Wirkung der Enthaftungserklärung des Verwalters auf ein vom Schuldner eingegangenes Untermietverhältnis
BGH v. 2.12.2022 - IX ZR 206/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Verwalterin in dem am 14.7.2017 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten. Der Beklagte hatte bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Wohnung angemietet und von dieser einen Teil untervermietet. Die Untervermietung erfolgte zur Verminderung der aus der Anmietung erwachsenden Kosten, nachdem sich der Beklagte von seiner Ehefrau getrennt hatte. Die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Zeit von August 2017 bis Oktober 2018 gezahlten Untermieten gelangten nicht zur Masse; sie wurden über die Mutter des Beklagten an die Hauptvermieterin weitergeleitet.
Die Klägerin, die mit Wirkung vom 1.11.2017 die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO abgegeben hat, nahm den Beklagten auf Zahlung in Höhe der seit Verfahrenseröffnung geschuldeten Untermieten in Anspruch.
Das LG gab der Klage im Wesentlichen statt. Nur hinsichtlich eines Teils der Untermiete für Oktober 2018 wies es die Klage ab, weil es sich nicht von dessen Entrichtung durch den Untermieter überzeugen konnte. Im Berufungsverfahren begehrte die Klägerin hilfsweise die Feststellung, dass ihr gegen den Beklagten ein Zahlungsanspruch in der vom LG ausgeurteilten Höhe zustehe. Das KG hielt (nur) den Hilfsantrag für zulässig, wies ihn aber als unbegründet ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Klage ist dem Hauptantrag nach zulässig. Deshalb ist die Bedingung für die Entscheidung über den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag nicht eingetreten. Der Zulässigkeit des Feststellungsantrags stünde überdies der Vorrang der Leistungsklage entgegen.
Eine Zahlungsklage des Insolvenzverwalters gegen den Schuldner persönlich, mittels derer eine nach Verfahrenseröffnung eingetretene Masseverkürzung rückgängig gemacht werden soll, richtet sich bei interessengerechter Auslegung gegen das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners. Die Parteien streiten nicht um die Zugehörigkeit eines zugriffsfähigen Gegenstands zur Masse. Es geht vielmehr um die Frage, ob der Beklagte zur Erstattung der an die Hauptvermieterin geflossenen Gelder an die Masse verpflichtet ist. Das erfordert einen materiell-rechtlichen Anspruch. Der Sache nach geht es um eine Rückgängigmachung einer infolge der Weiterleitung der Gelder an die Hauptvermieterin eingetretenen Masseverkürzung.
Eine Verkürzung der Masse kann nicht durch einen Zugriff auf (andere) Massebestandteile rückgängig gemacht werden. Im Grundsatz bedarf es vielmehr des Zugriffs auf das Vermögen eines Dritten. Soll wie hier der Schuldner selbst die Verkürzung der Masse rückgängig machen, muss auf dessen insolvenzfreies Vermögen zugegriffen werden. Nach § 35 Abs. 1 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Die so beschriebene Insolvenzmasse lässt keinen Raum zur Rückgängigmachung einer Masseverkürzung. Das gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung des von § 35 Abs. 1 InsO erfassten Neuerwerbs. Da dieser ohnehin zur Masse gehört, gleicht er eine vorangegangene Verkürzung der Masse nicht aus.
Die Leistungsklage der Klägerin ist unbegründet. Es fehlt an einem materiell-rechtlichen Anspruch, der eine Verurteilung des Beklagten zu der begehrten Zahlung rechtfertigen könnte. Der Beklagte ist nicht zur Erstattung der bis zum Eintritt der Wirkungen der Enthaftungserklärung der Klägerin vereinnahmten Untermieten verpflichtet. Von einer (unterstellten) Pflicht zur Erstattung der Untermieten ist der Beklagte durch die erfolgte Weiterleitung der Gelder an die Hauptvermieterin frei geworden. Nach der Rechtsprechung des BGH kann der Verwalter einen Drittschuldner nicht nach Maßgabe von § 82 InsO auf (erneute) Zahlung in Anspruch nehmen, wenn die Masse durch die Leistung des Drittschuldners von einer Masseverbindlichkeit entlastet wird, die anderenfalls der Verwalter in voller Höhe beglichen hätte. In diesem Fall wird durch die Leistung des Drittschuldners die Vermögenslage hergestellt, die anderenfalls der Insolvenzverwalter hätte herstellen müssen. Nicht anders ist die Lage, wenn der Schuldner in den Leistungsvorgang eingeschaltet wird und es zu der Entlastung der Masse erst durch sein Zutun kommt. In einem solchen Fall erlangt deshalb auch der Schuldner Befreiung von einem etwaigen Erstattungsanspruch. Davon ist vorliegend auszugehen.
Nach der Rechtsprechung des BGH geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung in vollem Umfang auf den Schuldner über. Welche Auswirkungen das auf einen den angemieteten Wohnraum betreffenden Untermietvertrag hat, hat der BGH bisher nicht entschieden. Die Frage ist dahingehend zu beantworten, dass die Enthaftungserklärung regelmäßig auch das Untermietverhältnis erfasst. Dem entspricht es, dass die Wirkung einer Freigabe auch den Erlös aus der Verwertung eines freigegebenen Vermögensgegenstands erfasst.
