Zum Handelsvertreterausgleich bei Weiterführung eines insolventen Unternehmens durch eine neu gegründete Gesellschaft
BGH 26.10.2011, VIII ZR 222/10Der Kläger war aufgrund von Verträgen von Juni 2002 für die L-GmbH und die I-GmbH als Handelsvertreter tätig. Im Jahr 2003 wurde über das Vermögen dieser Gesellschaften (Schuldnerinnen) das Insolvenzverfahren eröffnet. Die daraufhin neu gegründete Beklagte beabsichtigte, den Geschäftsbetrieb der Schuldnerinnen fortzuführen, und schloss mit dem Insolvenzverwalter der Schuldnerinnen im September 2003 einen Kaufvertrag, mit dem sie die im Vertrag näher bezeichneten Gegenstände der Schuldnerinnen erwarb.
Der Kläger, der auch während des Insolvenzverfahrens für die Schuldnerinnen noch tätig gewesen war, schloss mit der Beklagten im Dezember 2003 einen Handelsvertretervertrag, dessen § 1 Abs. 4 wie folgt lautet: "Die vom Handelsvertreter seit Aufnahme der Tätigkeit ab September 2003 für L (die Beklagte) geworbenen neuen Kunden sowie die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Altkunden von L, zu denen der Handelsvertreter die Geschäftsverbindung wesentlich erweitert oder wiederbelebt hat, bleiben auch nach Abschluss dieses Vertrages Neukunden des Handelsvertreters i.S.v. § 89b I HGB." Die Beklagte kündigte den Handelsvertretervertrag zum 31.8.2005. Mit seiner Klage begehrt der Kläger Handelsvertreterausgleich gem. § 89b HGB i.H.v. rd. 117.000 €.
Das LG gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten hob das OLG das erstinstanzliche Urteil auf und verwies die Sache an das LG zurück. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Die Revision rügt mit Recht, dass die vom OLG ausgesprochene Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht, durch die der Kläger beschwert ist, gegen § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO verstößt. Das OLG hat die Voraussetzungen dieser Bestimmung zu Unrecht bejaht, denn das Verfahren des ersten Rechtszuges leidet entgegen der Auffassung des OLG nicht an einem wesentlichen Mangel i.S.d. § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht hat das OLG den Sachverhalt nicht zutreffend beurteilt.
Übernimmt eine neu gegründete Gesellschaft sowohl die Kunden als auch den Handelsvertreter eines insolvent gewordenen Unternehmens, so sind die bisherigen Kunden des insolventen Unternehmens, die aufgrund der Tätigkeit des Handelsvertreters erstmals ein Geschäft mit dem neu gegründeten Unternehmen abgeschlossen haben, als vom Handelsvertreter geworbene Neukunden dieses Unternehmens anzusehen. Ein neu gegründetes Unternehmen hat noch keine Alt- oder Bestandskunden und kann diese auf Grund der Neugründung auch noch nicht haben. Dies entspricht auch der in Rechtsprechung und Literatur nahezu einhellig vertretenen Auffassung.
Käuflich erwerben kann ein neu gegründetes Unternehmen vom Insolvenzverwalter lediglich die Information über die Kundenbeziehungen des insolventen Unternehmens, nicht aber die Kunden selbst. Die vom Insolvenzverwalter im Rahmen des Unternehmenskaufs erlangte Information über die Stammkunden des insolventen Unternehmens begründet noch keine Geschäftsbeziehung des neuen Unternehmens mit diesen Kunden, sondern eröffnet nur die Chance, dass die Stammkunden des insolventen Unternehmens auch mit dem neu gegründeten Unternehmen eine Geschäftsbeziehung eingehen werden. Begründet wird die Geschäftsbeziehung aber erst durch den Abschluss entsprechender Verträge.
Kommen diese Verträge durch Vermittlung des Handelsvertreters zustande, so ist er es, der die Kunden des insolventen Unternehmens als (neue) Stammkunden des Nachfolgeunternehmens geworben hat. Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte, wie sie behauptet, dem Kläger die vom Insolvenzverwalter erworbene Kundenliste zur Verfügung gestellt hat. Die Weitergabe der Kundenliste an den Kläger ändert nichts daran, dass erst der Kläger als Handelsvertreter "der ersten Stunde" die bisherigen Kunden der Schuldnerinnen als Kunden der Beklagten geworben hat.
Der Gesichtspunkt, dass der Inhaber des neu gegründeten Unternehmens dem Handelsvertreter die Werbung von Kunden für dieses Unternehmen dadurch erleichtert, dass er ihm Informationen über anzusprechende Kunden des übernommenen Unternehmens zur Verfügung stellt, ist allerdings für den späteren Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nicht bedeutungslos. Er kann bei der Prüfung, ob und inwieweit die Zahlung eines Ausgleichsanspruchs der Billigkeit entspricht (§ 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 HGB a.F. bzw. § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HGB n.F.) zu berücksichtigen sein und zu einer entsprechenden Kürzung des Ausgleichsanspruchs führen.
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