23.02.2012

Versehentliches Aufkleben eines falschen Adressetiketts gilt nicht als Organisationsverschulden

Nach ständiger BGH-Rechtsprechung liegt ein schlichtes Büroversehen der Kanzleimitarbeiterin vor, das nicht auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten beruht, wenn diese den richtig adressierten Schriftsatz in eine falsch adressierte Versandtasche einlegt. Das versehentliche Aufkleben eines falschen Adressetiketts ist damit vergleichbar.

BGH 24.1.2012, II ZB 9/11
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte gegen das ihm am 23.7.2010 zugestellte Urteil des LG Berlin am 23.8.2010 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 23.9.2010 begründet. Der an das KG gerichtete Schriftsatz ist in einem an das LG adressierten Umschlag noch am 23.9.2010 bei diesem, allerdings erst am 27.9.2010 - wie gewünscht -  beim KG eingegangen. In der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers wird die Post an die Berliner Gerichte über den Zustelldienst "Justizbote" abgewickelt. Für die Zustellung gibt es vorgefertigte Adressaufkleber in einer Registrierbox im Sekretariat. Die mit dem Adressaufkleber versehenen Briefumschläge werden in einen der Kanzlei nahegelegenen Justizbotenbriefkasten geworfen.

Mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist machte der Kläger geltend, die Übersendung an das LG beruhe auf dem Versehen einer erfahrenen und zuverlässigen Mitarbeiterin seines Prozessbevollmächtigten, die seit die seit mehr als 15 Jahren in der Kanzlei tätig sei. Diese habe nach einem falschen Aufkleber gegriffen. Der Prozessbevollmächtigte habe die Mitarbeiterin noch am gleichen Abend angerufen und sich nach dem Posteinwurf erkundigt.

Das KG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück und verwarf die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hob der BGH die Entscheidung auf und gewährte dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand.

Die Gründe:
Der Kläger war ohne sein Verschulden verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten.

Nach ständiger BGH-Rechtsprechung liegt ein schlichtes Büroversehen der Kanzleimitarbeiterin vor, das nicht auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten beruht, wenn diese den richtig adressierten Schriftsatz in eine falsch adressierte Versandtasche einlegt. Das versehentliche Aufkleben eines falschen Adressetiketts ist damit vergleichbar. Die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfalt würden überspannt, wollte man verlangen, dass der Anwalt bei einer Angestellten, an deren Zuverlässigkeit keine Zweifel bestehen, das Adressieren der Briefumschläge zu kontrollieren hat.

Ein hier unterstelltes Organisationsverschulden wäre für die Fristversäumung nicht kausal geworden. Denn auch eine den Anforderungen der Rechtsprechung genügende Ausgangskontrolle hätte es nicht verhindert, dass die Büroangestellte des Prozessbevollmächtigten des Klägers versehentlich den falschen Adressaufkleber auf dem für den Versand der Berufungsbegründungsschrift bestimmten Umschlag anbringt.

Das Versehen war allein ursächlich für die Versäumung der Frist. Hätte die Mitarbeiterin die richtige Adresse angebracht, wäre die Frist gewahrt worden, zumal sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers noch vor Fristablauf telefonisch erkundigt hatte, ob der Schriftsatz in den Briefkasten eingeworfen worden war. Damit hatte er alles Erforderliche getan, um die Wahrung der Berufungsbegründungsfrist sicherzustellen.

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