Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs im Beschwerdeverfahren vor dem BPatG
BGH v. 23.9.2021 - I ZB 10/21
Der Sachverhalt:
Für die Designinhaberin ist 2014 das Design 40 2013 004 752-0002 mit einer Darstellung für das Erzeugnis "Heizkörper" in das Designregister beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) eingetragen worden. Die Darstellung zeigt einen Handtuchheizkörper mit zwei senkrechten Rohren links sowie sechs mal vier daran befestigte übereinanderliegende waagerechte Rohre mit unterschiedlichen Längen, die gleichmäßig über den Heizkörper verteilt sind. Gegen dieses Design stellte die Antragstellerin mit einem am 15.10.2015 beim DPMA eingegangenen Schriftsatz einen auf den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Neuheit und Eigenart gestützten Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit. Die Designinhaberin verzichtete mit Schriftsatz vom 10.11.2015 für die Zukunft auf das Design und widersprach dem Nichtigkeitsantrag für die Zeit vor dem Verzicht. Die Antragstellerin teilte daraufhin mit, dass sie von einem ihrer Kunden, der von der Designinhaberin abgemahnt worden sei, in Regress genommen werde und deshalb ein Interesse an der rückwirkenden Feststellung der Nichtigkeit des angegriffenen Designs habe. Ihren auf Feststellung der Nichtigkeit des Designs gerichteten Antrag wies das DPMA mit Beschluss vom 30.11.2017 zurück. Der Beschluss wurde der Antragstellerin am 13.12.2017 zugestellt.
Mit am Montag, dem 15.1.2018, eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag legte die Antragstellerin gegen den Beschluss des DPMA vom 30.11.2017 Beschwerde ein und führte aus, die Beschwerdebegründung bleibe einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Die Designinhaberin hat den Antrag gestellt, die Beschwerde zurückzuweisen. Mit Schriftsatz vom 8.2.2018 führte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin aus: "In dem Designverfahren fragen wir höflich an, bis wann die Beschwerdebegründung eingereicht werden kann. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung des Unterzeichners als alleinigen Sachbearbeiters und wegen der laufenden Korrespondenz mit Unternehmen aus der Türkei in dieser Sache kann die Beschwerdebegründung nicht zeitnah erfolgen." Dieser Schriftsatz wurde dem Berichterstatter des Marken- und Design-Beschwerdesenats des BPatG am 22.3.2018 mit dem Vermerk "Hr. BE zKtn v. Bl. ... Was kann mitgeteilt werden?" zugeschrieben. Der Verfahrensakte lässt sich nicht entnehmen, dass die schriftsätzliche Anfrage des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin vom BPatG beantwortet worden ist.
Mit Schriftsätzen vom 24.10.2018, 17.6.2019 und 5.11.2019 fragte der Verfahrensbevollmächtigte der Designinhaberin an, ob inzwischen die vom Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin angekündigte Beschwerdebegründung vorliege. Auf den Schriftsätzen findet sich jeweils der handschriftliche Vermerk "tel. erledigt". Der Verfahrensakte lässt sich nicht entnehmen, dass diese Schriftsätze der Antragstellerin oder ihrem Verfahrensbevollmächtigten übersandt worden sind. Außerdem findet sich dort kein Hinweis, dass das BPatG die Antragstellerin oder ihren Verfahrensbevollmächtigten über die mit dem Verfahrensbevollmächtigten der Designinhaberin geführten Telefonate informiert hat.
Das BPatG wies die Beschwerde der Antragstellerin zurück, ohne dass eine Beschwerdebegründung der Antragstellerin vorgelegen hat. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hob der BGH den Beschluss des BPatG auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Das Verfahren vor dem BPatG verletzt die Antragstellerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 23 Abs. 5 Satz 2 DesignG, § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG).
Die Rechtsbeschwerde macht geltend, aus dem Verfahrensablauf ergebe sich, dass das BPatG die Beschwerde zurückgewiesen habe, ohne der Antragstellerin Gelegenheit zur Begründung ihrer Beschwerde gegeben zu haben. Das BPatG habe nicht auf die Bitte der Antragstellerin reagiert mitzuteilen, bis wann die Beschwerdebegründung eingereicht werden könne. Dagegen habe es die drei Anfragen der Designinhaberin beantwortet, ohne wiederum die Antragstellerin über die Anfragen und die Antworten des BPatG in Kenntnis zu setzen. Das BPatG habe die Antragstellerin auch nicht darauf hingewiesen, dass es entscheiden werde, ohne auf die schriftsätzlich angekündigte Beschwerdebegründung zu warten. Durch dieses Verhalten habe es den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren verletzt. Mit diesem Vorbringen hat die Rechtsbeschwerde Erfolg.
