Versprechen eines zusätzliches Datenvolumens durch Mobilfunkanbieter kann irreführend sein
OLG Frankfurt a.M. v. 16.9.2021 - 6 U 133/20
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist der Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen in Deutschland; die Beklagte ist Anbieterin von Mobilfunkdienstleistungen. Ein Kunde der Beklagten hatte nach Kündigung seines Vertrages eine E-Mail erhalten, in der dem Kunden ein Geschenk in Form eines Datenvolumens von 1 GB unter der Bedingung versprochen wurde, dass er bei der Hotline anriefe. Bei Anruf bei der Hotline und durch eine weitere E-Mail eine Woche später erklärten Mitarbeiter der Beklagten hingegen, dass eine Freischaltung des Datenvolumens nur Betracht komme, wenn die Kündigung zurückgezogen werde.
Die Beklagte trug während des Verfahrens - was von dem Kläger bestritten wird - vor, es handele sich insofern um einen Irrtum und einen Fehler einzelner Mitarbeiter, der im Gegensatz zu den Anweisungen der Beklagten gestanden habe. Das LG hat die Unterlassungsklage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Verstoß gegen Nr. 21 der Anlage zu § 3 Abs. 3 UWG liege nicht vor, da die Beklagte mit der E-Mail keine Ware oder Dienstleistung kostenlos angeboten habe.
Auf die Berufung des Klägers hat das OLG die Entscheidung abgeändert und der Klage stattgegeben.
Die Gründe:
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 3, 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 UWG zu, da die Beklagte eine irreführende Handlung vorgenommen hat, indem sie einem Kunden eine kosten- und bedingungslose Leistung versprochen hat, die dieser tatsächlich nur bei Rücknahme der Kündigung erhalten sollte.
Wendet sich ein Mobilfunkanbieter an seinen Kunden, nachdem dieser die Vertragsbeziehung gekündigt hat, und verspricht diesem ein zusätzliches Datenvolumen bei einem Rückruf, ist dies irreführend, wenn dem Kunden beim Rückruf mitgeteilt wird, dass das Datenvolumen nur dann gewährt wird, wenn er die Kündigung zurücknimmt. Entgegen der Auffassung des LG ist die irreführende Handlung geeignet, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Die irreführende Werbung mit dem Datenpaket ist geeignet i.S.v. § 5 Abs. 1 UWG, da sie den Verkehr dazu anreizt, mit der Beklagten Kontakt aufzunehmen. Auch wenn die Gefahren im Allgemeinen geringer sind als die einer Irreführung mit unmittelbarer Relevanz für die Marktentscheidung, erfasst das Verbot des § 5 auch die Irreführung, von der lediglich eine Anlockwirkung ausgeht. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Fälle der Irreführung über die angemessene Bevorratung ausdrücklich im Gesetz geregelt sind, und zwar in § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ("Verfügbarkeit der Ware") und vor allem in Nr. 5 des Anh. § 3 Abs. 3.
Aber auch das europäische Recht lässt den Anlockeffekt für die irreführende Werbung ausreichen, wie sich aus Art. 3 lit. a der Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung und vor allem der UGP-RL (Anh. I Nr. 5) entnehmen lässt. In der EuGH-Rechtsprechung wird demgemäß der Begriff der "geschäftlichen Entscheidung" i.S.d. Art. 2 lit. k UGP-RL, zu deren Vornahme der Verbraucher durch die Irreführung im Sinne des Art. 6 I UGP-RL voraussichtlich veranlasst wird, weit definiert. Erfasst ist nicht nur die Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb eines Produkts, sondern auch damit unmittelbar zusammenhängende, aber vorgelagerte Entscheidungen, wie insbesondere das Betreten des Geschäfts oder das Aufsuchen eines Verkaufsportals im Internet.
Danach steht im vorliegenden Fall die geschäftliche Relevanz außer Frage. Die Beklagte hat den Kunden durch das Versprechen eines voraussetzungslosen Vorteils "an die Strippe" gelockt, um ihn leichter von einer Rücknahme seiner Kündigung zu überzeugen. Die Entscheidung des Kunden, mit der Beklagten - mit der er nach der Kündigung geschäftlich nicht mehr verbunden sein wollte - in Kontakt zu treten, ist als geschäftliche Entscheidung i.S.v. § 5 Abs. 1 UWG anzusehen und kann mit dem Betreten des Ladengeschäftes oder dem Aufsuchen eines Verkaufsportals im Internet verglichen werden. Dass es sich nur um einen Verstoß handelte (soweit bekannt), kann die Geeignetheit nicht in Frage stellen, da diese abstrakt zu betrachten ist.
Es fehlt auch nicht an der notwendigen Wiederholungsgefahr. Diese entfällt vor allem nicht deshalb, weil der Mobilfunkanbieter geltend gemacht hat, es habe sich um einen "Ausreißer" gehandelt, da eine einzelne Mitarbeiterin entgegen seinen Anweisungen gehandelt habe. Der Hinweis auf "Ausreißer" kann allenfalls im Rahmen eines - die Schuldhaftigkeit des Verstoßes erfordernden - Ordnungsmittelverfahrens Bedeutung erlangen.
