18.11.2024

Verbraucherdarlehensvertrag: Kaskadenverweisung in Widerrufsinformation hindert Anlaufen der Widerrufsfrist nicht

Die Verweisung auf "alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB" (sog. Kaskadenverweisung) in einer Widerrufsinformation hindert auch bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag im Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge das Anlaufen der Widerrufsfrist nicht. (Aufgabe von BGH v. 27.10.2020 - XI ZR 498/19).

BGH v. 15.10.2024 - XI ZR 39/24
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Klägers. Der Kläger erwarb im Dezember 2015 ein gebrauchtes Fahrzeug der Marke VW zu einem Kaufpreis von 32.700 €. Zur Finanzierung des über die geleistete Anzahlung von 11.000 € hinausgehenden Kaufpreises schlossen die Parteien am 22.12.2015 einen Darlehensvertrag über 21.700 €. Das mit einem Sollzinssatz von 2,86% p.a. zu verzinsende Darlehen sollte in 48 gleichbleibenden Monatsraten à 479 € zurückgeführt werden. Eine Anmeldung zu der Restschuldversicherung KSB/KSB Plus beantragte der Kläger nicht.

Vertragsbestandteil waren die auf den Seiten 2 und 3 des Vertragsformulars abgedruckten Darlehensbedingungen der Beklagten, die u.a. folgende Regelungen enthielten:

"2. Vorzeitige Rückzahlung und Vorfälligkeitsentschädigung:
a) Der Darlehensnehmer kann seine Verbindlichkeiten aus diesem Vertrag jederzeit ganz oder teilweise vorzeitig erfüllen.
c) Für den unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung zusammenhängenden Schaden kann die Bank eine angemessene Vorfälligkeitsentschädigung verlangen.
Den Schaden wird die Bank nach den vom Bundesgerichtshof vorgeschriebenen finanzmathematischen Rahmenbedingungen (Aktiv-Passiv-Methode) berechnen, die insbesondere:
- ein zwischenzeitlich verändertes Zinsniveau,
- die für das Darlehen ursprünglich vereinbarten Zahlungsströme,
- den der Bank entgangenen Gewinn,
- den mit der vorzeitigen Rückzahlung verbundenen Verwaltungsaufwand (Bearbeitungsentgelt) sowie
- die infolge der vorzeitigen Rückzahlung ersparten Risiko- und Verwaltungskosten berücksichtigen.

Die so errechnete Vorfälligkeitsentschädigung wird, wenn sie höher ist, auf den niedrigeren der beiden folgenden Beträge reduziert:
- 1 Prozent bzw., wenn der Zeitraum zwischen der vorzeitigen und der vereinbarten Rückzahlung weniger als ein Jahr beträgt, 0,5 Prozent des vorzeitig zurückgezahlten Betrages,
- den Betrag der Sollzinsen, den der Darlehensnehmer in dem Zeitraum zwischen der vorzeitigen und der vereinbarten Rückzahlung entrichtet hätte.
5. Zahlungsverzug:
Für ausbleibende Ratenzahlungen werden wir Ihnen den uns dadurch entstandenen Schaden in Rechnung stellen. Nach einer Vertragskündigung werden wir Ihnen den gesetzlichen Verzugszinssatz in Rechnung stellen. Der jährliche Verzugszinssatz beträgt 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz.
6. Widerruf:
a) Wertverlust
Der Darlehensnehmer hat im Fall des Widerrufs des Darlehensvertrages eine durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme des Fahrzeuges entstandene Wertminderung (z. B. Wertverlust aufgrund der Zulassung eines Pkw) zu ersetzen. Diese Verpflichtung kann dadurch vermieden werden, dass die Zulassung des Fahrzeuges erst erfolgt, wenn der Darlehensnehmer sich entschlossen hat, von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch zu machen."

Auf Seite 3 des Vertragsformulars heißt es in einem umrandeten Absatz unterhalb der Darlehensbedingungen ferner:
"Die Bank ist berechtigt, nach Vertragsschluss unter angemessener Berücksichtigung der berechtigten Belange des Darlehensnehmers zusätzliche Auszahlungsvoraussetzungen für das Darlehen zu bestimmen. Die Bank wird dem Darlehensnehmer diese Voraussetzungen unverzüglich nach Annahme des Darlehensantrages mitteilen. Erfüllt der Darlehensnehmer die Auszahlungsvoraussetzungen nicht, ist die Bank berechtigt aber nicht verpflichtet, das Darlehen mit sofortiger Wirkung zu kündigen." Das Vertragsformular enthielt eine Widerrufsinformation.

Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 5.12.2018 den Widerruf seiner auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung. Mit seiner Klage begehrte der Kläger zuletzt die Feststellung, dass der Beklagten ab dem Zugang der Widerrufserklärung kein Anspruch mehr auf den Vertragszins sowie die vertragsgemäße Tilgung zusteht, und für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Zahlung von rd. 33.500 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des finanzierten Fahrzeugs, die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet, sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der Kläger hat den streitgegenständlichen, gem. § 358 Abs. 3 BGB mit einem Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug verbundenen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag nicht wirksam widerrufen. Das OLG ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger zwar bei Abschluss des Darlehensvertrags gem. § 495 Abs. 1 i.V.m. § 355 BGB ein Widerrufsrecht zustand und die Widerrufsfrist nicht zu laufen begann, bevor der Kläger die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hatte. Dies war aber vorliegend bei Abschluss des Darlehensvertrags im Dezember 2015 der Fall, so dass der Widerruf vom 5.12.2018 verspätet war.

Die dem Kläger erteilte Widerrufsinformation ist zwar fehlerhaft, weil die Belehrung über den Beginn der Widerrufsfrist eine Verweisung auf "alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB" enthält. Dieser Fehler hindert das Anlaufen der Widerrufsfrist jedoch nicht. Nach der Rechtsprechung des EuGH genügt der Verweis auf "alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB" nicht dem Erfordernis, den Verbraucher gem. Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der Richtlinie 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge (Verbraucherkreditrichtlinie) im Darlehensvertrag in klarer, prägnanter Form über die Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts zu informieren, weil der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrags weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen noch überprüfen kann, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle nach dieser Bestimmung erforderlichen Angaben enthält, und erst recht nicht, ob die Widerrufsfrist, über die er verfügen kann, für ihn zu laufen begonnen hat (EuGH, Urteile vom 26.3.2020 C-66/19, WM 2020, 688 - Kreissparkasse Saarlouis und vom 21.12.2023 - C-38/21, C-47/21 und C-232/21 - BMW Bank u.a.).

Daraus hat der Senat bislang den Schluss gezogen, dass im Anwendungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie die Verweisung auf "alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB" nicht klar und verständlich i.S.d. Art. 247 § 6 Abs. 1 EGBGB ist und deshalb die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt, wenn die Widerrufsinformation eine solche Verweisung enthält und die Gesetzlichkeitsfiktion nicht greift. Daran kann indes im Hinblick auf das Urteil des EuGH vom 21.12.2023 (s.o.) nicht festgehalten werden. Eine unvollständige oder fehlerhafte Information ist danach nur dann als fehlerhafte Belehrung anzusehen, wenn der Verbraucher durch sie in Bezug auf seine Rechte und Pflichten irregeführt und somit zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wird, den er möglicherweise nicht geschlossen hätte, wenn er über vollständige und inhaltlich zutreffende Informationen verfügt hätte. Erweist sich eine dem Verbraucher gem. Art. 10 Abs. 2 der Verbraucherkreditrichtlinie erteilte Information als unvollständig oder fehlerhaft, beginnt die Widerrufsfrist nur zu laufen, wenn die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit dieser Information nicht geeignet ist, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner Rechte und Pflichten aus der Richtlinie einzuschätzen, oder auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken und ihm ggf. die Möglichkeit zu nehmen, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie denen auszuüben, die vorgelegen hätten, sofern die Information vollständig und zutreffend erteilt worden wäre. Dies zu prüfen, ist Sache der nationalen Gerichte.

Wie der Senat für § 356b Abs. 2 Satz 1 BGB in der seit dem 21.3.2016 geltenden Fassung bereits entschieden hat (vgl. BGH v. 27.2.2024 - XI ZR 258/22) und was gleichermaßen für die hier anzuwendende Vorgängerfassung der Norm gilt, lässt diese nationale Regelung nach ihrem Wortlaut offen, ob neben dem Fehlen der Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB auch eine unvollständige oder fehlerhafte Information das Anlaufen der Widerrufsfrist hindert. Vielmehr ist der Wortlaut auslegungsfähig, so dass bei einer richtlinienkonformen Auslegung die Widerrufsfrist im Fall einer unvollständigen oder fehlerhaften Information nur dann zu laufen beginnt, wenn die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit dieser Information nicht geeignet ist, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner aus dem Darlehensvertrag herrührenden Rechte und Pflichten einzuschätzen, oder auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken und ihm ggf. die Möglichkeit zu nehmen, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie denen auszuüben, die vorgelegen hätten, sofern die Information vollständig und zutreffend erteilt worden wäre.