Die Bestimmung des Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Allerdings ist das BPatG grundsätzlich nicht gehalten, den Beteiligten im schriftlichen Beschwerdeverfahren Äußerungsfristen zu setzen oder einen beabsichtigten Termin zur Beschlussfassung mitzuteilen. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs ist es lediglich geboten, dass für die Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit besteht, sich i.S.v. § 23 Abs. 4 Satz 4 DesignG i.V.m. § 93 Abs. 2 PatG gegenüber dem Gericht zu äußern. Die Möglichkeit zur Äußerung ist im Lichte des verfassungsrechtlichen Gebots des Art. 103 Abs. 1 GG gewahrt, wenn den Beteiligten eine angemessene Frist zur Verfügung stand, zur Sache vorzutragen. Das BPatG ist jedoch daran gehindert, seine Entscheidung allein aufgrund des Zeitablaufs seit der Beschwerdeeinlegung zu treffen, wenn der Beschwerdeführer darum gebeten hat, Gelegenheit zur Beschwerdebegründung zu erhalten, und das BPatG nach den Umständen dieser Bitte auch entsprechen will. Dies ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch der Beteiligten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).
Eine Gehörsverletzung ergibt sich vorliegend zum einen aus dem Umstand, dass die Antragstellerin nach den Umständen darauf vertrauen durfte, dass das BPatG nicht ohne einen vorherigen Hinweis vor Eingang einer Beschwerdebegründung entscheiden werde. Der Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs und prozessualer Waffengleichheit ist hier auch deswegen verletzt worden, weil das BPatG sie vor der Entscheidung über die Beschwerde nicht von den insgesamt drei Telefongesprächen unterrichtet hat, die ein Mitglied des BPatG mit dem Verfahrensbevollmächtigten der Designinhaberin geführt hat. Einseitige Gespräche zwischen einem Beteiligten und einem Mitglied des Gerichts bergen jedenfalls dann die Gefahr einer Verletzung des Anspruchs des anderen Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs, auf ein faires Verfahren und auf Beachtung des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit, wenn nicht alle Verfahrensbeteiligte von dem Gesprächsinhalt unterrichtet werden. So liegt es auch hier.
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Für die Designinhaberin ist 2014 das Design 40 2013 004 752-0002 mit einer Darstellung für das Erzeugnis "Heizkörper" in das Designregister beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) eingetragen worden. Die Darstellung zeigt einen Handtuchheizkörper mit zwei senkrechten Rohren links sowie sechs mal vier daran befestigte übereinanderliegende waagerechte Rohre mit unterschiedlichen Längen, die gleichmäßig über den Heizkörper verteilt sind. Gegen dieses Design stellte die Antragstellerin mit einem am 15.10.2015 beim DPMA eingegangenen Schriftsatz einen auf den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Neuheit und Eigenart gestützten Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit. Die Designinhaberin verzichtete mit Schriftsatz vom 10.11.2015 für die Zukunft auf das Design und widersprach dem Nichtigkeitsantrag für die Zeit vor dem Verzicht. Die Antragstellerin teilte daraufhin mit, dass sie von einem ihrer Kunden, der von der Designinhaberin abgemahnt worden sei, in Regress genommen werde und deshalb ein Interesse an der rückwirkenden Feststellung der Nichtigkeit des angegriffenen Designs habe. Ihren auf Feststellung der Nichtigkeit des Designs gerichteten Antrag wies das DPMA mit Beschluss vom 30.11.2017 zurück. Der Beschluss wurde der Antragstellerin am 13.12.2017 zugestellt.
Mit am Montag, dem 15.1.2018, eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag legte die Antragstellerin gegen den Beschluss des DPMA vom 30.11.2017 Beschwerde ein und führte aus, die Beschwerdebegründung bleibe einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Die Designinhaberin hat den Antrag gestellt, die Beschwerde zurückzuweisen. Mit Schriftsatz vom 8.2.2018 führte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin aus: "In dem Designverfahren fragen wir höflich an, bis wann die Beschwerdebegründung eingereicht werden kann. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung des Unterzeichners als alleinigen Sachbearbeiters und wegen der laufenden Korrespondenz mit Unternehmen aus der Türkei in dieser Sache kann die Beschwerdebegründung nicht zeitnah erfolgen." Dieser Schriftsatz wurde dem Berichterstatter des Marken- und Design-Beschwerdesenats des BPatG am 22.3.2018 mit dem Vermerk "Hr. BE zKtn v. Bl. ... Was kann mitgeteilt werden?" zugeschrieben. Der Verfahrensakte lässt sich nicht entnehmen, dass die schriftsätzliche Anfrage des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin vom BPatG beantwortet worden ist.