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Die Klägerin ist Verwalterin in dem am 14.7.2017 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten. Der Beklagte hatte bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Wohnung angemietet und von dieser einen Teil untervermietet. Die Untervermietung erfolgte zur Verminderung der aus der Anmietung erwachsenden Kosten, nachdem sich der Beklagte von seiner Ehefrau getrennt hatte. Die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Zeit von August 2017 bis Oktober 2018 gezahlten Untermieten gelangten nicht zur Masse; sie wurden über die Mutter des Beklagten an die Hauptvermieterin weitergeleitet.
Die Klägerin, die mit Wirkung vom 1.11.2017 die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO abgegeben hat, nahm den Beklagten auf Zahlung in Höhe der seit Verfahrenseröffnung geschuldeten Untermieten in Anspruch.
Das LG gab der Klage im Wesentlichen statt. Nur hinsichtlich eines Teils der Untermiete für Oktober 2018 wies es die Klage ab, weil es sich nicht von dessen Entrichtung durch den Untermieter überzeugen konnte. Im Berufungsverfahren begehrte die Klägerin hilfsweise die Feststellung, dass ihr gegen den Beklagten ein Zahlungsanspruch in der vom LG ausgeurteilten Höhe zustehe. Das KG hielt (nur) den Hilfsantrag für zulässig, wies ihn aber als unbegründet ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Klage ist dem Hauptantrag nach zulässig. Deshalb ist die Bedingung für die Entscheidung über den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag nicht eingetreten. Der Zulässigkeit des Feststellungsantrags stünde überdies der Vorrang der Leistungsklage entgegen.
Eine Zahlungsklage des Insolvenzverwalters gegen den Schuldner persönlich, mittels derer eine nach Verfahrenseröffnung eingetretene Masseverkürzung rückgängig gemacht werden soll, richtet sich bei interessengerechter Auslegung gegen das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners. Die Parteien streiten nicht um die Zugehörigkeit eines zugriffsfähigen Gegenstands zur Masse. Es geht vielmehr um die Frage, ob der Beklagte zur Erstattung der an die Hauptvermieterin geflossenen Gelder an die Masse verpflichtet ist. Das erfordert einen materiell-rechtlichen Anspruch. Der Sache nach geht es um eine Rückgängigmachung einer infolge der Weiterleitung der Gelder an die Hauptvermieterin eingetretenen Masseverkürzung.
Eine Verkürzung der Masse kann nicht durch einen Zugriff auf (andere) Massebestandteile rückgängig gemacht werden. Im Grundsatz bedarf es vielmehr des Zugriffs auf das Vermögen eines Dritten. Soll wie hier der Schuldner selbst die Verkürzung der Masse rückgängig machen, muss auf dessen insolvenzfreies Vermögen zugegriffen werden. Nach § 35 Abs. 1 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Die so beschriebene Insolvenzmasse lässt keinen Raum zur Rückgängigmachung einer Masseverkürzung. Das gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung des von § 35 Abs. 1 InsO erfassten Neuerwerbs. Da dieser ohnehin zur Masse gehört, gleicht er eine vorangegangene Verkürzung der Masse nicht aus.
Die Leistungsklage der Klägerin ist unbegründet. Es fehlt an einem materiell-rechtlichen Anspruch, der eine Verurteilung des Beklagten zu der begehrten Zahlung rechtfertigen könnte. Der Beklagte ist nicht zur Erstattung der bis zum Eintritt der Wirkungen der Enthaftungserklärung der Klägerin vereinnahmten Untermieten verpflichtet. Von einer (unterstellten) Pflicht zur Erstattung der Untermieten ist der Beklagte durch die erfolgte Weiterleitung der Gelder an die Hauptvermieterin frei geworden. Nach der Rechtsprechung des BGH kann der Verwalter einen Drittschuldner nicht nach Maßgabe von § 82 InsO auf (erneute) Zahlung in Anspruch nehmen, wenn die Masse durch die Leistung des Drittschuldners von einer Masseverbindlichkeit entlastet wird, die anderenfalls der Verwalter in voller Höhe beglichen hätte. In diesem Fall wird durch die Leistung des Drittschuldners die Vermögenslage hergestellt, die anderenfalls der Insolvenzverwalter hätte herstellen müssen. Nicht anders ist die Lage, wenn der Schuldner in den Leistungsvorgang eingeschaltet wird und es zu der Entlastung der Masse erst durch sein Zutun kommt. In einem solchen Fall erlangt deshalb auch der Schuldner Befreiung von einem etwaigen Erstattungsanspruch. Davon ist vorliegend auszugehen.
Nach der Rechtsprechung des BGH geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung in vollem Umfang auf den Schuldner über. Welche Auswirkungen das auf einen den angemieteten Wohnraum betreffenden Untermietvertrag hat, hat der BGH bisher nicht entschieden. Die Frage ist dahingehend zu beantworten, dass die Enthaftungserklärung regelmäßig auch das Untermietverhältnis erfasst. Dem entspricht es, dass die Wirkung einer Freigabe auch den Erlös aus der Verwertung eines freigegebenen Vermögensgegenstands erfasst.
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