05.08.2024

Widerspruch: Zur Rückabwicklung von Lebens- und Rentenversicherung

Das OLG Bamberg hat sich vorliegend mit der Rückabwicklung einer kapitalbildenden Lebensversicherung sowie eines fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrags nach Widerspruch auseinandergesetzt.

OLG Bamberg v. 25.7.2024 - 1 U 59/24 e
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten um die Rückabwicklung einer kapitalbildenden Lebensversicherung sowie eines fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrags nach Widerspruch. Der Kläger stellte bei der Beklagten am 14.11.1999 einen Antrag auf Abschluss einer kapitalbildenden Lebensversicherung mit Versicherungsbeginn zum 1.12.1999 und -ende zum 1.12.2019 und am 20.12.2000 einen Antrag auf Abschluss einer fondsgebundenen Rentenversicherung mit aufgeschobener Rentenzahlung mit Versicherungsbeginn zum 1.1.2001 und -ende zum 1.1.2018. Beide Anträge wurden in der Folge von der Beklagten jeweils angenommen. Hinsichtlich des Inhalts der Belehrungen wird auf die Anlagen K 1 sowie S. 2 ff. des erstinstanzlichen Urteils, hinsichtlich der erfolgten Vertragsaktivitäten auf die Anlagen B 1- B 3 verwiesen.

Beide Verträge wurden nach Vertragsende abgerechnet und an den Kläger rd. 58.000 € bzw. 133.000 € ausbezahlt. Mit Anwaltsschreiben vom 26.2.2020 bzw. 20.5.2020 erklärte der Kläger den Widerspruch gegen den Abschluss der Verträge, was die Beklagte jeweils zurückwies. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die Verträge im sog. Policenmodell zustande gekommen seien. Die Widerspruchsbelehrungen seien nicht ordnungsgemäß erfolgt, die Widersprüche folglich nicht verfristet. Es bestünde daher ein Anspruch auf Zahlung von insgesamt rd. 41.000 € sowie Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Die Verträge seien im Antragsmodell zustande gekommen und die Widersprüche verfristet, da der Kläger ordnungsgemäß belehrt worden sei. Die Ausübung des Widerspruchsrechts sei im Übrigen rechtsmissbräuchlich. Jedenfalls seien die Ansprüche verjährt.

Das LG wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers gab das OLG der Klage weitgehend statt. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Der geltend gemachte Zahlungsanspruch ist durch die wirksamen Widersprüche im Jahr 2020 für beide Verträge entstanden und auch durchsetzbar.

Der Kläger ist jeweils nicht ordnungsgemäß belehrt worden, weshalb seine im Jahr 2020 erklärten Widersprüche nicht verfristet waren. Vorliegend sind die Versicherungsverträge jeweils nicht nach dem Antragsmodell, sondern nach dem Policenmodell abgeschlossen worden, weil die nach § 10a Abs. 1 Satz 1 VAG in der seinerzeit gültigen Fassung erforderlichen Verbraucherinformationen wegen der fehlenden Information über die Antragsbindungsfrist nicht vollständig erteilt worden sind. Die Frage, ob in der Verbraucherinformation Angaben zur Antragsbindungsfrist auch dann enthalten sein müssen, wenn der Versicherer den Antrag fristgerecht annimmt, ist durch das Urteil des BGH vom 29.11.2023 (IV ZR 117/22) mittlerweile geklärt. Bei einem beabsichtigten Vertragsschluss im Antragsmodell müssen die nach § 10a Abs. 1 Satz 1 VAG a.F. erforderlichen Verbraucherinformationen eine Angabe über die Antragsbindungsfrist auch dann enthalten, wenn der Versicherer den Antrag des Versicherungsnehmers binnen der vertraglich vereinbarten oder der gesetzlichen Antragsbindungsfrist (§ 147 Abs. 2 BGB) annimmt. Eine folglich notwendige Widerspruchsbelehrung enthielten die Unterlagen der Beklagten unstreitig nicht.

Das Recht des Klägers, sich auf die erklärten Widersprüche zu berufen, war auch nicht verwirkt. Die Verwirkung ist ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens und begründet eine zeitliche Grenze für die Geltendmachung von Rechten und Rechtspositionen; der Verstoß gegen Treu und Glauben liegt in der illoyalen Verspätung der Rechtsausübung. Nach BGH-Rechtsprechung kann auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise gegen Treu und Glauben verstoßen und damit unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles gegeben sind. Voraussetzung für die Verwirkung sind ein "Zeitmoment" - das hier angesichts einer Zeitspanne von rd. 19 bzw. 21 Jahren zwischen Versicherungsbeginn und Widerspruchserklärung erfüllt ist - und ein "Umstandsmoment". Nach diesen Maßstäben hat der Kläger vorliegend nicht von seinem Widerspruchsrecht hinsichtlich beider Verträge in illoyaler Weise verspätet Gebrauch gemacht. An das Umstandsmoment dürfen selbst bei längerem Zeitablauf - wie hier - keine geringeren Anforderungen gestellt werden.

Der Kläger hat ausgehend hiervon einen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte i.H.v. rd. 41.000 €. Der Kläger kann dem Grunde nach die gezahlten Prämien aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) zurückverlangen, weil er diese rechtsgrundlos geleistet hat. Der Versicherungsnehmer kann daneben die vom Versicherer tatsächlich gezogene Nutzungen herausverlangen und trägt hierfür die Darlegungs- und Beweislast. Er kann seinen Tatsachenvortrag nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe stützen. Der auf die Abschlusskosten entfallende Prämienanteil bleibt für Nutzungsersatzansprüche außer Betracht. Mangels abweichender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Versicherer diesen Prämienanteil nicht zur Kapitalanlage nutzen konnte, während bei Verwaltungskosten gezogene Nutzungen bei ausreichendem Tatsachenvortrag grundsätzlich verlangt werden können.

Der Kläger hat zu den behaupteten Nutzungen ausreichend vorgetragen, insbesondere Abschlusskosten und den faktischen Versicherungsschutz abgezogen, d.h. für die Berechnung der gezogenen Nutzungen nicht berücksichtigt. In der Replik hat der Kläger ergänzend vorgetragen, dass die konkreten Zahlen für die Beklagte bei der BaFin abgefragt und in die Berechnung eingepflegt worden seien. Dem ist die Beklagte nicht ausreichend entgegengetreten, weshalb der entsprechende Tatsachenvortrag zur Anspruchshöhe als zugestanden zu bewerten ist (§ 138 Abs. 3 ZPO). Die Beklagte hat hierzu mit Klageerwiderung vom 4.1.2024 lediglich (hilfsweise) vorgebracht, dass sie den klägerischen Vortrag nicht für ausreichend substantiiert halte, ohne auf den konkreten Vortrag der Klägerseite substantiiert einzugehen oder diesen konkret zu bestreiten.

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