gleichartige Verletzungen zu überprüfen und rechtsverletzende Inhalte zu sperren oder zu löschen. Bei Übertragung der für Video-Sharing- und Sharehosting-Plattformen geltenden Rechtsprechung muss den Besonderheiten von Online-Marktplätzen jedoch Rechnung getragen werden. Soweit nicht der angebotene Gegenstand selbst urheberrechtsverletzend ist (wie etwa im Fall der ohne Erlaubnis des Urhebers hergestellten Vervielfältigung eines Lichtbildwerks, die digital oder als Ausdruck zum Verkauf angeboten wird), sondern das Angebot lediglich in einer urheberrechtsverletzenden Weise präsentiert wird (wie im Streitfall), erstreckt sich die Prüfungspflicht des Plattformbetreibers im Regelfall allein auf gleichartig präsentierte Angebote, nicht aber auf jegliche Darstellungen des urheberrechtlich geschützten Werks.

Entgegen der Auffassung der Revision war der Hinweis des Klägers hinreichend klar. Hierfür reicht die im Schreiben vom 21.8.2018 enthaltene Berühmung der Urheberschaft an der Fotografie "Manhattan Bridge" unter Verweis auf ihre Veröffentlichung auf der Internetseite des Klägers aus. Der Umstand, dass das OLG gemeint hat, der Kläger könne sich aufgrund der fehlenden Anbringung eines Urhebervermerks auf der Fotografie selbst nicht auf die Urhebervermutung des § 10 Abs. 1 UrhG stützen, steht der Klarheit des Hinweises im Streitfall nicht entgegen. Ein Plattformbetreiber darf zwar in der Regel auf einen Urhebervermerk vertrauen, dessen Richtigkeit nach § 10 Abs. 1 UrhG nur durch den Beweis des Gegenteils widerlegt werden kann. Jedoch kann sich die hinreichende Klarheit eines Hinweises auch aus anderen Umständen ergeben, wie etwa aus der Präsentation als eigenes Werk auf einer Internetseite.

Die Revision rügt zwar die Unklarheit des Hinweises, verweist aber zugleich auf das Antwortschreiben der Beklagten vom 28.8.2018, in dem diese sich in keiner Weise auf eine unzureichende Nachprüfbarkeit der Angaben des Klägers berufen hat. In Anbetracht des hinreichend klaren Hinweises des Klägers hätte sich die Beklagte nicht darauf beschränken dürfen, auf die Unauffindbarkeit des im Schreiben des Klägers vom 21.8.2018 enthaltenen Angebots des Verkäufers zu verweisen. Es hätte auch nicht ausgereicht, allein dieses Angebot - soweit noch vorhanden - zu sperren oder zu löschen. Vielmehr hätte die Beklagte auch nach anderen Verkaufsangeboten von Fernsehern der Marke suchen müssen, die das Lichtbildwerk des Klägers enthalten.

Die Revision hat Erfolg, soweit das OLG eine Haftung der Beklagten für eine Vervielfältigung des Lichtbildwerks des Klägers nach § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 16 UrhG angenommen hat. Die Grundsätze der Haftung von Plattformen für eine öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke sind nicht auf eine Vervielfältigung eines urheberrechtlich geschützten Werks auf den Servern einer solchen Plattform übertragbar. Es verbleibt mit Blick auf die in Rede stehende Verletzung des Vervielfältigungsrechts bei einer Haftung nach den strafrechtlichen Grundsätzen der Täterschaft und Teilnahme. Fehlen die objektiven oder subjektiven Voraussetzungen einer Haftung als Täter oder Teilnehmer, kommt lediglich eine allein zur Unterlassung und Beseitigung verpflichtende Verantwortlichkeit als Störer in Betracht. Soweit kein Eingriff in das Recht der öffentlichen Wiedergabe in Rede steht, sind diese Haftungsgrundsätze nach wie vor mit dem Unionsrecht vereinbar.

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