Welcher Rechtsweg? Streit über Widerspruch gegen Anmeldung der Restschuldbefreiungsfestigkeit einer Insolvenzforderung aus Steuerschuldverhältnis
LG Arnsberg v. 14.4.2025 - 2 O 384/24
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Restschuldbefreiungsfestigkeit der Gewerbesteuerforderungen der klagenden Stadt gegen den Beklagten.
Über das Vermögen des Beklagten wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin meldete am 17.2.2022 ihre Gewerbesteuerforderungen für die Jahre 2011 bis 2020 i.H.v. rd. 170.000 € zur Insolvenztabelle an, in der sie am 7.4.2022 in voller Höhe und ohne Widerspruch eines Beteiligten festgestellt wurden. Nachdem die Klägerin erfahren hatte, dass der Beklagte mit Strafurteil vom 14.1.2020 wegen Steuerhinterziehung u.a. hinsichtlich der Gewerbesteuer (nur) für die Steuerjahre 2011 bis 2015 (hinsichtlich eines Teilbetrages i.H.v. rd. 65.000 € der obigen Insolvenzforderung) rechtskräftig verurteilt worden war, meldete sie am 27.5.2024 die Restschuldbefreiungsfestigkeit ihrer Insolvenzforderung an, der der Beklagte am selben Tag widersprach. Gegen diesen Widerspruch wurde vor dem sachlich und örtlich zuständigen Zivilgericht Klage auf die Feststellung erhoben, dass die Forderung restschuldbefreiungsfest ist.
Das LG erklärte den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig und verwies die Sache auf den Verwaltungsrechtsweg an das VG Arnsberg.
Die Gründe:
Die Sache war gem. § 17a Abs. 2 GVG an das nach § 52 Nr. 1, 5 VwGO zuständige VG in Arnsberg des gem. § 40 Abs. 1 VwGO einschlägigen Verwaltungsrechtswegs zu verweisen, weil dieser Rechtsweg und nicht der zu den ordentlichen Gerichten und auch nicht der zu den Finanzgerichten gegeben ist.
Nach den Vorschriften der InsO ist ein Rechtsstreit zur Beseitigung der Wirkung des Widerspruchs gegen die Anmeldung einer Forderung zur Insolvenztabelle (und dabei auch der zur Beseitigung des auf die Restschuldbefreiungsfestigkeit beschränkten Widerspruchs; sog. "Attributklage") auf dem jeweils gegebenen Rechtsweg zu führen. Nach der zutreffenden finanzgerichtlichen Rechtsprechung ist für die Feststellung der Restschuldbefreiungsfestigkeit von Steuerforderungen insoweit nicht der ordentliche Rechtsweg gegeben. Dies muss ebenso gelten, wenn der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist. Auch für die Beseitigung eines zulässigerweise auf die Restschuldbefreiungsfestigkeit i.S.d. § 302 InsO beschränkten Widerspruchs ist zur Feststellung dieses sog. "Attributs" gem. § 184 Abs. 1 InsO Klage gegen den Schuldner zu erheben. Ist allerdings der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht gegeben, ist gem. § 185 Satz 1 InsO die Feststellung bei dem zuständigen anderen Gericht zu betreiben oder von der zuständigen Verwaltungsbehörde vorzunehmen.
In der Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob für die Feststellung der Restschuldbefreiungsfestigkeit von Steuerforderungen der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist oder die Finanzbehörden die entsprechenden Feststellungen auf der Grundlage des § 185 Satz 1 Var. 2 InsO entsprechend § 251 Abs. 3 AO durch Bescheid aussprechen können und müssen. Weil Steuerforderungen nach der Rechtsprechung der Finanzgerichtsbarkeit keine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung i.S.d. § 302 Nr. 1 Hs. 1 Var. 1 InsO begründen können, geht es insofern um die Frage, wie die wegen § 302 Nr. 1 Hs. 1 Var. 3 InsO erforderliche Feststellung zu treffen ist, dass die "Verbindlichkeiten des Schuldners [...] aus einem Steuerschuldverhältnis, sofern der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder § 374 der Abgabenordnung rechtskräftig verurteilt worden ist", stammen.
