Wirtschaftsverfahren: Anwälte machen regelmäßig zu niedrige Streitwertangaben
OLG Düsseldorf 10.5.2011, I-2 W 15/11Im vorliegenden Fall hatte das klagende Unternehmen gegen einen Wettbewerber wegen Verletzung eines Patents für den Mobilfunkstandard UMTS auf Unterlassung geklagt. Die Prozessvertreter der Klägerin gaben den Streitwert mit 5 Mio. € an. Das LG bestimmte den Streitwert allerdings per Beschluss auf 30 Mio. €.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb vor dem OLG erfolglos. Wegen des Verdachts eines versuchten Betruges zu Lasten der Landeskasse gewährte der Senat der Klägerin und ihren Anwälten rechtliches Gehör, bevor es weitere straf- und berufsrechtliche Maßnahmen in Erwägung zieht.
Die Gründe:
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Streitwertbeschluss des LG, mit der sie eine Herabsetzung des auf 30 Mio. € festgesetzten Streitwertes auf einen Betrag von 11,1 Mio. € begehrte, blieb in der Sache ohne Erfolg.
Der Streitwert ist gem. § 51 Abs. 1 GKG vom Gericht nach freiem Ermessen festzusetzen. Maßgeblich ist das wirtschaftliche Interesse, das der Kläger mit seiner Klage objektiv verfolgt. Ist der Gegenstand des Verfahrens - wie hier -ein Unterlassungsanspruch, ist entscheidend, mit welchen Nachteilen der Kläger bei einer Fortsetzung des beanstandeten patentverletzenden Verhaltens rechnen muss. Zu berücksichtigen sind einerseits die Verhältnisse beim Kläger (wie dessen Umsatz, Größe und Marktstellung), die Aufschluss über den voraussichtlich drohenden Schaden geben, andererseits Art, Ausmaß und Schädlichkeit der Verletzungshandlung sowie die Intensität der Begehungs- oder Wiederholungsgefahr.
Rechnerisch kann zu diesem Zweck eine über die restliche Laufzeit des Patents angestellte Lizenzbetrachtung angestellt werden, indem diejenigen Lizenzgebühren ermittelt werden, die dem Kläger mutmaßlich zustehen würden, wenn die Verletzungshandlungen bis zum Ablauf des Klagepatents fortgesetzt werden. Unterhalb des sich hiernach ergebenden Betrages wird der Streitwert für die auch auf Unterlassung gerichtete Klage nicht festgesetzt werden können. Es hat eine bloß überschlägige Ermittlung stattzufinden, wobei regelmäßig ein Lizenzsatz am obersten denkbaren Rahmen anzusetzen ist.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze war die vom LG vorgenommene Streitwertfestsetzung auf 30 Mio. € nicht zu beanstanden. Im Rahmen der Streitwertbemessung war auf die von der Klägerin mitgeteilten Umsätze von mind. 2 Mrd. € ein Lizenzsatz von 1,5 % anzuwenden. Zwar hatte die Klägerin in ihrem vorgerichtlichen Vergleichsangebot einen Lizenzsatz von lediglich 0,5 % angesetzt. Hieran wollte sie sich allerdings zum einen rechtlich nicht binden, zum anderen war - wie oben erwähnt - im Rahmen der Streitwertfestsetzung ein Lizenzsatz am obersten denkbaren Rahmen anzusetzen. Hinzu kam, dass die Klägerin, sollte sie im Rechtsstreit obsiegen, in eine Situation kommt, bei der sie wegen der Standardbezogenheit des Klageschutzrechts einen Marktauftritt der Beklagten im Bereich der UMTS-Technik insgesamt gefährden kann. Die Beklagten werden deshalb gezwungen sein, auch auf außerordentlich hohe, über die Wertigkeit des Klageschutzrechts als solches hinausgehende Lizenzforderungen der Klägerin eingehen zu müssen.
Soweit das BPatG den Gegenstandswert im anhängigen Nichtigkeitsverfahren im Verhältnis zur Beklagten auf 5 Mio. € festgesetzt hat, gibt dies zu einer niedrigeren Festsetzung des Streitwertes im vorliegenden Verletzungsverfahren keinen Anlass. Der Beschluss BPatG entfaltet für das Verletzungsgericht keinerlei Bindungswirkung. Die von der Klägerin nunmehr präsentierten Umsatzzahlen der Beklagten haben dem BPatG im Zweifel noch nicht vorgelegen.
Hintergrund:
Nach den Erfahrungen des Senats stellt es eine nicht nur gelegentliche, sondern mittlerweile beinahe regelmäßige Praxis dar, dass, solange der Prozesserfolg und damit die letztlich kostenpflichtige Partei noch nicht sicher abzusehen sind, beide Parteien im einträchtigen Zusammenwirken mit einer zu niedrigen Streitwertangabe prozessieren, um Gerichtskosten "zu sparen". Ihre Ursache hat diese Erscheinung in der Tatsache, dass die Parteivertreter (jedenfalls in größeren Verfahren) ihre eigenen Anwaltsgebühren nicht mehr streitwertabhängig, sondern nach Stundensätzen und Stundenaufwand abrechnen. Anders als früher berührt eine unangemessen niedrige Streitwertfestsetzung deswegen nicht mehr den eigenen Honoraranspruch des Anwalts, der die zu niedrige Streitwertangabe macht oder hinnimmt, sondern sie wirkt sich einseitig nur noch zu Lasten der Landeskasse aus.
Aus verschiedenen Äußerungen von Anwälten weiß der Senat, dass die zu niedrige Streitwertangabe in solchen Fällen nicht versehentlich erfolgt, sondern in der direkten Absicht, durch die mittels der betragsmäßig untersetzten Streitwertangabe "eingesparten" Gerichtsgebühren weiteren Spielraum für die Abrechnung zusätzlichen eigenen Honorars zu gewinnen. Der in diesem Zusammenhang gerne bemühte Hinweis, keine genaue Kenntnis über die maßgeblichen Geschäftsdaten zu haben und deshalb bedauerlicherweise bei der Aufklärung der Bemessungsfaktoren für den Streitwert keine Hilfe leisten zu können, ist in aller Regel bloß vorgeschoben.
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