Wie weit gehen die Warnpflichten einer Bank beim sog. "Enkeltrick"?
OLG Hamm v. 7.8.2024 - 2 O 112/24
Der Sachverhalt:
Die heute knapp 60 Jahre alte Klägerin hatte am 18.7.2023 einen sog. Schockanruf erhalten, der vermeintlich von ihrer Tochter stammte. Die Anruferin teilte der Klägerin mit, dass sie einen Unfall mit Todesfolge verursacht habe, weshalb sie nun auf einem Polizeirevier festgehalten würde. Im weiteren Verlauf des Gesprächs erklärte ein vermeintlicher Kommissar, dass neben der Tochter auch ein Hund im Fahrzeug gewesen sei, was die Klägerin die erfundene Geschichte glauben ließ. Der Kommissar erklärte weiter, dass die Klägerin eine Kaution i.H.v. 25.000 € für die Tochter hinterlegen müsse. Da das Amtsgericht bereits geschlossen sei, sei das Geld in bar bei einem Notar zu hinterlegen. Daraufhin fuhr die Klägerin zur Filiale der Beklagten. Vor diesem Vorfall hatte sie mit dieser Filiale noch keinen Kontakt gehabt. Die Filiale an ihrem Wohnort war zu diesem Zeitpunkt aber bereits geschlossen.
Auf Aufforderung des Bank-Mitarbeiters übergab die Klägerin die zu dem Konto gehörende Bankkarte sowie ihren Personalausweis. Nach erfolgter Legitimationsprüfung scheiterte die Klägerin zunächst bei der Eingabe ihrer PIN. Dabei führte sie das Telefonat mit den Betrügern weiter. Nachdem sie die PIN gefunden hatte, wurde sie an einem anderen Schalter bedient, der dortige Mitarbeiter war von dem ersten Mitarbeiter instruiert worden. Die Klägerin gab ihre PIN erfolgreich ein, so dass der Auszahlungsvorgang bestätigt wurde. Der Mitarbeiter händigte der Klägerin noch einen Briefumschlag zum Transport der Scheine aus, weil sie keine Tasche dabeihatte. Die Klägerin verließ nach knapp 40 Minuten die Filiale, fuhr zum Notariat und übergab das Bargeld an einen Betrüger. Bei Rückkehr nach Hause wurde ihr gewahr, dass sie Opfer eines Trickbetruges geworden war.
Die Klägerin behauptete später, dass sie während der rund 40 Minuten in der Filiale der Beklagten sichtlich aufgelöst und nervös gewesen sei. Das hätten die Mitarbeiter der Beklagten auch bemerkt und ihr trotzdem ohne Nachfrage den Betrag von 25.000 € in bar ausgezahlt. Dabei habe es sich um nahezu das gesamte Kontoguthaben gehandelt. Außerdem habe es sich bei der Auszahlung um einen extrem ungewöhnlichen Vorgang gehandelt, der nicht ihrem üblichen Abhebeverhalten entsprach. Die Beklagte bzw. deren Mitarbeiter hätten schuldhaft eine vertragliche Nebenpflicht zur Stellung von Nachfragen zur Vermeidung einer klägerischen Selbstschädigung verletzt. Infolgedessen forderte die Klägerin von der Beklagten 25.000 € Schadensersatz.
Das LG hat die Klage abgewiesen.
Die Gründe:
Die Beklagte hat mit der Auszahlung der 25.000 € am in bar an die Klägerin keine dieser gegenüber bestehende (neben-)vertragliche Pflicht verletzt. Sie war vielmehr nach § 675o Abs. 2 BGB zur Ausführung des ihr von der Klägerin erteilten Zahlungsauftrages gesetzlich verpflichtet.
