Widerrufsrecht bei Ergänzung um zusätzlichen Beitragsentlastungstarif in privater Krankenversicherung
OLG Nürnberg 3.2.2025 - 8 U 1284/24
Der Sachverhalt:
Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit 2002 eine private Krankenversicherung. Am 19.9.2011 hatte er die Erweiterung des bestehenden Versicherungsvertrages um einen Tarif zur Beitragsentlastung im Alter beantragt (Tarif "B ..."). Das vom Kläger unterzeichnete Antragsformular enthielt auf der Rückseite eine fettgedruckte Überschrift "Wichtige Erklärung des Antragstellers / der Antragstellerin und der zu versichernden Person(en) sowie Hinweise!". Untermittelbar danach folgte:
"Widerrufsrecht
Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen nach deren Abgabe ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt, nachdem Sie den Versicherungsschein, die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die weiteren Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 des Versicherungsvertragsgesetzes in Verbindung mit den §§ 1, 3 und 4 der VVG-Informationspflichtverordnung und diese Belehrung jeweils in Textform erhalten haben."
Mit einer vor dem LG erhobenen Klage hatte der Kläger die Unwirksamkeit der 2012, 2013 und 2015 erfolgten Beitragserhöhungen geltend gemacht. Der Prozess endete mit einer Klagerücknahme.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.11.2022 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten den Widerruf der Vertragsänderung hinsichtlich der Einbeziehung des Tarifs "B ...". Er forderte die Rückerstattung der auf diesen Tarif gezahlten Prämien nebst gezogener Nutzungen. Dies lehnte die Beklagte ab.
Das LG hat der Zahlungsklage dem Grunde nach stattgegeben. Der am 29.11.2022 erklärte Widerruf des Klägers sei wirksam, da er zuvor nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt worden sei. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Gründe:
Im Zeitpunkt des Schreibens vom 29.11.2022 war der Kläger nicht mehr berechtigt, seine Vertragserklärung gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. zu widerrufen. Die maßgebliche Frist von 14 Tagen war seit langem verstrichen.
Der Kläger ist vor Abgabe seiner Vertragserklärung in Textform und deutlich gestaltet über das Widerrufsrecht und die Rechtsfolgen des Widerrufs belehrt worden (§ 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG a.F.). Bei dem hier erfolgten Vertragsschluss nach dem sog. Antragsmodell genügt es, wenn sich die Belehrung im Antragsformular befindet. Die Belehrung im vorliegenden Fall sprang einem aufmerksamen Versicherungsnehmer ohne Weiteres ins Auge und konnte ohne Probleme gefunden werden. Sie genügte daher den Anforderungen an eine deutliche Gestaltung (vgl. auch OLG Celle, Urt. v. 17.5.2024 - 8 U 149/23). Die Belehrung entsprach inhaltlich in weiten Teilen, wenngleich nicht vollständig, der Musterwiderrufsbelehrung gem. § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. und war nicht zu beanstanden.
Unerheblich war, ob die Angabe einer Postfachadresse den gesetzlichen Anforderungen einer "ladungsfähigen Anschrift" entsprach. Denn es würde sich nur um einen geringfügigen Belehrungsfehler handeln, der einer Ausübung des Widerrufsrechts nach § 242 BGB entgegensteht (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 17.1.2024 - IV ZR 19/23, VersR 2024, 346 und vom 15.3.2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631). Die Angabe des Widerrufsadressaten hat - anders als etwa nach der Regelung des Art. 246b § 1 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB - auch nicht die Funktion, den Vertragspartner zu identifizieren und dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit zu geben, etwaige Ansprüche gegen den Versicherer schnell und effektiv im Klageweg geltend zu machen. Es wäre unverhältnismäßig, dem Kläger allein wegen des im Raum stehenden Fehlers einer bloßen Postfachangabe zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen.
Entgegen der Ansicht des LG ergab sich aus dem Inhalt des Policenbegleitschreibens der Beklagten keine andere Rechtsfolge. Ist eine von mehreren Belehrungen insgesamt ordnungsgemäß oder mit lediglich geringfügigen Mängeln behaftet, kommt es insoweit darauf an, ob der Versicherungsnehmer durch eine weitere - formal oder inhaltlich nicht ordnungsgemäße - Belehrung irregeführt oder von einem rechtzeitigen Widerruf abgehalten wird (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.2015 - IV ZR 71/14 und v. 26.4.2023 - IV ZR 300/22). Letzteres konnte im Streitfall nicht angenommen werden. Die ebenfalls fett gedruckte Belehrung im Policenbegleitschreiben ist in rechtlicher Hinsicht ohnehin nicht die maßgebliche, weil der Vertragsschluss hier im sog. Antragsmodell erfolgte und die Belehrung daher im Zusammenhang mit der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers zu erfolgen hatte. Insbesondere war die Fristangabe von zwei Wochen aufgrund ihrer inhaltlichen Gleichwertigkeit nicht geeignet, den Versicherungsnehmer gegenüber der in der ausführlichen Belehrung enthaltenen gesetzlichen Formulierung ("14 Tage") in die Irre zu führen.
