12.10.2011

Zum Anhörungsrecht von Verbraucherverbänden im Verwaltungsverfahren der Kommission zur Prüfung eines Zusammenschlusses

Verbraucherverbände haben unter zwei Voraussetzungen ein Anhörungsrecht im Verwaltungsverfahren der Kommission zur Prüfung eines Zusammenschlusses. Der Umstand, dass ein Verbraucherverband seinen Antrag auf Anhörung vor der Anmeldung eines Zusammenschlusses gestellt hat, kann kein Ersatz für die fehlende Erneuerung dieses Antrags nach der förmlichen Einleitung des Verfahrens sein.

EuG 12.10.2011, T-224/10
Der Sachverhalt:
Klägerin ist die ABCTA, der größte Verbraucherverband in Belgien. Im Juni 2009 erfuhr die ABCTA, dass die Électricité de France (EDF) angekündigt hatte, die alleinige Kontrolle über die Segebel SA erwerben zu wollen, eine Holding, deren einziger Vermögenswert eine Beteiligung von 51 Prozent an der SPE SA war, dem zweitgrößten Stromanbieter in Belgien hinter dem ältesten Anbieter Electrabel SA, der von der GDF Suez SA kontrolliert wurde. Zum maßgeblichen Zeitpunkt hielt der französische Staat 84,6 Prozent der Aktien der EDF. An der GDF Suez hielt Frankreich eine Minderheitsbeteiligung von 35,91 Prozent.

Im Juni 2009 richtete die ABCTA ein Schreiben an die EU-Kommission, in dem sie ihre Bedenken zum in Rede stehenden Zusammenschluss äußerte. In diesem Zusammenhang forderte sie die Kommission auf, die angeblichen negativen Auswirkungen der Präsenz des französischen Staats unter den Anteilseignern der EDF und der GDF Suez auf den Wettbewerb zu untersuchen, insbes. auf den belgischen Gas- und Strommärkten. Die Kommission antwortete ihr im Juli 2009, dass ihre Stellungnahme bei der Prüfung des in Rede stehenden Zusammenschlusses berücksichtigt würde.

Im September 2009 meldete die EDF den in Rede stehenden Zusammenschluss bei der Kommission an. Ende September 2009 wurde eine Bekanntmachung der Anmeldung im Amtsblatt der EU veröffentlicht und interessierten Dritten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die ABCTA reagierte auf diese Bekanntmachung nicht. Im November 2009 erließ die Kommission zum einen eine Entscheidung, mit der der Antrag der zuständigen belgischen Behörden auf teilweise Verweisung der Prüfung des Zusammenschlusses abgelehnt wurde (ablehnende Verweisungsentscheidung), und zum anderen eine Entscheidung, mit der dieser Zusammenschluss für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt wurde (Genehmigungsentscheidung).

Das EuG wies die auf Nichtigerklärung der beiden Entscheidungen der Kommission gerichtete Klage ab.

Die Gründe:

Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Genehmigungsentscheidung:
Eine natürliche oder juristische Person kann gegen eine an eine andere Person ergangene Entscheidung nur Klage erheben, wenn diese Entscheidung sie unmittelbar und individuell betrifft. Bei Entscheidungen der Kommission zur Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt sind die Voraussetzungen der Klagebefugnis interessierter Dritter unterschiedlich zu beurteilen, je nachdem, ob diese Mängel in Bezug auf den Inhalt dieser Entscheidungen geltend machen (interessierte Dritte "erster Kategorie"), oder behaupten, die Kommission habe die ihnen durch die Rechtsvorschriften der EU über die Kontrolle von Zusammenschlüssen verliehenen Verfahrensrechte verletzt (interessierte Dritte "zweiter Kategorie").

Die ABCTA fällt nicht unter die erste Kategorie, da sie von der Entscheidung der Kommission nicht individuell betroffen ist. Hinsichtlich der Einordnung in die zweite Kategorie ist festzuhalten, dass nach dem Unionsrecht Verbraucherverbänden das Recht auf Anhörung im Rahmen des Verwaltungsverfahrens der Kommission zur Prüfung eines Zusammenschlusses zusteht, sofern der Zusammenschluss von Endverbrauchern genutzte Waren oder Dienstleistungen betrifft und der Verbraucherverband tatsächlich einen schriftlichen Antrag auf Anhörung durch die Kommission im Prüfverfahren eingereicht hat.

Jedenfalls die zweite Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Denn die Schritte, die Dritte unternehmen müssen, um am Verfahren zur Kontrolle von Zusammenschlüssen beteiligt zu werden, müssen nach der förmlichen Anmeldung eines Zusammenschlusses erfolgen. Hier hatte die ABCTA zwei Monate vor der Anmeldung bei der Kommission einen Antrag auf Anhörung im Rahmen der Prüfung des Zusammenschlusses gestellt. Dies kann jedoch kein Ersatz für die fehlende Erneuerung dieses Antrags oder die fehlende Initiative der ABCTA sein, nachdem der geplante Zusammenschluss zwischen der EDF und Segebel tatsächlich ordnungsgemäß angemeldet worden war und daher das Verfahren in Gang gesetzt worden war, in dem die Klägerin hatte angehört werden wollen.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung der ablehnenden Verweisungsentscheidung:
Die Klage eines an einem Zusammenschluss interessierten Dritten gegen die Entscheidung, mit der die Kommission dem Verweisungsantrag einer nationalen Wettbewerbsbehörde stattgibt, ist zulässig. Eine Klage interessierter Dritter gegen eine ablehnende Verweisungsentscheidung, mit der die Kommission den Verweisungsantrag einer nationalen Behörde ablehnt, ist hingegen nicht zulässig. Die Verfahrensrechte und der gerichtliche Rechtsschutz, die das Unionsrecht Dritten gewährt, werden durch die ablehnende Verweisungsentscheidung nämlich nicht im Geringsten beeinträchtigt.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuG PM Nr. 109 vom 12.10.2011
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