Wegen der Massenhaftigkeit der Geschäftsvorgänge bei Giroverträgen - auch bei Bargeldauszahlungen am Schalter - ist es gemeinhin anerkannt, dass sich ein Zahlungsdienstleister in der Regel auf eine rein formale Prüfung des Inhalts, ob der ihm erteilte Auftrag seinem äußeren Erscheinungsbild nach in Ordnung ist, beschränken darf. Daran bestanden hier keine Zweifel. Ebenso ist anerkannt, dass in Ausnahmefällen Warn- und Hinweispflichten des Zahlungsdienstleisters bestehen können. Diese sind jedoch auf solche Fälle beschränkt, in denen es Treu und Glauben nach den besonderen Umständen des Einzelfalls gebieten, vor Ausführung des Auftrags vorherige Rücksprache mit dem abhebewilligen Bankkunden zu halten, um diesen vor einem möglicherweise drohenden Schaden zu bewahren. Um einerseits die Banken nicht übermäßig zu belasten und um andererseits Bargeldabhebungen (auch für die Bankkunden) nicht übermäßig zu erschweren, beschränken sich die Warn- und Hinweispflichten auf objektive Evidenz aufgrund massiver Verdachtsmomente; zusätzliche Prüfungspflichten sollen gerade nicht begründet werden.
Wenn aber eine Bankkundin - wie hier - nervös und aufgelöst am Schalter die Barauszahlung eines hohen Betrages verlangt, hat die Bank ohne Hinzutreten weiterer, außergewöhnlicher Umstände die Motivation für die Abhebung nicht zu hinterfragen. Im Gegenteil ist sie aus dem Girovertrag ihrer Kundin gegenüber zur Ausführung des Auftrags verpflichtet, § 675o Abs. 2 BGB (vgl. LG Dortmund, Urt. v. 24.1.2024, Az.: 3 O 340/23, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 19.9.2023, XI ZR 343/22). Auch aus den Gesamtumständen musste sich der Beklagten bzw. ihren Mitarbeitern nicht aufdrängen, dass die Abhebung des Geldbetrages nicht aus freien Stücken erfolgte. Insofern dürfte es zunächst kaum ungewöhnlich sein, dass eine Bankkundin ihre PIN bei der Bargeldabhebung (mehrfach) falsch eingibt. Dies dürfte vielmehr täglich in Bankfilialen passieren.
Der Schaden entstand hier auch nicht bereits mit der eigentlichen Bargeldabhebung, sondern erst mit der Weitergabe des Geldes an den Betrüger. Der innere Beweggrund der Klägerin für die Abhebung des Geldes ist gerade nicht nach außen hervorgetreten und war damit für die Beklagte bzw. deren Mitarbeiter auch nicht erkennbar. Es würde die oben näher beschriebenen Prüf-, Warn- und Schutzpflichten von Kreditinstituten überspannen, wollte man ihnen abverlangen, jede - und sei es: erstmalige - Abhebung eines hohen Bargeldbetrages durch einen älteren - und sei es: nervös wirkenden - Menschen auf Plausibilität zu überprüfen.
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Justiz NRW
Die heute knapp 60 Jahre alte Klägerin hatte am 18.7.2023 einen sog. Schockanruf erhalten, der vermeintlich von ihrer Tochter stammte. Die Anruferin teilte der Klägerin mit, dass sie einen Unfall mit Todesfolge verursacht habe, weshalb sie nun auf einem Polizeirevier festgehalten würde. Im weiteren Verlauf des Gesprächs erklärte ein vermeintlicher Kommissar, dass neben der Tochter auch ein Hund im Fahrzeug gewesen sei, was die Klägerin die erfundene Geschichte glauben ließ. Der Kommissar erklärte weiter, dass die Klägerin eine Kaution i.H.v. 25.000 € für die Tochter hinterlegen müsse. Da das Amtsgericht bereits geschlossen sei, sei das Geld in bar bei einem Notar zu hinterlegen. Daraufhin fuhr die Klägerin zur Filiale der Beklagten. Vor diesem Vorfall hatte sie mit dieser Filiale noch keinen Kontakt gehabt. Die Filiale an ihrem Wohnort war zu diesem Zeitpunkt aber bereits geschlossen.
