Zum urheberrechtlichen Schutz von Briefen und Tagebucheinträgen als Sprachwerke
OLG Hamburg v. 5.9.2024 - 5 U 51/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin begehrt aus einer Erbenstellung Unterlassung der Veröffentlichung, Vervielfältigung, Verbreitung und/oder öffentlichen Zugänglichmachung von bestimmten Text-Passagen aus dem Briefwechsel ihrer Großeltern O. T. und G. T. in der Zeit von 1939 bis 1945 und aus Tagebucheintragungen von O. T. bis 1955 sowie eines Fotos ihrer Mutter G. B., wie geschehen im zweiten Band der Reihe "Täterprofile - Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz". Daneben begehrt die Klägerin Auskunftserteilung und Beseitigung / Vernichtung. Hinsichtlich der Texte macht die Klägerin Urheberrechtsschutz geltend. Bezüglich des Fotos stützt sie sich auf das Recht am eigenen Bild (§ 22 KUG). Im Hinblick auf die Nutzungen der Texte handelt es sich derzeit um die erste Stufe einer Stufenklage.
Die Beklagte zu 1) ist Herausgeberin des Buchs "Täterprofile - Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz und in der Zeit nach 1945 - Band 2". Der Beklagte zu 2) ist Verfasser der streitgegenständlichen Publikation. Die Reihe "Täterprofile" befasst sich mit Biografien von Personen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz und ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Forschungsarbeit. Das Buch "Täterprofile - Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz und in der Zeit nach 1945 - Band 2" enthält u.a. einen Beitrag über O. T., der Auszüge aus dem Briefwechsel zwischen O. T. und G. T., Auszüge aus Tagebucheintragungen von O. T. und ein Foto enthält, das u.a. G. B. zeigt.
Das LG hat der Klage auf der ersten Stufe zu einem Teil stattgegeben und sie im Übrigen auf der ersten Stufe abgewiesen. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Entgegen der Ansicht des LG besteht auch im Umfang der landgerichtlichen Verurteilung kein Unterlassungsanspruch gem. § 97 Abs. 1 UrhG betreffend die Zitate aus Briefen von O. T. und G. T. und betreffend die Zitate aus Tagebucheintragungen von O. T.. Die darauf bezogenen Annexansprüche bestehen dann ebenfalls nicht. Insoweit kann der Senat durchentscheiden und die Klage insgesamt abweisen.
Der Unterlassungsanspruch gem. Tenor Ziff. 1.a) - Unterlassung der Veröffentlichung, Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Zugänglichmachung von 37 Passagen aus Briefen und Tagebucheinträgen von O. T. und drei Passagen aus Briefen von G. T. - aus §§ 97 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 16, 17, 19a, 12 UrhG scheitert daran, dass nicht festzustellen ist, dass die übernommenen Werkteile für sich genommen persönliche geistige Schöpfungen i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG sind (vgl. hierzu BGH v. 1.12.2010 - I ZR 12/08 - Perlentaucher). Dies hat zur Folge, dass ihre Benutzung urheberrechtlich nicht verboten werden kann.
Das Urheberrecht schützt bei Schriftwerken i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG auch die sog. kleine Münze, bei der bereits ein geringer Grad individuellen Schaffens und eine geringe Gestaltungshöhe als ausreichend angesehen werden. Sprachliche Mitteilungen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG geschützt, wenn sie entweder ihrer Darstellungsform nach oder wegen ihres Inhaltes eine persönliche geistige Schöpfung beinhalten.
Hat die Sprache oder die schriftliche Darstellung hingegen nur die Funktion Fakten und Gedanken zu übertragen, hat sie also nur Transportfunktion, so fehlt es regelmäßig an einer fantasievollen Gestaltung.
Briefe sind daher in aller Regel nicht schutzfähig, weil sie nur Mitteilungen persönlicher und alltäglicher Art, Besprechungen geschäftlicher Angelegenheiten usw. enthalten. Briefe sind dann urheberrechtlich schutzfähig, wenn sie über alltägliche Mitteilungen hinausgehen. Der urheberrechtliche Schutz setzt bei Briefen ein, wenn diese nicht nur Allerweltsmitteilungen enthalten, sondern eine geistige Leistung darstellen, die sich in Form und Inhalt des Briefs offenbart, wenn sich der Brief von gewöhnlichen Briefen durch die Art der Sprachgestaltung oder der Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen, kulturellen, politischen oder sonstigen Fragen abhebt.
Tagebücher haben die Funktion, äußere und innere Vorgänge, die dem Tagebuchführenden wichtig sind, im Zeitraffer festzuhalten. Tagebücher sind also die Dokumentation einer ganz persönlichen Zeitgeschichte. Sie unterscheiden sich sachlich von Briefen nur dadurch, dass der Verfasser von Tagebüchern sich im Gegensatz zu Briefschreibern anderen nicht mitteilt. Urheberrechtlich besteht zwischen Briefen und Tagebüchern dagegen kein Unterschied.