LaReDa Hessen
Der Kläger ist der Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen in Deutschland; die Beklagte ist Anbieterin von Mobilfunkdienstleistungen. Ein Kunde der Beklagten hatte nach Kündigung seines Vertrages eine E-Mail erhalten, in der dem Kunden ein Geschenk in Form eines Datenvolumens von 1 GB unter der Bedingung versprochen wurde, dass er bei der Hotline anriefe. Bei Anruf bei der Hotline und durch eine weitere E-Mail eine Woche später erklärten Mitarbeiter der Beklagten hingegen, dass eine Freischaltung des Datenvolumens nur Betracht komme, wenn die Kündigung zurückgezogen werde.
Die Beklagte trug während des Verfahrens - was von dem Kläger bestritten wird - vor, es handele sich insofern um einen Irrtum und einen Fehler einzelner Mitarbeiter, der im Gegensatz zu den Anweisungen der Beklagten gestanden habe. Das LG hat die Unterlassungsklage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Verstoß gegen Nr. 21 der Anlage zu § 3 Abs. 3 UWG liege nicht vor, da die Beklagte mit der E-Mail keine Ware oder Dienstleistung kostenlos angeboten habe.
Auf die Berufung des Klägers hat das OLG die Entscheidung abgeändert und der Klage stattgegeben.
Die Gründe:
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 3, 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 UWG zu, da die Beklagte eine irreführende Handlung vorgenommen hat, indem sie einem Kunden eine kosten- und bedingungslose Leistung versprochen hat, die dieser tatsächlich nur bei Rücknahme der Kündigung erhalten sollte.
Wendet sich ein Mobilfunkanbieter an seinen Kunden, nachdem dieser die Vertragsbeziehung gekündigt hat, und verspricht diesem ein zusätzliches Datenvolumen bei einem Rückruf, ist dies irreführend, wenn dem Kunden beim Rückruf mitgeteilt wird, dass das Datenvolumen nur dann gewährt wird, wenn er die Kündigung zurücknimmt. Entgegen der Auffassung des LG ist die irreführende Handlung geeignet, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Die irreführende Werbung mit dem Datenpaket ist geeignet i.S.v. § 5 Abs. 1 UWG, da sie den Verkehr dazu anreizt, mit der Beklagten Kontakt aufzunehmen. Auch wenn die Gefahren im Allgemeinen geringer sind als die einer Irreführung mit unmittelbarer Relevanz für die Marktentscheidung, erfasst das Verbot des § 5 auch die Irreführung, von der lediglich eine Anlockwirkung ausgeht. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Fälle der Irreführung über die angemessene Bevorratung ausdrücklich im Gesetz geregelt sind, und zwar in § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ("Verfügbarkeit der Ware") und vor allem in Nr. 5 des Anh. § 3 Abs. 3.
Aber auch das europäische Recht lässt den Anlockeffekt für die irreführende Werbung ausreichen, wie sich aus Art. 3 lit. a der Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung und vor allem der UGP-RL (Anh. I Nr. 5) entnehmen lässt. In der EuGH-Rechtsprechung wird demgemäß der Begriff der "geschäftlichen Entscheidung" i.S.d. Art. 2 lit. k UGP-RL, zu deren Vornahme der Verbraucher durch die Irreführung im Sinne des Art. 6 I UGP-RL voraussichtlich veranlasst wird, weit definiert. Erfasst ist nicht nur die Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb eines Produkts, sondern auch damit unmittelbar zusammenhängende, aber vorgelagerte Entscheidungen, wie insbesondere das Betreten des Geschäfts oder das Aufsuchen eines Verkaufsportals im Internet.
Danach steht im vorliegenden Fall die geschäftliche Relevanz außer Frage. Die Beklagte hat den Kunden durch das Versprechen eines voraussetzungslosen Vorteils "an die Strippe" gelockt, um ihn leichter von einer Rücknahme seiner Kündigung zu überzeugen. Die Entscheidung des Kunden, mit der Beklagten - mit der er nach der Kündigung geschäftlich nicht mehr verbunden sein wollte - in Kontakt zu treten, ist als geschäftliche Entscheidung i.S.v. § 5 Abs. 1 UWG anzusehen und kann mit dem Betreten des Ladengeschäftes oder dem Aufsuchen eines Verkaufsportals im Internet verglichen werden. Dass es sich nur um einen Verstoß handelte (soweit bekannt), kann die Geeignetheit nicht in Frage stellen, da diese abstrakt zu betrachten ist.
Es fehlt auch nicht an der notwendigen Wiederholungsgefahr. Diese entfällt vor allem nicht deshalb, weil der Mobilfunkanbieter geltend gemacht hat, es habe sich um einen "Ausreißer" gehandelt, da eine einzelne Mitarbeiterin entgegen seinen Anweisungen gehandelt habe. Der Hinweis auf "Ausreißer" kann allenfalls im Rahmen eines - die Schuldhaftigkeit des Verstoßes erfordernden - Ordnungsmittelverfahrens Bedeutung erlangen.