12.12.2016

Zum Entschädigungsanspruch des Frachtführers nach Kündigung des Frachtvertrags durch den Absender

Die in § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 HGB geregelten, wahlweise gegebenen Ansprüche stellen bloße Modifikationen des Entschädigungsanspruchs dar, der dem Frachtführer gem. § 415 Abs. 2 S. 1 HGB zusteht, wenn der Absender den Frachtvertrag aus Gründen kündigt, die nicht dem Risikobereich des Frachtführers zuzurechnen sind. Ein Frachtführer, der nach der Kündigung des Frachtvertrags durch den Absender zunächst den Anspruch auf die vereinbarte Fracht abzüglich seiner ersparten Aufwendungen gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB geltend gemacht hat, kann nachfolgend stattdessen noch die Fautfracht gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 HGB beanspruchen.

BGH 28.7.2016, I ZR 252/15
Der Sachverhalt:
Die Parteien schlossen im Juni 2014 einen Vertrag über die Beförderung von Umzugsgut des Beklagten von M in die Schweiz zum Preis von rd. 2.800 € zzgl. Nebenkosten und Umsatzsteuer. Mit Schreiben von Juni 2014 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass der Umzug nicht stattfinden könne, weil sein Vater zwischenzeitlich schwer erkrankt sei. Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin den Beklagten auf Zahlung der vereinbarten Fracht abzüglich ihrer ersparten Aufwendungen in Anspruch.

AG und LG wiesen die auf Zahlung von rd. 2.000 € Fracht, rd. 280 € vorgerichtliche Anwaltskosten und Zinsen gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin, mit der sie ihren in zweiter Instanz hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf ein Drittel der vereinbarten Fracht (Fautfracht) weiterverfolgt, hob der BGH das Berufungsurteil insoweit auf, als dort in Höhe eines Betrags von rd. 900 € nebst Zinsen zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist, gab der Klage teilweise statt und verurteilte den Beklagten, rd. 900 € nebst Zinsen an die Klägerin zu zahlen.

Die Gründe:
In Höhe von einem Drittel der vereinbarten Fracht, in der die Klägerin ihren Klageanspruch im Revisionsverfahren weiterverfolgt hat, führt die Revision zur Stattgabe der Klage.

Die Revision ist nicht deshalb unbegründet, weil die Klägerin - wie die Revisionserwiderung in der mündlichen Revisionsverhandlung geltend gemacht hat - ihr auf § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 HGB gestütztes Zahlungsbegehren nicht wirksam in den Rechtsstreit eingeführt hat, da sie ihren Zahlungsanspruch in erster Instanz allein auf § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB gestützt, den von ihr aus § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 HGB hergeleiteten Zahlungsanspruch im Berufungsverfahren nur hilfsweise und erst in dritter Instanz allein geltend gemacht und ihr im Rahmen des § 415 Abs. 2 S. 1 HGB zustehendes Wahlrecht damit nicht rechtzeitig ausgeübt hat. Eine Klageänderung ist allerdings nach §§ 263, 267 ZPO schon in erster Instanz nur unter den dort genannten Voraussetzungen und im Berufungsverfahren weitergehend nur unter den in § 533 ZPO genannten Voraussetzungen zulässig und damit wirksam.

In der Revisionsinstanz, in der nach § 559 Abs. 1 S. 1 ZPO neuer Tatsachenvortrag nicht zulässig ist, ist eine Klageänderung sogar regelmäßig ausgeschlossen. Sie ist jedoch nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässig, wenn sie nur eine Beschränkung oder Modifikation eines bereits zuvor gestellten Antrags darstellt und sich auf einen Sachverhalt stützt, den der Tatrichter bereits gewürdigt hat. In dem zuletzt dargestellten Sinn verhält es sich im Streitfall. Die in § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 HGB geregelten, wahlweise gegebenen Ansprüche stellen bloße Modifikationen des Entschädigungsanspruchs dar, der dem Frachtführer gem. § 415 Abs. 2 S. 1 HGB zusteht, wenn der Absender den Frachtvertrag aus Gründen kündigt, die nicht dem Risikobereich des Frachtführers zuzurechnen sind. Damit stellte der erklärte Wechsel der Klägerin von dem Anspruch gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB zum Anspruch gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 HGB ebensowenig eine Klageänderung dar wie etwa der Übergang des Klägers in einem Schadensersatzprozess vom "kleinen" zum "großen" Schadensersatz.

Das LG hat zu Unrecht angenommen, dass die Klägerin nicht berechtigt war, statt des zunächst geltend gemachten Anspruchs gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB später den Anspruch gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 HGB geltend zu machen. Die in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im Schrifttum umstrittene und vom BGH bislang offen gelassene Frage, ob ein Frachtführer, der nach der Kündigung des Frachtvertrags durch den Absender zunächst den Anspruch auf die vereinbarte Fracht abzgl. seiner ersparten Aufwendungen gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB geltend gemacht hat, nachfolgend stattdessen noch die Fautfracht gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 HGB beanspruchen kann, ist zu bejahen.

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