21.05.2024

Vergaberecht: Wann liegt ein nicht zur Irrtumsanfechtung berechtigender Kalkulationsirrtum vor?

Ein nicht zur Irrtumsanfechtung berechtigender Kalkulationsirrtum liegt vor, wenn der Irrtum bei der Kalkulation der Einheitspreise für ein Gebot in einem Vergabeverfahren entstanden ist.  Alleine der Umstand, dass das Gebot anfechtbar sein soll, führt nicht zu einer fehlenden Bestimmtheit der Einzelpreise. Der Bieter kann sein Gebot nur im Gesamten anfechten.

OLG Stuttgart v. 16.5.2024 - 2 U 146/22
Der Sachverhalt:
Die beklagte Gemeinde hatte im Oktober 2020 verschiedene Gewerke für den Bau eines Regenüberlaufbeckens auf der Grundlage der VOB/A und VOB/B aus. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Am 10.11.2020 unterbreitete die Klägerin ein Angebot über 913.965 € (netto), mit dem sie rund 2 % unter dem Angebot des Zweitplatzierten und rund 8 % unter dem Angebot des Drittplatzierten lag.

Nach Ablauf der Angebotsfrist und noch vor der Zuschlagserteilung teilte das von der Beklagten beauftragte Ingenieurbüro mit, es sei aufgefallen, dass einige der Einheitspreise der Klägerin im Vergleich zu den Mitbewerbern sehr günstig seien, insbesondere für Betonstabstahl, für Betonstahlmatten und für Unterstützungskörbe. Das Ingenieurbüro teilte mit, dass die Leistung nach Tonnen ausgeschrieben sei, es die Einheitspreise für nicht auskömmlich halte und um Aufklärung bitte. Die Klägerin antwortete hierauf am 19.11.2020, in den fraglichen Positionen sei ihr ein kalkulatorischer Fehler unterlaufen. Infolge der Kalkulation mit vorgefertigten Kalkulationsbausteinen hätte sie versehentlich einen Kilopreis anstatt eines Tonnenpreises angeboten. Da das Angebot in seiner Gesamtheit auskömmlich sei, stehe sie zu den abgegebenen Preisen. Diese Auskunft gab sie auch unmittelbar an die Beklagte.

Am 7.12.2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass diese vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werde. Noch am selben Tag rügte die Beklagte den Ausschluss als vergaberechtswidrig. Die Beklagte erteilte den Zuschlag an einen anderen Bieter. Daraufhin verlangte die Klägerin Schadensersatz wegen ihres entgangenen Gewinns i.H.v. 26.620 € (3 % der Angebotssumme). Das LG hat der Klägerin den Schadensersatzanspruch aus § 280 Absatz 1, § 241 Absatz 2, § 311 Absatz 2 BGB dem Grunde nach zugesprochen. Das OLG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt.

Die Gründe:
Die Klägerin hätte nicht vom Verfahren ausgeschlossen werden dürfen. Der von der Beklagten angegebene Grund - Anfechtbarkeit des Bieterangebots wegen eines Erklärungsirrtums - rechtfertigte nicht den Ausschluss unter dem Gesichtspunkt, dass die geforderten Preise nicht angegeben seien (§ 16a Absatz 2 Satz 2 VOB/A i.V.m. § 13 Absatz 1 Nummer 3 VOB/A).

Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ihr Gebot wegen eines Erklärungsirrtums hätte anfechten können. In der Auskunft vom 19.11.2020 hatte die Klägerin angegeben, dass sie die Kalkulation mit vorgefertigten Kalkulationsbausteinen durchgeführt habe und dabei versehentlich einen Kilopreis anstatt einem Tonnenpreis angeboten habe. Diese Angabe wies die Beklagte darauf hin, dass sich der Fehler bereits in der vorgelagerten Kalkulation eingeschlichen hatte. Der Mitteilung ließ sich hingegen nicht - schon gar nicht mit der für einen Ausschluss gebotenen Sicherheit - entnehmen, dass erst die Übertragung der Preise in das Angebot aufgrund eines Irrtums erfolgt war. Infolgedessen konnte festgestellt werden, dass der Irrtum bereits im Vorfeld des Gebots entstanden war, nämlich bei der Kalkulation der Einheitspreise, nicht erst bei der Übertragung der Kalkulation in das Formular. Als Irrtum im Beweggrund (Motiv) war er unbeachtlich, da die Klägerin das Risiko für die Richtigkeit der Kalkulation des Einzelpreises trug.

Selbst bei unterstellter Anfechtbarkeit des Angebots lagen die Voraussetzungen für einen Ausschluss wegen fehlender Angabe der geforderten Preise nicht vor. Als fehlende Preisangabe i.S.v. § 13 Absatz 1 Nr. 3 VOB/A ist eine Auslassung oder eine Angabe mit unbestimmtem Bedeutungsgehalt zu bewerten oder wenn die Preisangaben offensichtlich unzutreffend sind. Das war vorliegend jedoch nicht der Fall, denn die Klägerin hatte die von ihr angegebenen Einzelpreise tatsächlich verlangt. Alleine der Umstand, dass das Gebot anfechtbar sein soll, führt nicht zu einer fehlenden Bestimmtheit der Einzelpreise. Der Bieter kann sein Gebot nur im Gesamten anfechten.

Ein Ausschluss war auch nicht unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass die Klägerin durch den konkludent erklärten Verzicht auf ihr Anfechtungsrecht i.S.v. § 15 Absatz 3 VOB/A unzulässigerweise über eine Änderung der Angebote oder Preise verhandelt hätte (so aber OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.1.2011 - 15 Verg 11/11). Die Klägerin hatte ihr Angebot nicht verändert. Sie hatte lediglich erklärt, zu den Preisen zu stehen. Darin unterschied sich der vorliegende Fall auch von dem beklagtenseits angeführten Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg (vom 22.4.2021 - 1 VK 8/21), in dem anlässlich einer Nachfrage eine missverständliche Preisangabe klargestellt werden sollte.

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