04.06.2024

Verbraucherdarlehensvertrag: Widerrufsrecht und Kaskadenverweis

Der Bank ist es, wenn der Darlehensnehmer seine auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrages gerichtete Willenserklärung wegen eines sog. Kaskadenverweises zum Beginn der Widerrufsfrist widerrufen hat, ohne dass Musterschutz besteht, verwehrt, sich auf Rechtsmissbrauch hinsichtlich der Geltendmachung des fehlenden Musterschutzes zu berufen. Denn die Unvollständigkeit bzw. Fehlerhaftigkeit der Widerrufsinformation hinsichtlich des Beginns der Widerrufsfrist hat sich bei einem sog. Kaskadenverweis auf die Befähigung des Darlehensnehmers, den Umfang ihrer aus dem Darlehensvertrag herrührenden Rechte und Pflichten einzuschätzen, ausgewirkt und ihm die Möglichkeit genommen, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie denen auszuüben, die vorgelegen hätten, sofern die Information vollständig und zutreffend erteilt worden wäre.

KG Berlin v. 23.5.2024 - 8 U 112/22
Der Sachverhalt:
Das Verfahren betrifft die Abwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrages zwischen dem Kläger und der beklagten Bank und den Widerruf der auf den Abschluss des Vertrags gerichtete Willenserklärung des Klägers. Der Kläger rügt die Unvollständigkeit bzw. Fehlerhaftigkeit der Widerrufsinformation hinsichtlich des Beginns der Widerrufsfrist (sog. Kaskadenverweis). Die Beklagte beruft sich auf einen Rechtsmissbrauch hinsichtlich der Geltendmachung eines fehlenden Musterschutzes.

Das KG gab der Klage teilweise statt. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Die Feststellung der Erledigung des ursprünglichen Feststellungsantrags, dass die Beklagte aufgrund des erklärten Widerrufs der Kläger keine Ansprüche mehr auf Zahlung des Vertragszinses und die vertragsgemäße Tilgung aus dem Darlehen (Nettokreditbetrag i.H.v. 39.000 €) hat, ist zu treffen. Der Feststellungsantrag war zulässig und begründet.

Das negative Feststellungsbegehren war zulässig. Die Kläger mussten sich bei Rechtshängigkeit der Klage nicht vorrangig darauf verweisen lassen, die Beklagte im Wege der Leistungsklage auf Rückgewähr der von ihnen erbrachten Leistungen zu verklagen, da die Bank, die meint, der Widerruf der Kläger sei verfristet, sich damit berühmt, dass ihr die vertraglichen Erfüllungsansprüche nach § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB zustehen. Bei Rechtshängigkeit der Klage am 5.10.2021 war das Darlehen noch nicht abgelöst, sondern es standen noch sieben Raten à 700 € aus. Die Feststellungsklage war begründet, weil der Widerruf der Kläger wirksam, insbesondere nicht verfristet war. Die Widerrufsfrist hat nicht mit Ablauf der in der Widerrufsbelehrung genannten Frist zu laufen begonnen. Denn die Widerrufsbelehrung der Beklagten ist fehlerhaft und die Beklagte kann sich nicht auf den Musterschutz berufen. Die Kläger können sich auch auf den Wegfall des Musterschutzes berufen. Insbesondere ist ihnen dies nicht wegen Rechtsmissbräuchlichkeit (§ 242 BGB) verwehrt. Die Widerrufsbelehrung der Beklagten ist fehlerhaft und die Beklagte kann sich nicht auf den Musterschutz berufen.

Der Kaskadenverweis führt dazu, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen begann. Die den Klägern erteilte Widerrufsinformation ist fehlerhaft, weil die in ihr enthaltene Verweisung auf "alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB" nicht klar und verständlich i.S.d. Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB ist. Die Beklagte kann sich auch nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB berufen. Dies setzt voraus, dass die Widerrufsinformation der Beklagten dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB entspricht. Dies ist hier nicht der Fall.

Die Beklagte erhebt auch zu Unrecht den Einwand eines Rechtsmissbrauchs seitens der Kläger. Vorliegend lautet die Widerrufsinformation derart, dass die Widerrufsfrist nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hat, zu laufen beginnt. § 492 Abs. 2 BGB verweist seinerseits auf Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB, worin wiederum auf weitere Bestimmungen des BGB verwiesen wird. Der Verweis in dem hier in Rede stehenden Vertrag auf die nationalen Rechtsvorschriften genügt nicht dem Erfordernis, den Verbraucher gem. Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der Richtlinie 2008/ in klarer, prägnanter Form über die Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts zu informieren. Der Verbraucher kann auf der Grundlage des Vertrags weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen noch überprüfen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle nach dieser Bestimmung erforderlichen Angaben enthält, und erst recht nicht, ob die Widerrufsfrist, über die er verfügen kann, für ihn zu laufen begonnen hat.

Nach diesen Maßstäben kann sich die Beklagte hier nicht darauf berufen, dass die Kläger rechtsmissbräuchlich geltend machen, dass die Widerrufsinformation Angaben zu einem Restkreditversicherungsvertrag als verbundenen Vertrag enthält, obgleich ein Restkreditversicherungsvertrag nicht geschlossen wurde. Die Unvollständigkeit bzw. Fehlerhaftigkeit der Widerrufsinformation hinsichtlich des Beginns der Widerrufsfrist hat sich auf die Befähigung der Kläger, den Umfang ihrer aus dem Darlehensvertrag herrührenden Rechte und Pflichten einzuschätzen, ausgewirkt und ihnen die Möglichkeit genommen, ihre Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie denen auszuüben, die vorgelegen hätten, sofern die Information vollständig und zutreffend erteilt worden wäre. Daher ist der Beklagten nach der oben dargestellten Rechtsprechung des EuGH die Berufung auf eine missbräuchliche Ausübung des Widerrufsrechts seitens der Kläger verwehrt. Durch die vollständige Rückführung des Darlehens ist Erledigung eingetreten.

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