Zum Erlass eines zweiten Vorlagebeschlusses mit identischem Feststellungsziel in demselben Musterverfahren
BGH 6.12.2011, II ZB 5/11Die Rechtsbeschwerdeführer machen vor dem LG Schadensersatzansprüche wegen einer unzutreffenden Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten zu 1) geltend. Auf den Musterfeststellungsantrag der Kläger erließ das LG mehrere Vorlagebeschlüsse mit gleichlautendem Feststellungsziel, um vom OLG beanstandete Fehler des ersten Vorlagebeschlusses zu berichtigen.
Das LG beschloss am 12.11.2009 zunächst nach § 4 Abs. 1 S. 1 KapMuG, eine Entscheidung des OLG "herbeizuführen zur beantragten Feststellung, dass die Ad-hoc-Mitteilung vom 22.3.2000 unrichtig war und hierdurch gegen die Beklagten zu 1) und 3) Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung begründet werden." Mit Beschluss vom 11.3.2010 hob das OLG diesen Vorlagebeschluss in entsprechender Anwendung der für willkürlich ergangene Verweisungsbeschlüsse zu § 281 ZPO entwickelten Grundsätze auf und gab das Verfahren zur anderweitigen Prüfung und Entscheidung an das LG zurück.
Dagegen legten die Kläger am 9.4.2010 die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde ein. Das LG erließ sodann am 27.4.2010 und am 28.7.2010 weitere Vorlagebeschlüsse mit identischem Feststellungsziel. Den Vorlagebeschluss vom 27.4.2010 hob es mit Beschluss vom 20.1.2011 selbst wieder auf. Den Vorlagebeschluss vom 28.7.2010 hob das OLG mit Beschluss vom 7.3.2011 auf und gab das Verfahren zur anderweitigen Prüfung und Entscheidung an das LG zurück. Hiergegen richten sich die vom OLG zugelassenen Rechtsbeschwerden der Kläger. Den Beschluss des OLG vom 11.3.2010 zum Vorlagebeschluss des LG vom 12.11.2009 hat der erkennende Senat inzwischen aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen.
Der BGH wies die Rechtsbeschwerden der Kläger gegen den Beschluss des OLG vom 7.11.2011 zurück.
Die Gründe:
Die in § 4 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 KapMuG angeordnete Bindungswirkung des Vorlagebeschlusses für das OLG besteht nicht, wenn das Prozessgericht i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 1 KapMuG in demselben Musterverfahren bereits zuvor einen Vorlagebeschluss mit identischem Feststellungsziel erlassen hat. In diesem Fall steht die Sperrwirkung des § 5 KapMuG dem Erlass eines weiteren Vorlagebeschlusses entgegen. Das OLG war entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerden nicht nach § 4 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 KapMuG an der Aufhebung des Vorlagebeschlusses vom 28.7.2010 gehindert. Der Vorlagebeschluss des Prozessgerichts ist zwar nach § 4 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 KapMuG für das OLG grundsätzlich bindend. Die Bindung gilt aber nicht uneingeschränkt.
Der erkennende Senat hat sich im vorliegenden Musterverfahren bereits in seinem Beschluss vom 26.7.2011 (II ZB 11/10) damit befasst, ob der geltend gemachte Anspruch Gegenstand eines Musterverfahrens sein kann, ob das Feststellungsziel auf die Feststellung des Anspruchs selbst gerichtet ist und ob im Hinblick darauf die Bindungswirkung nicht besteht. Aus den im Beschluss vom 26.7.2011 angeführten Gründen, auf die wegen der insoweit identischen Vorlagebeschlüsse verwiesen werden kann, ist dies nicht der Fall.
Dem Vorlagebeschluss vom 28.7.2010 kommt jedoch deshalb keine Bindungswirkung nach § 4 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 KapMuG zu, weil das LG damit unter Verstoß gegen § 5 KapMuG in demselben Ausgangsverfahren mit denselben Parteien nach dem Vorlagebeschluss vom 12.11.2009 einen weiteren Vorlagebeschluss mit identischem Feststellungsziel erlassen hat. Nach § 5 KapMuG ist die Einleitung eines weiteren Musterverfahrens für die gem. § 7 KapMuG auszusetzenden Verfahren unzulässig. Durch die Vorschrift soll ausgeschlossen werden, dass ein Prozessgericht durch einen Vorlagebeschluss ein Musterverfahren zu derselben oder zu einer weiteren Anspruchsvoraussetzung einleitet, wenn bereits ein Musterverfahren für die gem. § 7 KapMuG auszusetzenden Verfahren eingeleitet worden ist.
Damit sollen parallel laufende Musterverfahren aus prozessökonomischen Gründen vermieden werden. Demzufolge kann einem Vorlagebeschluss keine Bindungswirkung nach § 4 Abs. 2 Halbs. 2 KapMuG zukommen, wenn er unter Verstoß gegen die Sperrwirkung des § 5 KapMuG erlassen wird. Anderenfalls wäre das OLG gezwungen, ein Musterverfahren durchzuführen (§ 6 KapMuG), das entgegen der Intention des § 5 KapMuG gar nicht hätte eingeleitet werden dürfen. Die Sperrwirkung des § 5 KapMuG, die bereits mit Erlass des ersten Vorlagebeschlusses einsetzt und durch eine nicht rechtskräftige Aufhebung dieses Vorlagebeschlusses durch das OLG nicht entfällt, bindet in jedem Fall das Prozessgericht i.S.d § 4 Abs. 1 S. 1 KapMuG. Auf den Streit über die Reichweite des § 5 KapMuG kommt es danach nicht an.
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