Zulassungsbegründende post-hoc-Analyse
OLG Hamburg 3.8.2017, 3 U 32/17Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Werbeunterlage für das Arzneimittel G der Antragsgegnerin. Die Parteien vertreiben Arzneimittel zur Behandlung des sog. Morbus Fabry. Die Antragstellerin vertreibt das Arzneimittel R mit dem Wirkstoff Agalsidase alfa. Die Antragsgegnerin vertreibt das Arzneimittel G mit dem Wirkstoff Migalastat. Bei Morbus Fabry handelt es sich um eine seltene Stoffwechselstörung, bei der Patienten das Enzym alpha-Galaktosidase A teilweise oder in vollem Umfang fehlt. Dadurch sammeln sich Stoffwechselprodukte in unterschiedlichen Zelltypen an und beeinträchtigen die Funktion zahlreicher Organe. Dies verursacht vielfältige Symptome an Haut, Muskeln, Gelenken und Organen und kann im weiteren Verlauf zu Herzversagen, Schlaganfall oder zur Dialysepflicht führen.
Seit August 2001 steht zur Behandlung des Morbus Fabry eine Therapie zur Verfügung, mit der das fehlende oder defekte Enzym alpha-Galactosidase A ersetzt wird. Ziel dieser Enzymersatztherapie ist es, das fehlende Enzym im Körper zu ersetzen und damit den Krankheitsverlauf aufzuhalten, zu verzögern und einer Schädigung der Organe vorzubeugen. Die Antragsgegnerin erhielt im Mai 2016 die Zulassung für ihr Präparat G mit einem anderen Wirkmechanismus. Bestimmte Mutationen des GLA-Gens können zur Produktion von fehlgefalteten und instabilen mutierten alpha-Galactosidase A-Formen führen. Migalastat ist ein sog. pharmakologisches Chaperon, das entwickelt wurde, um selektiv und reversibel mit hoher Affinität an aktive Zentren von bestimmten mutierten alpha-Galactosidase A-Formen zu binden.
Ende September 2016 wurde die Antragstellerin auf eine Werbeunterlage, das "G. (Migalastat) Factsheet", aufmerksam. Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass die Auslobungen nicht ausreichend wissenschaftlich gesichert seien. Die dort beschriebene FACETS-Studie enthalte mehrere Limitationen, die entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht kommuniziert worden seien. Die Antragstellerin hat beantragt, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung zu verbieten, im Rahmen geschäftlicher Handlungen für das Arzneimittel G unter Bezugnahme auf die FACETS-Studie zu werben und/oder werben zu lassen.
Das LG gab dem Antrag zunächst statt. Auf den Widerspruch der Antragsgegnerin hob das LG die einstweilige Verfügung auf und wies den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurück. Die Berufung der Antragstellerin blieb vor dem OLG ohne Erfolg.
Die Gründe:
Ein Verfügungsgrund besteht, weil die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG nicht widerlegt ist. Die Antragstellerin jedoch hat keinen Anspruch auf Unterlassung der angegriffenen Aussagen aus §§ 3, 3a, 8 UWG i.V.m. § 3 HWG bzw. § 5 UWG. Die angegriffene Werbeunterlage "G. (Migalastat) Factsheet" ist nicht aus den von der Antragstellerin genannten Gründen irreführend.
Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet des Vertriebs von Medikamenten zur Behandlung der Erkrankung Morbus Fabry (§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG). Es handelt sich bei der angegriffenen Werbeunterlage der Antragsgegnerin unstreitig um Fachkreiswerbung. Die in ihrer konkreten Verletzungsformen angegriffene Werbeunterlage "G. (Migalastat) Factsheet" (Anlage A) ist jedoch nicht aus den von der Antragstellerin genannten Gründen gem. § 3 S. 1 HWG irreführend. Die in der angegriffenen Werbung mitgeteilten Ergebnisse der 011 FACETS-Studie sind entgegen der Annahme der Antragstellerin hinreichend wissenschaftlich gesichert und dürfen, nachdem sie so auch in die Fachinformation Eingang gefunden haben, von der Antragsgegnerin wie geschehen unter Hinweis auf die Fachinformation als Quelle der Erkenntnis auch kommuniziert werden.
Das Studiendesign der 011 FACETS-Studie ist zwar abweichend vom ursprünglichen Studiendesign in der von der Antragstellerin dargestellten Weise verändert worden. Auch basieren die in der Werbung mitgeteilten Studienergebnisse auf dem so veränderten Studiendesign und der daran anknüpfenden späteren Auswertung der Studie. Es kann aber nicht festgestellt werden, dass die so ermittelten Studienergebnisse nicht hinreichend wissenschaftlich gesichert wären. Der angesprochene Fachverkehr wird daher im konkreten Fall entgegen der Annahme der Antragstellerin nicht über das Maß der wissenschaftlichen Validität der Studienergebnisse in die Irre geführt.
Kann der Fachinformation für ein Arzneimittel entnommen werden, dass die Zulassungsbehörde trotz der im Verlauf einer Studie im Studiendesign vorgenommenen Änderungen eine darauf gestützte post-hoc-Analyse einer Subgruppe von Patienten für hinreichend valide erachtet hat, um das Arzneimittel zur Anwendung nur bei jenem Patientenkreis zuzulassen, dann muss die Werbung mit den Ergebnissen der Studie nicht erneut auf die Limitationen der Zulassungsstudie hinweisen. Derartige Hinweise wären im Gegenteil geeignet, die wissenschaftliche Aussagekraft der Studienergebnisse im Widerspruch zum Inhalt der geprüften Fachinformation in Zweifel zu ziehen und zur Irreführung des Verkehrs beizutragen.
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