24.02.2022

Wann gilt der Wirkstoff zur Prävention einer noch nicht manifestierten Krankheit als "neu"?

Der Einsatz eines Wirkstoffs zur Prävention einer Krankheit, die sich noch nicht manifestiert hat, ist nicht neu, wenn die Kriterien, an deren Vorliegen das Patent die erfindungsgemäße Präventionswirkung knüpft, bereits im Stand der Technik als Kriterien für die Verabreichung des Wirkstoffs herangezogen worden sind, und weder eine neue Art und Weise der Wirkstoffgabe gelehrt noch eine Patientengruppe als erfolgreich behandelbar aufgezeigt wird, die mit dem Wirkstoff bislang nicht behandelt worden ist.

BGH v. 14.12.2021 - X ZR 107/19
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für Deutschland erteilten europäischen Patents 2 301 626 (Streitpatents), das am 1.8.2008 unter Inanspruchnahme europäischer Prioritäten vom 3.8.2007 und 12.3.2008 angemeldet wurde und ein Antibiotikum zur Behandlung einer lokalen Infektion betrifft. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift ist Procalcitonin (PCT) ein etablierter Biomarker, mit dem der Schweregrad einer bakteriellen Infektion beurteilt und überwacht werden kann und der mit Schwellwerten von 0,25 ng/ml oder 0,5 ng/ml bereits zur Steuerung von Antibiotikatherapien eingesetzt wurde. Unklar sei, ob eine neben der Infektion vorliegende Primärerkrankung (z.B. Herzinsuffizienz), die das Immunsystem zusätzlich belasten könne, Auswirkungen auf die Interpretation von PCT-Konzentrationen unter 0,25 ng/ml habe. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, die Steuerung von Antibiotikatherapien weiter zu verbessern.

Die Klägerinnen hatten geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne, und nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten und hilfsweise in sieben geänderten Fassungen verteidigt.

Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Der Gegenstand des Streitpatents sei ausführbar offenbart. Da die Sepsis als infektiöse Erkrankung nicht unter die Definition der Ersterkrankung im Sinne des Streitpatents falle, klassifiziere der Fachmann sie als Beispiel für eine weitere Erkrankung. Die Frage, ob bei allen Patienten mit einer beliebigen nicht infektiösen Ersterkrankung und patentgemäßer PCT-Konzentration eine Behandlung der lokalen Infektion mit Antibiotika angezeigt sei, könne offenbleiben, weil die Offenbarung einer stets erfolgreichen Behandlung nicht erforderlich sei.

Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerinnen hat der BGH die Entscheidung unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und das europäische Patent 2 301 626 wird mit Wirkung für Deutschland teilweise für nichtig erklärt.

Gründe:
Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung nicht neu. Vor dem aufgezeigten Hintergrund erweist sich das Streitpatent in der erteilten Fassung als nicht patentfähig.

Der Einsatz eines Wirkstoffs zur Prävention einer Krankheit, die sich noch nicht manifestiert hat, ist nicht neu, wenn die Kriterien, an deren Vorliegen das Patent die erfindungsgemäße Präventionswirkung knüpft, bereits im Stand der Technik als Kriterien für die Verabreichung des Wirkstoffs herangezogen worden sind, und weder eine neue Art und Weise der Wirkstoffgabe gelehrt noch eine Patientengruppe als erfolgreich behandelbar aufgezeigt wird, die mit dem Wirkstoff bislang nicht behandelt worden ist. Die Erkenntnis, dass eine vorbekannte Verwendung eines Wirkstoffs zugleich einen weitergehenden (präventiven) Behandlungszweck erfüllen kann, stellt für sich gesehen keine neue technische Lehre zum Handeln dar. Eine Verwendung setzt zwar den zielgerichteten Einsatz zur Erzielung der geschützten Wirkung voraus. Ein zielgerichtetes Handeln in diesem Sinne hat aber nicht zur Voraussetzung, dass die Wirkungsweise des verabreichten Stoffs im Einzelnen bekannt ist. Vielmehr genügt ein Vorgehen, das objektiv darauf gerichtet ist, die geschützte Wirkung herbeizuführen.

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