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Die Klägerin behauptete später, dass sie während der rund 40 Minuten in der Filiale der Beklagten sichtlich aufgelöst und nervös gewesen sei. Das hätten die Mitarbeiter der Beklagten auch bemerkt und ihr trotzdem ohne Nachfrage den Betrag von 25.000 € in bar ausgezahlt. Dabei habe es sich um nahezu das gesamte Kontoguthaben gehandelt. Außerdem habe es sich bei der Auszahlung um einen extrem ungewöhnlichen Vorgang gehandelt, der nicht ihrem üblichen Abhebeverhalten entsprach. Die Beklagte bzw. deren Mitarbeiter hätten schuldhaft eine vertragliche Nebenpflicht zur Stellung von Nachfragen zur Vermeidung einer klägerischen Selbstschädigung verletzt. Infolgedessen forderte die Klägerin von der Beklagten 25.000 € Schadensersatz.
Das LG hat die Klage abgewiesen.
Die Gründe:
Die Beklagte hat mit der Auszahlung der 25.000 € am in bar an die Klägerin keine dieser gegenüber bestehende (neben-)vertragliche Pflicht verletzt. Sie war vielmehr nach § 675o Abs. 2 BGB zur Ausführung des ihr von der Klägerin erteilten Zahlungsauftrages gesetzlich verpflichtet.
Wegen der Massenhaftigkeit der Geschäftsvorgänge bei Giroverträgen - auch bei Bargeldauszahlungen am Schalter - ist es gemeinhin anerkannt, dass sich ein Zahlungsdienstleister in der Regel auf eine rein formale Prüfung des Inhalts, ob der ihm erteilte Auftrag seinem äußeren Erscheinungsbild nach in Ordnung ist, beschränken darf. Daran bestanden hier keine Zweifel. Ebenso ist anerkannt, dass in Ausnahmefällen Warn- und Hinweispflichten des Zahlungsdienstleisters bestehen können. Diese sind jedoch auf solche Fälle beschränkt, in denen es Treu und Glauben nach den besonderen Umständen des Einzelfalls gebieten, vor Ausführung des Auftrags vorherige Rücksprache mit dem abhebewilligen Bankkunden zu halten, um diesen vor einem möglicherweise drohenden Schaden zu bewahren. Um einerseits die Banken nicht übermäßig zu belasten und um andererseits Bargeldabhebungen (auch für die Bankkunden) nicht übermäßig zu erschweren, beschränken sich die Warn- und Hinweispflichten auf objektive Evidenz aufgrund massiver Verdachtsmomente; zusätzliche Prüfungspflichten sollen gerade nicht begründet werden.
Wenn aber eine Bankkundin - wie hier - nervös und aufgelöst am Schalter die Barauszahlung eines hohen Betrages verlangt, hat die Bank ohne Hinzutreten weiterer, außergewöhnlicher Umstände die Motivation für die Abhebung nicht zu hinterfragen. Im Gegenteil ist sie aus dem Girovertrag ihrer Kundin gegenüber zur Ausführung des Auftrags verpflichtet, § 675o Abs. 2 BGB (vgl. LG Dortmund, Urt. v. 24.1.2024, Az.: 3 O 340/23, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 19.9.2023, XI ZR 343/22). Auch aus den Gesamtumständen musste sich der Beklagten bzw. ihren Mitarbeitern nicht aufdrängen, dass die Abhebung des Geldbetrages nicht aus freien Stücken erfolgte. Insofern dürfte es zunächst kaum ungewöhnlich sein, dass eine Bankkundin ihre PIN bei der Bargeldabhebung (mehrfach) falsch eingibt. Dies dürfte vielmehr täglich in Bankfilialen passieren.
Der Schaden entstand hier auch nicht bereits mit der eigentlichen Bargeldabhebung, sondern erst mit der Weitergabe des Geldes an den Betrüger. Der innere Beweggrund der Klägerin für die Abhebung des Geldes ist gerade nicht nach außen hervorgetreten und war damit für die Beklagte bzw. deren Mitarbeiter auch nicht erkennbar. Es würde die oben näher beschriebenen Prüf-, Warn- und Schutzpflichten von Kreditinstituten überspannen, wollte man ihnen abverlangen, jede - und sei es: erstmalige - Abhebung eines hohen Bargeldbetrages durch einen älteren - und sei es: nervös wirkenden - Menschen auf Plausibilität zu überprüfen.
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