Mit Schriftsätzen vom 24.10.2018, 17.6.2019 und 5.11.2019 fragte der Verfahrensbevollmächtigte der Designinhaberin an, ob inzwischen die vom Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin angekündigte Beschwerdebegründung vorliege. Auf den Schriftsätzen findet sich jeweils der handschriftliche Vermerk "tel. erledigt". Der Verfahrensakte lässt sich nicht entnehmen, dass diese Schriftsätze der Antragstellerin oder ihrem Verfahrensbevollmächtigten übersandt worden sind. Außerdem findet sich dort kein Hinweis, dass das BPatG die Antragstellerin oder ihren Verfahrensbevollmächtigten über die mit dem Verfahrensbevollmächtigten der Designinhaberin geführten Telefonate informiert hat.
Das BPatG wies die Beschwerde der Antragstellerin zurück, ohne dass eine Beschwerdebegründung der Antragstellerin vorgelegen hat. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hob der BGH den Beschluss des BPatG auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Das Verfahren vor dem BPatG verletzt die Antragstellerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 23 Abs. 5 Satz 2 DesignG, § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG).
Die Rechtsbeschwerde macht geltend, aus dem Verfahrensablauf ergebe sich, dass das BPatG die Beschwerde zurückgewiesen habe, ohne der Antragstellerin Gelegenheit zur Begründung ihrer Beschwerde gegeben zu haben. Das BPatG habe nicht auf die Bitte der Antragstellerin reagiert mitzuteilen, bis wann die Beschwerdebegründung eingereicht werden könne. Dagegen habe es die drei Anfragen der Designinhaberin beantwortet, ohne wiederum die Antragstellerin über die Anfragen und die Antworten des BPatG in Kenntnis zu setzen. Das BPatG habe die Antragstellerin auch nicht darauf hingewiesen, dass es entscheiden werde, ohne auf die schriftsätzlich angekündigte Beschwerdebegründung zu warten. Durch dieses Verhalten habe es den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren verletzt. Mit diesem Vorbringen hat die Rechtsbeschwerde Erfolg.
Die Bestimmung des Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Allerdings ist das BPatG grundsätzlich nicht gehalten, den Beteiligten im schriftlichen Beschwerdeverfahren Äußerungsfristen zu setzen oder einen beabsichtigten Termin zur Beschlussfassung mitzuteilen. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs ist es lediglich geboten, dass für die Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit besteht, sich i.S.v. § 23 Abs. 4 Satz 4 DesignG i.V.m. § 93 Abs. 2 PatG gegenüber dem Gericht zu äußern. Die Möglichkeit zur Äußerung ist im Lichte des verfassungsrechtlichen Gebots des Art. 103 Abs. 1 GG gewahrt, wenn den Beteiligten eine angemessene Frist zur Verfügung stand, zur Sache vorzutragen. Das BPatG ist jedoch daran gehindert, seine Entscheidung allein aufgrund des Zeitablaufs seit der Beschwerdeeinlegung zu treffen, wenn der Beschwerdeführer darum gebeten hat, Gelegenheit zur Beschwerdebegründung zu erhalten, und das BPatG nach den Umständen dieser Bitte auch entsprechen will. Dies ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch der Beteiligten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).
Eine Gehörsverletzung ergibt sich vorliegend zum einen aus dem Umstand, dass die Antragstellerin nach den Umständen darauf vertrauen durfte, dass das BPatG nicht ohne einen vorherigen Hinweis vor Eingang einer Beschwerdebegründung entscheiden werde. Der Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs und prozessualer Waffengleichheit ist hier auch deswegen verletzt worden, weil das BPatG sie vor der Entscheidung über die Beschwerde nicht von den insgesamt drei Telefongesprächen unterrichtet hat, die ein Mitglied des BPatG mit dem Verfahrensbevollmächtigten der Designinhaberin geführt hat. Einseitige Gespräche zwischen einem Beteiligten und einem Mitglied des Gerichts bergen jedenfalls dann die Gefahr einer Verletzung des Anspruchs des anderen Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs, auf ein faires Verfahren und auf Beachtung des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit, wenn nicht alle Verfahrensbeteiligte von dem Gesprächsinhalt unterrichtet werden. So liegt es auch hier.
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