Es kommt vorliegend auf die Schutzfähigkeit der einzelnen übernommenen Werkteile an. Dabei trägt die Klägerseite im urheberrechtlichen Verletzungsprozess die Darlegungslast für das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung. Sie hat daher nicht nur das betreffende Werk vorzulegen, sondern grundsätzlich auch die konkreten Gestaltungselemente darzulegen, aus denen sich der urheberrechtliche Schutz ergeben soll (vgl. BGH v. 15.12.2022 - I ZR 173/21 - Vitrinenleuchte).
Sowohl der Inhalt und die Gedankenführung als auch die sprachliche Gestaltung sind in den jeweils übernommenen Teilen der Briefe und Tagebucheintragungen nicht hinreichend eigenschöpferisch. Es kommt darauf an, wie aus den Original-Briefen und Tagebucheinträgen in der angegriffenen Publikation zitiert worden ist und ob jeder Werkteil für sich genommen eine persönliche geistige Schöpfung seines Urhebers ist. Dies kann vorliegend insbesondere unter Berücksichtigung des Klagevorbringens nicht festgestellt werden.
Es sind daher Original-Brief bzw. Original-Tagebucheintrag und verwendetes Zitat jeweils gegenüberzustellen, um festzustellen, welcher Teil bzw. Ausschnitt übernommen wurde.
Selbst wenn die Briefe O. und G. T. und die Tagebucheinträge O. T. s auch ohne die Zusammenstellung durch G. B. als Gesamtwerk anzusehen wären, so hätte der Beklagte hieraus nur Teile, nämlich jeweils einzelne Sätze, übernommen. Dass ein unterstelltes Gesamtwerk urheberrechtlich dadurch geprägt sei, dass sich aus ihm die Entwicklung der politischen Einstellung der Eheleute O. und G. T. in der damaligen Zeit ergebe, ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht anzunehmen. Schutzbegründend kann zwar - wie ausgeführt - eine individuelle Gedankenführung sein. Dass sich die Briefe von gewöhnlichen Briefen durch die Art der Sprachgestaltung oder der Auseinandersetzung mit politischen oder sonstigen Fragen von dem seinerzeit in der Gesellschaftsschicht O. und G. T. Üblichen abhöben, kann jedoch nicht festgestellt werden. Insoweit genügt es - urheberrechtlich - nicht, dass es sich um persönliche, bis zur angegriffenen Publikation unveröffentlichte Briefe und Tagebucheintragungen handelt.
Mangels Begründetheit des Unterlassungsantrags bestehen auch die geltend gemachten Annexansprüche - Auskunftsanspruch sowie der Vernichtungsanspruch - nicht.
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Die Klägerin begehrt aus einer Erbenstellung Unterlassung der Veröffentlichung, Vervielfältigung, Verbreitung und/oder öffentlichen Zugänglichmachung von bestimmten Text-Passagen aus dem Briefwechsel ihrer Großeltern O. T. und G. T. in der Zeit von 1939 bis 1945 und aus Tagebucheintragungen von O. T. bis 1955 sowie eines Fotos ihrer Mutter G. B., wie geschehen im zweiten Band der Reihe "Täterprofile - Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz". Daneben begehrt die Klägerin Auskunftserteilung und Beseitigung / Vernichtung. Hinsichtlich der Texte macht die Klägerin Urheberrechtsschutz geltend. Bezüglich des Fotos stützt sie sich auf das Recht am eigenen Bild (§ 22 KUG). Im Hinblick auf die Nutzungen der Texte handelt es sich derzeit um die erste Stufe einer Stufenklage.
Die Beklagte zu 1) ist Herausgeberin des Buchs "Täterprofile - Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz und in der Zeit nach 1945 - Band 2". Der Beklagte zu 2) ist Verfasser der streitgegenständlichen Publikation. Die Reihe "Täterprofile" befasst sich mit Biografien von Personen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz und ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Forschungsarbeit. Das Buch "Täterprofile - Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz und in der Zeit nach 1945 - Band 2" enthält u.a. einen Beitrag über O. T., der Auszüge aus dem Briefwechsel zwischen O. T. und G. T., Auszüge aus Tagebucheintragungen von O. T. und ein Foto enthält, das u.a. G. B. zeigt.
Das LG hat der Klage auf der ersten Stufe zu einem Teil stattgegeben und sie im Übrigen auf der ersten Stufe abgewiesen. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Entgegen der Ansicht des LG besteht auch im Umfang der landgerichtlichen Verurteilung kein Unterlassungsanspruch gem. § 97 Abs. 1 UrhG betreffend die Zitate aus Briefen von O. T. und G. T. und betreffend die Zitate aus Tagebucheintragungen von O. T.. Die darauf bezogenen Annexansprüche bestehen dann ebenfalls nicht. Insoweit kann der Senat durchentscheiden und die Klage insgesamt abweisen.
