05.03.2025

Widerrufsrecht gem. § 8 Abs. 1 VVG steht dem Versicherungsnehmer auch bei Vertragsänderungen zu

Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen dem Versicherungsnehmer im Falle einer Änderung des Vertrages ein Widerrufsrecht gem. § 8 Abs. 1 VVG zusteht, lässt sich dem Gesetzeswortlaut zwar nicht eindeutig entnehmen. Ein solches Widerrufsrecht steht dem Versicherungsnehmer nach Ansicht des Senats aber auch bei Vertragsänderungen zu, wobei offenbleiben kann, ob ein Widerrufsrecht bei jedweder Vertragsänderung besteht oder nur bei wesentlichen Vertragsänderungen.

OLG Köln v. 7.2.2025 - 20 U 6/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte im Jahr 2014 bei der Beklagten zwei Rentenversicherungsverträge mit Versicherungsbeginn jeweils zum 1.5.2014 abgeschlossen, einen kapitalgebundenen Vertrag (Vertrag 1) und den fondsgebundenen Vertrag (Vertrag 2). Als Beitragszahlungen waren für den Vertrag 1 monatlich 3700 € und für den Vertrag 2 monatlich 200 € vereinbart. Vermittelt wurden die beiden Verträge durch den Versicherungsvertreter B. Vereinbarter Rentenbeginn ist jeweils der in den Versicherungsanträgen genannte 1.11.2080.

Am 16.10.2015 hat der Kläger nach einem Gespräch mit B. ein handschriftliches Schreiben unterzeichnet, nach dessen Wortlaut die monatlichen Beiträge für die beiden Versicherungsverträge jeweils auf 600 € erhöht werden sollten. Die Beklagte bestätigte diese Erhöhungen jeweils per Nachtrag zum Versicherungsschein. Ob der Kläger diese beiden Nachträge erhalten hatte, blieb streitig.

Der Kläger hat Ansprüche auf die Rückzahlung der auf die beiden Erhöhungen entfallenden Beitragsanteile i.H.v. 23.940 € geltend gemacht. Er hat sich hierfür auf den von ihm mit anwaltlichem Schreiben vom 15.4.2019 erklärten Widerruf der im Jahr 2015 erfolgten Erhöhungen, alternativ auf eine von ihm mit anwaltlichem Schreiben vom 8.5.2019 erklärte Anfechtung der Erhöhungen gestützt. Die Beklagte verweigerte eine Rückzahlung.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Der Kläger habe die Beitragserhöhungen bezüglich der beiden Verträge nicht wirksam widerrufen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG das Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben.

Die Gründe:
Dem Kläger steht aufgrund des von ihm erklärten Widerrufs der im Jahr 2015 vereinbarten Beitragserhöhungen ein Zahlungsanspruch in Höhe von insgesamt 23.940 € zu.

Die Beurteilung des LG, dass der Widerruf der auf die Beitragsaufstockungen gerichteten Willenserklärung jedenfalls nicht fristgerecht vom Kläger erklärt worden sei, wurde von der hierfür gegebenen Begründung nicht getragen. Zwar trifft es zu, dass der Beginn der Widerrufsfrist nach § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VVG erfordert, dass dem Versicherungsnehmer die maßgeblichen Unterlagen − die die Norm für einen Erstabschluss des Vertrages ausdrücklich aufzählt − zugegangen sind. Darüber hinaus ist gem. § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VVG jedoch zusätzlich erforderlich, dass ihm eine den in jener Norm genannten Anforderungen genügende Widerrufsbelehrung in Textform zugegangen ist.

Dass dem Kläger eine Belehrung darüber erteilt worden war, dass er betreffend die Aufstockung der beiden Verträge durch Erhöhung der Beitragszahlungen zum Widerruf der jeweils vereinbarten Aufstockung berechtigt sei, ließ sich den zur Akte gereichten Unterlagen nicht entnehmen. Eine solche Belehrung war von der Beklagten auch für keinen der beiden Verträge behauptet worden. Damit kam es auf die vom LG − ausgehend von dessen rechtlicher Beurteilung des Widerrufs als jedenfalls verfristet konsequent − nicht abschließend entschiedene Frage an, ob dem Kläger bezüglich der im Jahr 2015 erfolgten Beitragsaufstockungen ein gesetzliches Widerrufsrecht gem. § 8 Abs. 1 i.V.m. § 152 Abs. 1 VVG zustand.

Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen dem Versicherungsnehmer im Falle einer Änderung des Vertrages ein Widerrufsrecht gem. § 8 Abs. 1 VVG zusteht, lässt sich dem Gesetzeswortlaut zwar nicht eindeutig entnehmen. Es ist jedoch, soweit für den Senat ersichtlich, im Grundsatz anerkannt, dass ein Widerrufsrecht nicht ausschließlich bei Neuabschlüssen von Versicherungsverträgen in Betracht kommt, sondern auch bei Vertragsänderungen. Lediglich zu der Frage, für welche späteren einvernehmlichen Änderungen ein Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers besteht, werden unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Die wohl überwiegende Auffassung in der Literatur vertritt den Standpunkt, dass das Widerrufsrecht für jegliche Änderung besteht, und zwar unabhängig von ihrem Umfang und ihrer Bedeutung. Andere Stimmen in der Literatur vertreten die Auffassung, dass nur Änderungen "von einigem Gewicht" ein Widerrufsrecht auszulösen vermögen. Der Senat geht davon aus, dass ein gesetzliches Widerrufsrecht i.S.d. § 8 Abs. 1 VVG nicht nur den erstmaligen Abschluss des Versicherungsvertrages erfasst, sondern auch im Falle später vorgenommener einvernehmlicher Änderungen bestehen kann. Im vorliegenden Fall bedurfte der Meinungsstreit keiner Entscheidung, weil auch nach der Auffassung, die nur für Änderungen von einigem Gewicht bzw. für wesentliche Änderungen ein Widerrufsrecht für gegeben hält, im vorliegenden Fall ein Widerrufsrecht i.S.d. § 8 Abs. 1 VVG bestand.

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