Nach der Rechtsprechung des BFH, der sich das LG anschließt, ist der Streit über die rechtliche Einordnung der angemeldeten Forderung im Falle des § 302 Nr. 1 Var. 3 InsO nicht vor den Zivilgerichten zu führen, weil diese Variante anders als die vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung der Variante 1 eine entsprechende Verurteilung erfordert, es also "nicht um die Feststellung einer Steuerstraftat, sondern um die Feststellung einer rechtskräftigen Verurteilung geht. Diese Vorfrage haben die zuständigen Strafgerichte bereits geklärt. Der Gesetzgeber hat ausweislich der Gesetzesbegründung auf eine rechtskräftige Verurteilung abgestellt, um dem Gericht zu ersparen, selbst die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Straftat feststellen zu müssen". Gem. § 37 Abs. 1 AO zählen zu den Ansprüchen aus einem Steuerschuldverhältnis auch die in § 3 Abs. 4 AO aufgeführten steuerlichen Nebenleistungen; diese sind von der Restschuldbefreiungsfestigkeit ebenfalls erfasst. Dann aber verlangt die Attributsprüfung die Klärung wesentlicher steuerrechtlicher Fragen, nämlich welche steuerlichen Nebenleistungen nach den dort weiter angegebenen Vorschriften der Abgabenordnung dem Gegenstand der strafrechtlichen Verurteilung zuzuordnen sind.
Der hier zu entscheidende Fall, bei dem der Beklagte nur für einige Steuerjahre rechtskräftig verurteilt worden ist und daher auch nur bzgl. dieses Zeitraums - wenngleich insoweit sowohl für den Steueranspruch selbst als auch den Anspruch auf die steuerlichen Nebenleistungen (siehe oben) - das Attribut gewährt werden kann, zeigt dieses Bedürfnis. Es muss nämlich festgestellt werden, welche steuerlichen Nebenleistungen dem privilegierten Steueranspruch zugehörig sind und welche nicht, weil sie anderen oder keinen Steuerschulden des Beklagten zuzuweisen sind. Diese Fragen sind aber nicht Metier der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sondern der mit der Abgabenordnung befassten Gerichte. Diese Erwägungen gelten auch hier, obgleich in der Sache die Gewerbesteuer als eine der klagenden Gemeinde zustehende Realsteuer gegenständlich ist und in der Folge prozessual nicht der Rechtsweg zu den Finanzgerichten, sondern zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist.
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Justiz NRW
Die Parteien streiten über die Restschuldbefreiungsfestigkeit der Gewerbesteuerforderungen der klagenden Stadt gegen den Beklagten.
Über das Vermögen des Beklagten wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin meldete am 17.2.2022 ihre Gewerbesteuerforderungen für die Jahre 2011 bis 2020 i.H.v. rd. 170.000 € zur Insolvenztabelle an, in der sie am 7.4.2022 in voller Höhe und ohne Widerspruch eines Beteiligten festgestellt wurden. Nachdem die Klägerin erfahren hatte, dass der Beklagte mit Strafurteil vom 14.1.2020 wegen Steuerhinterziehung u.a. hinsichtlich der Gewerbesteuer (nur) für die Steuerjahre 2011 bis 2015 (hinsichtlich eines Teilbetrages i.H.v. rd. 65.000 € der obigen Insolvenzforderung) rechtskräftig verurteilt worden war, meldete sie am 27.5.2024 die Restschuldbefreiungsfestigkeit ihrer Insolvenzforderung an, der der Beklagte am selben Tag widersprach. Gegen diesen Widerspruch wurde vor dem sachlich und örtlich zuständigen Zivilgericht Klage auf die Feststellung erhoben, dass die Forderung restschuldbefreiungsfest ist.
Das LG erklärte den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig und verwies die Sache auf den Verwaltungsrechtsweg an das VG Arnsberg.
Die Gründe:
Die Sache war gem. § 17a Abs. 2 GVG an das nach § 52 Nr. 1, 5 VwGO zuständige VG in Arnsberg des gem. § 40 Abs. 1 VwGO einschlägigen Verwaltungsrechtswegs zu verweisen, weil dieser Rechtsweg und nicht der zu den ordentlichen Gerichten und auch nicht der zu den Finanzgerichten gegeben ist.