Der Unterlassungsanspruch gem. Tenor Ziff. 1.a) - Unterlassung der Veröffentlichung, Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Zugänglichmachung von 37 Passagen aus Briefen und Tagebucheinträgen von O. T. und drei Passagen aus Briefen von G. T. - aus §§ 97 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 16, 17, 19a, 12 UrhG scheitert daran, dass nicht festzustellen ist, dass die übernommenen Werkteile für sich genommen persönliche geistige Schöpfungen i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG sind (vgl. hierzu BGH v. 1.12.2010 - I ZR 12/08 - Perlentaucher). Dies hat zur Folge, dass ihre Benutzung urheberrechtlich nicht verboten werden kann.
Das Urheberrecht schützt bei Schriftwerken i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG auch die sog. kleine Münze, bei der bereits ein geringer Grad individuellen Schaffens und eine geringe Gestaltungshöhe als ausreichend angesehen werden. Sprachliche Mitteilungen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG geschützt, wenn sie entweder ihrer Darstellungsform nach oder wegen ihres Inhaltes eine persönliche geistige Schöpfung beinhalten.
Hat die Sprache oder die schriftliche Darstellung hingegen nur die Funktion Fakten und Gedanken zu übertragen, hat sie also nur Transportfunktion, so fehlt es regelmäßig an einer fantasievollen Gestaltung.
Briefe sind daher in aller Regel nicht schutzfähig, weil sie nur Mitteilungen persönlicher und alltäglicher Art, Besprechungen geschäftlicher Angelegenheiten usw. enthalten. Briefe sind dann urheberrechtlich schutzfähig, wenn sie über alltägliche Mitteilungen hinausgehen. Der urheberrechtliche Schutz setzt bei Briefen ein, wenn diese nicht nur Allerweltsmitteilungen enthalten, sondern eine geistige Leistung darstellen, die sich in Form und Inhalt des Briefs offenbart, wenn sich der Brief von gewöhnlichen Briefen durch die Art der Sprachgestaltung oder der Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen, kulturellen, politischen oder sonstigen Fragen abhebt.
Tagebücher haben die Funktion, äußere und innere Vorgänge, die dem Tagebuchführenden wichtig sind, im Zeitraffer festzuhalten. Tagebücher sind also die Dokumentation einer ganz persönlichen Zeitgeschichte. Sie unterscheiden sich sachlich von Briefen nur dadurch, dass der Verfasser von Tagebüchern sich im Gegensatz zu Briefschreibern anderen nicht mitteilt. Urheberrechtlich besteht zwischen Briefen und Tagebüchern dagegen kein Unterschied.
Es kommt vorliegend auf die Schutzfähigkeit der einzelnen übernommenen Werkteile an. Dabei trägt die Klägerseite im urheberrechtlichen Verletzungsprozess die Darlegungslast für das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung. Sie hat daher nicht nur das betreffende Werk vorzulegen, sondern grundsätzlich auch die konkreten Gestaltungselemente darzulegen, aus denen sich der urheberrechtliche Schutz ergeben soll (vgl. BGH v. 15.12.2022 - I ZR 173/21 - Vitrinenleuchte).
Sowohl der Inhalt und die Gedankenführung als auch die sprachliche Gestaltung sind in den jeweils übernommenen Teilen der Briefe und Tagebucheintragungen nicht hinreichend eigenschöpferisch. Es kommt darauf an, wie aus den Original-Briefen und Tagebucheinträgen in der angegriffenen Publikation zitiert worden ist und ob jeder Werkteil für sich genommen eine persönliche geistige Schöpfung seines Urhebers ist. Dies kann vorliegend insbesondere unter Berücksichtigung des Klagevorbringens nicht festgestellt werden.
Es sind daher Original-Brief bzw. Original-Tagebucheintrag und verwendetes Zitat jeweils gegenüberzustellen, um festzustellen, welcher Teil bzw. Ausschnitt übernommen wurde.
Selbst wenn die Briefe O. und G. T. und die Tagebucheinträge O. T. s auch ohne die Zusammenstellung durch G. B. als Gesamtwerk anzusehen wären, so hätte der Beklagte hieraus nur Teile, nämlich jeweils einzelne Sätze, übernommen. Dass ein unterstelltes Gesamtwerk urheberrechtlich dadurch geprägt sei, dass sich aus ihm die Entwicklung der politischen Einstellung der Eheleute O. und G. T. in der damaligen Zeit ergebe, ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht anzunehmen. Schutzbegründend kann zwar - wie ausgeführt - eine individuelle Gedankenführung sein. Dass sich die Briefe von gewöhnlichen Briefen durch die Art der Sprachgestaltung oder der Auseinandersetzung mit politischen oder sonstigen Fragen von dem seinerzeit in der Gesellschaftsschicht O. und G. T. Üblichen abhöben, kann jedoch nicht festgestellt werden. Insoweit genügt es - urheberrechtlich - nicht, dass es sich um persönliche, bis zur angegriffenen Publikation unveröffentlichte Briefe und Tagebucheintragungen handelt.
Mangels Begründetheit des Unterlassungsantrags bestehen auch die geltend gemachten Annexansprüche - Auskunftsanspruch sowie der Vernichtungsanspruch - nicht.
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Aufsatz:
Zitate aus Stellungnahmen Betroffener gegenüber den Medien
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