Zum Grundrechtsschutz juristischer Personen aus der EU und zum Verbreitungsrecht nach dem UrhG (hier: nachgeahmte Designermöbel)
BVerfG 19.7.2011, 1 BvR 1916/09Die Beschwerdeführerin, eine GmbH nach italienischem Recht mit Sitz in Italien, produziert Möbel nach Entwürfen des 1965 verstorbenen Architekten und Möbeldesigners Le Corbusier und nimmt in Lizenz dessen Urheberrechte wahr. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens, eine Zigarrenherstellerin, richtete in einer Kunst- und Ausstellungshalle eine Zigarrenlounge ein, in der sie Nachbildungen von Le-Corbusier-Möbeln aufstellte. Mit ihrer hiergegen gerichteten Unterlassungsklage obsiegte die Beschwerdeführerin vor dem LG und dem OLG.
Der BGH wies dagegen die Klage mit der Begründung ab, dass das Aufstellen der Möbel weder das Verbreitungsrecht verletze noch gegen das Verwertungsverbot verstoße. Er stützte seine Entscheidung auf ein Urteil des EuGH, der in einem Parallelverfahren auf eine Vorlage des BGH hin entschieden hatte, dass eine Verbreitung i.S.d. Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie nur bei Übertragung des Eigentums vorliege. Danach sei - so der BGH - das Verbreitungsrecht nicht verletzt, wenn Nachbildungen urheberrechtlich geschützter Möbel der Öffentlichkeit lediglich zum Gebrauch zugänglich gemacht würden. Die Urheberrechtsrichtlinie stelle eine verbindliche Regelung im Sinne eines Maximalschutzes dar, über den ein mitgliedstaatliches Gericht nicht hinausgehen dürfe.
Die Beschwerdeführerin sieht sich dadurch in ihrem verfassungsmäßigen Eigentumsrecht verletzt. Zudem rügt sie eine Verletzung ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter, weil der BGH vorab dem EuGH die Fragen hätte vorlegen müssen, ob die Gebrauchsüberlassung von Werkstücken überhaupt in den Anwendungsbereich der Urheberrechtsrichtlinie falle und ob die Richtlinie einen Maximalschutz begründe. Das BVerfG wies die Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurück.
Die Gründe:
Zwar kann die Beschwerdeführerin als ausländische juristische Person mit Sitz in der EU Trägerin von Grundrechten des GG sein. Sie ist im Streitfall jedoch nicht in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt.
Nach Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Eine Anwendungserweiterung des Grundrechtsschutzes auf juristischen Personen aus Mitgliedstaaten der EU entspricht den durch die europäischen Verträge übernommenen vertraglichen Verpflichtungen. Diese verpflichten die Mitgliedstaaten und alle ihre Organe und Stellen, juristische Personen aus einem anderen EU-Mitgliedstaat auch im Hinblick auf den zu erlangenden Rechtsschutz Inländern gleichzustellen. Die Gleichstellung setzt einen hinreichenden Inlandsbezug voraus, der regelmäßig vorliegen wird, wenn die ausländische juristische Person in Deutschland tätig wird und hier klagen und verklagt werden kann.
Weiterhin haben die Zivilgerichte bei der Auslegung des Urheberrechts den Eigentumsschutz nach dem GG zu beachten, soweit das europäische Recht hierbei Auslegungsspielräume lässt. Halten die Gerichte eine Vollharmonisierung durch das Unionsrecht für eindeutig, ohne ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, unterliegt dies der Überprüfung durch das BVerG, das hierbei nicht auf eine bloße Willkürkontrolle beschränkt ist. Fehlt es an einem mitgliedstaatlichen Auslegungsspielraum, müssen die Gerichte das anwendbare Unionsrecht bei gegebenem Anlass auf seine Vereinbarkeit mit den Grundrechten des Unionsrechts prüfen und, wenn erforderlich, ein Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH einleiten.
Nach diesen Maßstäben ist die Beschwerdeführerin durch das angegriffene Urteil nicht in ihrem von Art. 14 Abs. 1 GG umfassten Urheberrecht, die Verbreitung von Vervielfältigungsstücken der Möbel zu kontrollieren, verletzt. Die Annahme des BGH, die Urheberrechtsrichtlinie in der Auslegung durch den EuGH lasse keinen Spielraum für die Einbeziehung der bloßen Gebrauchsüberlassung von Möbelplagiaten in den Schutz des Urheberrechts, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Der BGH konnte davon ausgehen, dass das Urteil des EuGH ihm keinen Spielraum für eine verfassungskonforme Auslegung von § 17 UrhG
lässt.
Indem der BGH die von ihm für entscheidungserheblich gehaltenen Fragen im Parallelverfahren dem EuGH vorgelegt hat, hat er seine Vorlagepflicht im Streitfall auch nicht grundsätzlich verkannt. Dem angegriffenen Urteil ist die vertretbare Überzeugung zu entnehmen, dass Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie eine vollharmonisierte Regelung des Verbreitungsrechts darstellt und der EuGH die Auslegung des Verbreitungsbegriffs der Richtlinie abschließend und umfassend geklärt hat.
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