Nach diesen Maßgaben steht die Verweisung auf "alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB" in der Widerrufsinformation dem Beginn der Widerrufsfrist nicht entgegen. Sie ist weder geeignet, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner aus dem Darlehensvertrag herrührenden Rechte und Pflichten - konkret: seines Widerrufsrechts - einzuschätzen, noch auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken und nimmt ihm nicht die Möglichkeit, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei vollständiger Erteilung der Information im Darlehensvertrag auszuüben. Der Verbraucher wird durch die Verweisung auf "alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB" schon nicht irregeführt. Die Formulierung der Widerrufsinformation ist inhaltlich nicht falsch und erweckt weder einen falschen Eindruck noch ist sie missverständlich oder verleitet den Verbraucher zu einer falschen Annahme. Sie benennt mit § 492 Abs. 2 BGB (zutreffend) die Norm, die mit Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB die Vorschriften bezeichnet, aus denen sich die Liste dieser Pflichtangaben ergibt. Sie ist lediglich insoweit unvollständig, als in der Widerrufsinformation und damit im Darlehensvertrag selbst nicht alle Pflichtangaben aufgelistet sind, von deren Erteilung der Beginn der Widerrufsfrist abhängt. Diese Unvollständigkeit der Widerrufsinformation ist nicht geeignet, sich auf die Befähigung des Darlehensnehmers, den Umfang seines Widerrufsrechts einzuschätzen, auszuwirken.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung (Siehe Leitsatz)
Keine Berufung des Darlehensgebers auf die Gesetzlichkeitsfiktion nach Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB, wenn in der Widerrufsinformation bei den Hinweisen zu weiteren Verträgen neben einem von den Parteien geschlossenen verbundenen Kaufvertrag (hier: über ein Fahrzeug) weitere nicht abgeschlossene Verträge aufgeführt werden; Auslegung des Verweises in § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB auf § 357 Abs. 7 Nr. 2 BGB in dem Sinne, dass der Darlehensgeber den Darlehensnehmer nur über dessen Wertersatzpflicht nach § 357 Abs. 7 BGB zu unterrichten hat; zu den für die Berechnung des objektiven Wertverlusts des Fahrzeugs maßgeblichen Zeitpunkten
BGH vom 27.10.2020 - XI ZR 498/19
WM 2020, 2321

Rechtsprechung
Keine richtlinienkonforme Auslegung der in Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB angeordneten Gesetzlichkeitsfiktion angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts auch bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag im Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments; zu den Rechtsfolgen dieser Auslegung
BGH vom 27.02.2024 - XI ZR 258/22
WM 2024, 736

Rechtsprechung
Zum Umfang der Informationen, die nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der Richtlinie 2008/48/EG (Verbraucherkreditverträge) in klarer, prägnanter Form anzugeben sind sowie zur Frage, ob diese Vorschrift entgegensteht, wenn ein Kreditvertrag hinsichtlich der in Art. 10 der Richtlinie 2008/48/EG genannten Angaben auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaates verweist
EuGH vom 26.03.2020 - C-66/19
WM 2020, 688

Rechtsprechung
"Vorlage zur Vorabentscheidung - Verbraucherschutz - Leasingvertrag über ein Kraftfahrzeug ohne Kaufverpflichtung - Richtlinie 2008/48/EG - Art. 2 Abs. 2 Buchst. d - Begriff des Leasingvertrags ohne Verpflichtung zum Erwerb des Leasinggegenstands - Richtlinie 2002/65/EG - Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Buchst. b - Begriff des Vertrags über Finanzdienstleistungen - Richtlinie 2011/83/EU - Art. 2 Nr. 6 und Art. 3 Abs. 1 - Begriff des Dienstleistungsvertrags - Art. 2 Nr. 7 - Begriff des Fernabsatzvertrags - Art. 2 Nr. 8 - Begriff des außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags - Art. 16 Buchst. l - Ausnahme vom Widerrufsrecht für Dienstleistungen im Bereich von Mietwagen - Kreditvertrag zum Kauf eines Kraftfahrzeugs - Richtlinie 2008/48 - Art. 10 Abs. 2 - Anforderungen an die Angaben, die im Vertrag enthalten sein müssen - Vermutung für die Einhaltung der Informationspflicht bei Verwendung eines Regelungsmodells für die Informationen - Keine unmittelbare horizontale Wirkung einer Richtlinie - Art. 14 Abs. 1 - Widerrufsrecht - Beginn der Widerrufsfrist bei unvollständigen oder unrichtigen Informationen - Missbräuchlicher Charakter der Ausübung des Widerrufsrechts - Verwirkung des Widerrufsrechts - Pflicht zur vorherigen Rückgabe des Fahrzeugs im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts bei einem verbundenen Kreditvertrag"
EuGH vom 21.12.2023 - C-38/21

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