Nach den Vorschriften der InsO ist ein Rechtsstreit zur Beseitigung der Wirkung des Widerspruchs gegen die Anmeldung einer Forderung zur Insolvenztabelle (und dabei auch der zur Beseitigung des auf die Restschuldbefreiungsfestigkeit beschränkten Widerspruchs; sog. "Attributklage") auf dem jeweils gegebenen Rechtsweg zu führen. Nach der zutreffenden finanzgerichtlichen Rechtsprechung ist für die Feststellung der Restschuldbefreiungsfestigkeit von Steuerforderungen insoweit nicht der ordentliche Rechtsweg gegeben. Dies muss ebenso gelten, wenn der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist. Auch für die Beseitigung eines zulässigerweise auf die Restschuldbefreiungsfestigkeit i.S.d. § 302 InsO beschränkten Widerspruchs ist zur Feststellung dieses sog. "Attributs" gem. § 184 Abs. 1 InsO Klage gegen den Schuldner zu erheben. Ist allerdings der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht gegeben, ist gem. § 185 Satz 1 InsO die Feststellung bei dem zuständigen anderen Gericht zu betreiben oder von der zuständigen Verwaltungsbehörde vorzunehmen.
In der Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob für die Feststellung der Restschuldbefreiungsfestigkeit von Steuerforderungen der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist oder die Finanzbehörden die entsprechenden Feststellungen auf der Grundlage des § 185 Satz 1 Var. 2 InsO entsprechend § 251 Abs. 3 AO durch Bescheid aussprechen können und müssen. Weil Steuerforderungen nach der Rechtsprechung der Finanzgerichtsbarkeit keine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung i.S.d. § 302 Nr. 1 Hs. 1 Var. 1 InsO begründen können, geht es insofern um die Frage, wie die wegen § 302 Nr. 1 Hs. 1 Var. 3 InsO erforderliche Feststellung zu treffen ist, dass die "Verbindlichkeiten des Schuldners [...] aus einem Steuerschuldverhältnis, sofern der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder § 374 der Abgabenordnung rechtskräftig verurteilt worden ist", stammen.
Nach der Rechtsprechung des BFH, der sich das LG anschließt, ist der Streit über die rechtliche Einordnung der angemeldeten Forderung im Falle des § 302 Nr. 1 Var. 3 InsO nicht vor den Zivilgerichten zu führen, weil diese Variante anders als die vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung der Variante 1 eine entsprechende Verurteilung erfordert, es also "nicht um die Feststellung einer Steuerstraftat, sondern um die Feststellung einer rechtskräftigen Verurteilung geht. Diese Vorfrage haben die zuständigen Strafgerichte bereits geklärt. Der Gesetzgeber hat ausweislich der Gesetzesbegründung auf eine rechtskräftige Verurteilung abgestellt, um dem Gericht zu ersparen, selbst die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Straftat feststellen zu müssen". Gem. § 37 Abs. 1 AO zählen zu den Ansprüchen aus einem Steuerschuldverhältnis auch die in § 3 Abs. 4 AO aufgeführten steuerlichen Nebenleistungen; diese sind von der Restschuldbefreiungsfestigkeit ebenfalls erfasst. Dann aber verlangt die Attributsprüfung die Klärung wesentlicher steuerrechtlicher Fragen, nämlich welche steuerlichen Nebenleistungen nach den dort weiter angegebenen Vorschriften der Abgabenordnung dem Gegenstand der strafrechtlichen Verurteilung zuzuordnen sind.
Der hier zu entscheidende Fall, bei dem der Beklagte nur für einige Steuerjahre rechtskräftig verurteilt worden ist und daher auch nur bzgl. dieses Zeitraums - wenngleich insoweit sowohl für den Steueranspruch selbst als auch den Anspruch auf die steuerlichen Nebenleistungen (siehe oben) - das Attribut gewährt werden kann, zeigt dieses Bedürfnis. Es muss nämlich festgestellt werden, welche steuerlichen Nebenleistungen dem privilegierten Steueranspruch zugehörig sind und welche nicht, weil sie anderen oder keinen Steuerschulden des Beklagten zuzuweisen sind. Diese Fragen sind aber nicht Metier der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sondern der mit der Abgabenordnung befassten Gerichte. Diese Erwägungen gelten auch hier, obgleich in der Sache die Gewerbesteuer als eine der klagenden Gemeinde zustehende Realsteuer gegenständlich ist und in der Folge prozessual nicht der Rechtsweg zu den Finanzgerichten, sondern zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist.
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