15.11.2011

Zu den Voraussetzungen der Kreditunwürdigkeit einer Gesellschaft i.S.d. Regeln über den Eigenkapitalersatz

Kreditunwürdig i.S.d. Regeln über den Eigenkapitalersatz kann eine Gesellschaft nur dann sein, wenn sie tatsächlich einen Kredit benötigt. Ein Kreditbedarf, der nur aufgrund zu gering kalkulierter Abschlagszahlungen des Gesellschafters oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens entstanden ist und der nachträglich bei richtiger Betrachtungsweise entfällt, reicht dafür nicht aus.

BGH 11.10.2011, II ZR 18/10
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem am 1.11.2007 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der B.S.-GmbH (Schuldnerin). Deren Schwestergesellschaft B.B.-GmbH, die Beklagte, vertreibt Fahrräder. Diese ließ sie von der Schuldnerin montieren. Dafür erhielt die Schuldnerin im Jahr 2006 eine Vergütung pro Rad i.H.v. 18 €. Die daraus resultierenden mtl. Vergütungsforderungen stellten die beiden Gesellschaften in ein Verrechnungskonto ein, ebenso wie diverse Gegenforderungen der Beklagten.

Das Verrechnungskonto wies nach der Berechnung des OLG von Januar bis Dezember 2006 einen durchschnittlichen Monatssaldo zugunsten der Beklagten i.H.v. rd. 900.000 € aus. Im März 2007 stellte die Schuldnerin eine aufgrund einer Nachkalkulation der Fahrradfertigung errechnete zusätzliche Vergütungsforderung i.H.v. rd. 1,4 Mio. € in das Konto ein, was zu einem Guthaben zu ihren Gunsten führte.

Der Kläger hält die Saldierung der gegenseitigen Forderungen i.H.v. rd. 900.000 € für unwirksam, weil die Forderungen der Beklagten in dieser Höhe wegen "Stehenlassens" eigenkapitalersetzend geworden seien. Die Beklagte hat dagegen behauptet, es sei von vornherein vereinbart gewesen, dass die Schuldnerin eine Vergütung für die Fahrradmontage in Höhe ihrer Selbstkosten habe erhalten sollen; diese hätten im ersten Quartal des auf den Produktionsbeginn folgenden Jahres berechnet werden sollen; danach hätten die Ist-Kosten der Radmontage 27 € statt 18 € betragen; bei mehr als 120.000 montierten Fahrrädern ergäbe das eine Gesamtvergütungsforderung in Höhe restlicher 1,4 Mio. €.

Das LG wies die auf Zahlung von rd. 900.000 € zzgl. vorgerichtliche Anwaltskosten gerichtete Klage ab. Das OLG gab ihr statt. Auf die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat zwar zutreffend angenommen, dass ein ständiges Stehenlassen von fälligen Forderungen - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - in Höhe des Durchschnittssaldos eine eigenkapitalersetzende Gesellschafterhilfe darstellt, die sowohl zur Anwendbarkeit der §§ 30, 31 GmbHG a.F. als auch der § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO a.F., § 32a Abs. 1, Abs. 3 S. 1 GmbHG a.F. führt. Und auch die Annahme, dass die Beklagte, obwohl sie nicht Gesellschafterin, sondern nur Schwestergesellschaft der Schuldnerin ist, den Regeln über den Eigenkapitalersatz unterliegt, trifft zu. Das OLG hat jedoch die Voraussetzungen einer Krise i.S.d. § 32a Abs. 1 GmbHG aF nicht fehlerfrei festgestellt.

Eine Krise in dem genannten Sinn liegt dann vor, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt der Kapitalüberlassung oder des "Stehenlassens" des Kapitals insolvenzreif oder kreditunwürdig ist. Bei seiner Annahme, die Schuldnerin sei jedenfalls ab Ende 2006 kreditunwürdig gewesen, hat das OLG zum einen nicht beachtet, dass eine Krise während des gesamten Zeitraums bestanden haben muss, für den die stehen gelassene Durchschnittsforderung geltend gemacht wird. Zum anderen hat es nicht gesehen, dass von einer Kreditunwürdigkeit i.S.d. Eigenkapitalersatzrechts nur dann ausgegangen werden kann, wenn die Gesellschaft tatsächlich einen Kredit benötigt.

Denn es geht bei dem Merkmal der Kreditunwürdigkeit darum festzustellen, ob die Gesellschaft einen zur Fortführung ihres Geschäftsbetriebs erforderlichen Kreditbedarf nicht aus eigener Kraft decken kann und deshalb liquidiert werden müsste, wenn nicht der Gesellschafter mit seiner Leistung einspringt oder eingesprungen wäre. Das OLG hat nicht festgestellt, dass die Schuldnerin im hier entscheidungserheblichen Zeitraum einen solchen Kreditbedarf hatte. Die mtl. Salden des zwischen den beiden Gesellschaften geführten Verrechnungskontos reichen jedenfalls für diesen Schluss nicht aus.

Die Beklagte hatte mit der Schuldnerin vereinbart, dass für die Fahrradmontage eine Vergütung i.H.d. Selbstkosten der Schuldnerin gezahlt werden sollte und dass auf diese Vergütungsforderung ein Abschlag i.H.v. 18 € pro Rad fällig werden sollte. Zu Beginn des Jahres 2007 hat sich dann ergeben, dass die Selbstkosten pro Stück tatsächlich 27 € betragen haben. Bei dieser Sachlage bestand nur vordergründig ein Kreditbedarf der Schuldnerin. Im Rahmen der Eigenkapitalersatzregeln ist es aber nicht gerechtfertigt, auf einen Kreditbedarf abzustellen, der nur aufgrund zu gering kalkulierter Abschlagszahlungen des Gesellschafters oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens entstanden ist und der nachträglich bei richtiger Betrachtungsweise entfällt.

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