11.03.2025

Vorweggenommener Deckungsprozess in der Haftpflichtversicherung

Solange das Bestehen des Haftpflichtanspruchs nicht rechtskräftig festgestellt ist, kann der Versicherungsnehmer gegen den Haftpflichtversicherer im vorweggenommenen Deckungsprozess auf Feststellung der Verpflichtung zur Gewährung bedingungsgemäßen Deckungsschutzes klagen. Die streitige Frage, ob der Haftpflichtversicherer wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Schadens leistungsfrei ist, kann im vorweggenommenen Deckungsprozess nicht entschieden werden. Auch insoweit gilt der Vorrang des Haftpflichtprozesses.

OLG Karlsruhe v. 6.3.2025, 12 U 75/24
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte am 7.10.2014 eine Privathaftpflichtversicherung mit der Versicherungsform "Familie", der Leistungsvariante "Komfort" und einer Deckungssumme von 12,5 Mio. € ohne Selbstbeteiligung abgeschlossen. Dem Vertrag lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AHB 2009) der Beklagten zugrunde. Neujahr 2020 gegen 01:55 Uhr kam es im Rahmen einer Silvesterfeier in der Tiefgarage der E-Passage zu einem Brand. Dieser war an einem Reifenstapel in einer Privatgarage entstanden und weitete sich auf benachbarte Garagen aus, bevor er gelöscht werden konnte. Am 16.1.2020 wurde die Wohnung der Klägerin strafrechtlich durchsucht, weil der Verdacht bestand, dass ihr damals 16-jähriger Sohn den Brand in der Tiefgarage verursacht hatte. Dieser wurde sodann fest- und in Untersuchungshaft genommen.

Am 6.2.2020 meldete die Klägerin der Beklagten telefonisch den Schadensfall und die Beklagte teilte der Klägerin per SMS die Schadennummer mit. Zudem forderte die Beklagte weitere Informationen bei der Klägerin an. Namentlich sollte die Klägerin das dem Schreiben beiliegende Formular "Haftpflicht-Schadenanzeige" vollständig ausfüllen und unterschrieben zurücksenden. Am 2.4.2020 ging der Beklagten die Antwort zu. Die Klägerin hatte das Formular undatiert und bis auf den handschriftlichen Zusatz "siehe Anklageschrift" unausgefüllt gelassen; die Anklageschrift war beigefügt. Am 17.4.2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie werde den Ausgang des Strafverfahrens abwarten, bevor sie eine Entscheidung über den beantragten Versicherungsschutz treffen werde.

Am 1.7.2020 wurde der Sohn der Klägerin rechtskräftig wegen fahrlässiger Brandstiftung zu einer Jugendstrafe verurteilt. Die Beklagte wies die Deckungsanfrage mit der Begründung zurück, sie sei leistungsfrei, weil der Sohn der Klägerin zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt habe. Die Klägerin war der Ansicht, ihr Sohn habe den Brand fahrlässig verursacht. Der Schadenfall sei der Beklagten unverzüglich gemeldet worden und sie habe die Beklagte stets zeitnah und vollständig informiert.

Das LG hat entschieden, dass die Beklagte aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag dem mitversicherten Sohn der Klägerin Deckungsschutz für das Schadenereignis vom 1.1.2020 zu gewähren hat. Das OLG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren weitestgehend bestätigt.

Die Gründe:
Der Feststellungsantrag ist begründet, weil die Beklagte wegen des streitgegenständlichen Schadensereignisses zur Abwehr unberechtigter Schadenersatzansprüche und zur Freistellung von berechtigten Schadenersatzverpflichtungen verpflichtet ist (Ziff. 5.1 Satz 1 AHB; § 100 VVG). Nur zur Klarstellung war hinzuzufügen, dass die Beklagte "bedingungsgemäßen" Versicherungsschutz zu gewähren hat. Durch diesen Vorbehalt behält die Beklagte das Recht, sich in einem späteren Deckungsprozess auf Befreiung von der Haftpflichtverbindlichkeit darauf zu berufen, dass der Deckungsschutz aus anderen, aus dem Versicherungsverhältnis herrührenden Gründen, über die noch nicht entschieden werden kann, zu versagen ist.

Im vorweggenommenen Deckungsprozess - d.h. bei einem Deckungsprozess vor rechtskräftiger Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung, wie im vorliegenden Fall - ist grundsätzlich auf die Behauptungen des Geschädigten abzustellen und nicht über den Haftpflichtanspruch zu entscheiden. Die Frage, ob tatsächlich eine Schadensersatzforderung besteht, kann offenbleiben, weil der Versicherer nicht nur die Freistellung von berechtigten Forderungen, sondern - als gleichrangige Hauptleistungspflicht - auch die Abwehr unbegründeter Ansprüche (Rechtsschutzverpflichtung) schuldet. Somit hat der Versicherte einen fälligen Anspruch auf Gewährung von Haftpflichtversicherungsschutz bereits dann, wenn er von einem Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Haftpflichtanspruch begründet ist oder nicht. Die Behauptungen der Geschädigten unterstellt, war der Versicherungsfall eingetreten.

Die streitige Frage, ob der Haftpflichtversicherer wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Schadens leistungsfrei ist, kann im vorweggenommenen Deckungsprozess nicht entschieden werden. Auch insoweit gilt der Vorrang des Haftpflichtprozesses. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Verlagerung der Prüfung in den nachfolgenden Deckungsprozess dazu führt, dass der Versicherer Abwehrdeckung im Haftpflichtprozess gewähren muss, obwohl er davon ausgeht, hierzu nicht verpflichtet zu sein. Diese für den Versicherer ungünstige Position ist die Konsequenz aus dem umfassenden Rechtsschutzversprechen, das er vertraglich übernommen hat und das auch dann eingreift, wenn eine Kollision zwischen den Interessen des Versicherten und denen des Versicherers nicht zu vermeiden ist. In diesem Fall muss der Versicherer seine eigenen Interessen hintanstellen.

Mehr zum Thema:

Aufsatz
Theo Langheid
VersR REPORT: Ausgewählte neue Rechtsprechung zur Haftpflichtversicherung
VersR 2025, 327
VERSR0076259

Beratermodul VersR - Zeitschrift für Versicherungsrecht:
Das Beratermodul für den gezielten digitalen Zugriff auf sämtliche Inhalte der VersR zum Versicherungsrecht, zum Schadenrecht und zum Haftungsrecht. Inklusive online Archiv und Selbststudium nach § 15 FAO. Mit dem Beratermodul VersR haben Sie Zugriff auf das Archiv der Zeitschrift VersR seit 1970 mit jeweils 24 Ausgaben pro Jahr. 4 Wochen gratis nutzen!
Landesrechtsprechung Baden-Württemberg