Zum Leistungskürzungsrecht des Versicherers bei grober Fahrlässigkeit (hier:Trunkenheitsfahrt)
BGH 22.6.2011, IV ZR 225/10Am 13.7.2008 gegen 7.15 Uhr befand sich der Kläger mit seinem Pkw auf der Rückfahrt von einem Rockkonzert. Er kam außerorts mit seinem Wagen in einer Kurve nach links von der Fahrbahn ab und prallte gegen einen Laternenpfahl. Am Fahrzeug entstand durch den Unfall ein Schaden von ca. 6.400 €.
Eine um 8.40 Uhr durchgeführte Blutentnahme ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,70 Promille. Im anschließenden Strafverfahren wurde der Kläger wegen fahrlässigen Vollrausches verurteilt. Der Kläger hat die beklagte Versicherung aus einer bei dieser bestehenden Fahrzeugvollversicherung wegen des Unfalls in Anspruch genommen. Die Beklagte verweigerte jede Leistung.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Ein Leistungskürzungsrecht des Versicherers nach § 81 Abs. 2 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles scheidet aus, wenn der Versicherungsnehmer unzurechnungsfähig war. Dies kam hier für den Zeitpunkt des Unfalls wegen der hohen Blutalkoholkonzentration des Klägers sowie weiterer Indizien (Blutentnahmeprotokoll, Angaben der den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten) in Betracht. Da das OLG hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war das Urteil bereits aus diesem Grund aufzuheben und der Rechtsstreit zurückzuverweisen.
Sollte eine Unzurechnungsfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt des Unfalls vorgelegen haben, so kann der Vorwurf der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles allerdings auch an ein zeitlich früheres Verhalten anknüpfen. Das ist der Fall, wenn der Versicherungsnehmer vor Trinkbeginn oder in einem Zeitpunkt, als er noch schuldfähig war, erkannt oder grob fahrlässig nicht erkannt hat, dass er im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit einen Versicherungsfall herbeiführen wird. Hierfür ist maßgeblich, ob und welche Vorkehrungen der Kläger, der mit dem Pkw unterwegs war und beabsichtigte, Alkohol zu trinken, getroffen hatte, um zu verhindern, dass er die Fahrt in alkoholisiertem Zustand antreten oder fortsetzen wird.
Sollte nach den noch zu treffenden Feststellungen von einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Kläger auszugehen sein, so ist der Versicherer nach der durch das Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 23.11.2007 zum 1.1.2008 eingeführten Vorschrift des § 81 Abs. 2 VVG berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Anders als die frühere Regelung des § 61 VVG a.F., die bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles kraft Gesetzes eine vollständige Leistungsfreiheit des Versicherers vorsah ("Alles-oder-Nichts-Prinzip"), enthält § 81 Abs. 2 VVG nunmehr eine Quotenregelung.
In der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im juristischen Schrifttum ist streitig, ob die Neuregelung dem Versicherer die Möglichkeit eröffnet, seine Leistung gänzlich zu versagen oder ob in jedem Fall eine zumindest anteilige Quote des Schadens zu ersetzen ist. Der BGH hat nunmehr entschieden, dass der Versicherer bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer in Ausnahmefällen die Leistung vollständig versagen darf, sog. Kürzung auf Null. Das kann bei absoluter Fahruntüchtigkeit in Betracht kommen, bedarf aber immer der Abwägung der Umstände des Einzelfalles.
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
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