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Grundsätzliches zur Auslegung von § 163 VVG und Zulässigkeit von Anpassungsklauseln für den Rentenfaktor in der Rentenversicherung
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Rechtsprechung (Vorinstanz)
Wirksamkeit einer Regelung in AVB zur einseitigen Herabsetzung des Rentenfaktors
LG Stuttgart vom 10.07.2023 - 53 O 214/22
VersR 2023, 1215
VERSR0058988
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Bayern.Recht
Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit 2002 eine private Krankenversicherung. Am 19.9.2011 hatte er die Erweiterung des bestehenden Versicherungsvertrages um einen Tarif zur Beitragsentlastung im Alter beantragt (Tarif "B ..."). Das vom Kläger unterzeichnete Antragsformular enthielt auf der Rückseite eine fettgedruckte Überschrift "Wichtige Erklärung des Antragstellers / der Antragstellerin und der zu versichernden Person(en) sowie Hinweise!". Untermittelbar danach folgte:
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Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen nach deren Abgabe ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt, nachdem Sie den Versicherungsschein, die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die weiteren Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 des Versicherungsvertragsgesetzes in Verbindung mit den §§ 1, 3 und 4 der VVG-Informationspflichtverordnung und diese Belehrung jeweils in Textform erhalten haben."
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.11.2022 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten den Widerruf der Vertragsänderung hinsichtlich der Einbeziehung des Tarifs "B ...". Er forderte die Rückerstattung der auf diesen Tarif gezahlten Prämien nebst gezogener Nutzungen. Dies lehnte die Beklagte ab.
Das LG hat der Zahlungsklage dem Grunde nach stattgegeben. Der am 29.11.2022 erklärte Widerruf des Klägers sei wirksam, da er zuvor nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt worden sei. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.
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Im Zeitpunkt des Schreibens vom 29.11.2022 war der Kläger nicht mehr berechtigt, seine Vertragserklärung gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. zu widerrufen. Die maßgebliche Frist von 14 Tagen war seit langem verstrichen.
Der Kläger ist vor Abgabe seiner Vertragserklärung in Textform und deutlich gestaltet über das Widerrufsrecht und die Rechtsfolgen des Widerrufs belehrt worden (§ 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG a.F.). Bei dem hier erfolgten Vertragsschluss nach dem sog. Antragsmodell genügt es, wenn sich die Belehrung im Antragsformular befindet. Die Belehrung im vorliegenden Fall sprang einem aufmerksamen Versicherungsnehmer ohne Weiteres ins Auge und konnte ohne Probleme gefunden werden. Sie genügte daher den Anforderungen an eine deutliche Gestaltung (vgl. auch OLG Celle, Urt. v. 17.5.2024 - 8 U 149/23). Die Belehrung entsprach inhaltlich in weiten Teilen, wenngleich nicht vollständig, der Musterwiderrufsbelehrung gem. § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. und war nicht zu beanstanden.
Unerheblich war, ob die Angabe einer Postfachadresse den gesetzlichen Anforderungen einer "ladungsfähigen Anschrift" entsprach. Denn es würde sich nur um einen geringfügigen Belehrungsfehler handeln, der einer Ausübung des Widerrufsrechts nach § 242 BGB entgegensteht (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 17.1.2024 - IV ZR 19/23, VersR 2024, 346 und vom 15.3.2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631). Die Angabe des Widerrufsadressaten hat - anders als etwa nach der Regelung des Art. 246b § 1 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB - auch nicht die Funktion, den Vertragspartner zu identifizieren und dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit zu geben, etwaige Ansprüche gegen den Versicherer schnell und effektiv im Klageweg geltend zu machen. Es wäre unverhältnismäßig, dem Kläger allein wegen des im Raum stehenden Fehlers einer bloßen Postfachangabe zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen.
Entgegen der Ansicht des LG ergab sich aus dem Inhalt des Policenbegleitschreibens der Beklagten keine andere Rechtsfolge. Ist eine von mehreren Belehrungen insgesamt ordnungsgemäß oder mit lediglich geringfügigen Mängeln behaftet, kommt es insoweit darauf an, ob der Versicherungsnehmer durch eine weitere - formal oder inhaltlich nicht ordnungsgemäße - Belehrung irregeführt oder von einem rechtzeitigen Widerruf abgehalten wird (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.2015 - IV ZR 71/14 und v. 26.4.2023 - IV ZR 300/22). Letzteres konnte im Streitfall nicht angenommen werden. Die ebenfalls fett gedruckte Belehrung im Policenbegleitschreiben ist in rechtlicher Hinsicht ohnehin nicht die maßgebliche, weil der Vertragsschluss hier im sog. Antragsmodell erfolgte und die Belehrung daher im Zusammenhang mit der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers zu erfolgen hatte. Insbesondere war die Fristangabe von zwei Wochen aufgrund ihrer inhaltlichen Gleichwertigkeit nicht geeignet, den Versicherungsnehmer gegenüber der in der ausführlichen Belehrung enthaltenen gesetzlichen Formulierung ("14 Tage") in die Irre zu führen.
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